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Zehn Jahre EU-Osterweiterung
Stabilisierung der Demokratie gelungen

Vor zehn Jahren traten im Rahmen der Osterweiterung zehn neue Länder der EU bei. Die Beitritte hatten viele Skeptiker. Doch der befürchtete Ansturm auf die Sozialsysteme blieb aus. Zwar gibt es unter den Ländern noch einige Sorgenkinder, grundsätzlich sind sie jedoch auf gutem Wege.

Von Monika Köpcke |
    Bei einer feierlichen Zeremonie hissen Soldaten des Eurocorps und Kinder der EU-Beitrittsländer am 03.05.2004 die Flaggen der neuen EU-Staaten vor dem Europaparlament in Straßburg. Im Vordergrund ist die tschechische Fahne zu sehen.
    Feierliche Beitritts-Zeremonie am 3. Mai 2004 in Straßburg (picture alliance / dpa / Rolf Haid)
    "Wir kehren zurück in Europa. Also, wir waren da, natürlich, und dann haben wir unsere großen politischen Probleme gehabt. 50 Jahre waren wir unter Okkupation. Und jetzt kehren wir zurück."
    Für Idulis Ensis, Europaabgeordneter der lettischen Grünen, wuchs am 1. Mai 2004 zusammen, was historisch und politisch zusammen gehört. An diesem Tag bekamen die 15 EU-Staaten auf einen Schlag zehn neue Mitstreiter: Malta und Zypern im Süden, Polen, die Slowakei und Tschechien, Slowenien, Ungarn sowie Estland, Lettland und Litauen im Osten. Es war die bislang größte Erweiterung, sie sollte das endgültige Aus des Eisernen Vorhangs besiegeln.
    "Vor 60 Jahren bekämpften sich auf unserem Kontinent Armeen, die so groß waren wie die Bevölkerung der heutigen Bundesrepublik Deutschland. Und wir, die wir heute leben, die wir heute politisch entscheiden, können das zu Geschichte machen und wir werden das zu Geschichte machen."
    Angst vor billiger Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt
    Es war ein Tag der knallenden Sektkorken, der großen Worte und der symbolischen Gesten. Auf einer Festwiese im Dreiländereck von Polen, Tschechien und Deutschland hisste Bundeskanzler Gerhard Schröder gemeinsam mit seinen beiden Amtskollegen die Europaflagge.
    "Für die damals Lebenden wäre es unvorstellbar gewesen, dass wir wieder zusammenkommen, dass wir Freunde sind und Partner auch. Aber es ist geschehen."
    "Wenn wir von heute auf morgen gegenüber Polen die Grenze aufmachen würden und es würden 5000 Polen nach Frankfurt an der Oder gehen, dann hätten wir da Krieg."
    "Also, ich bin eigentlich mehr skeptisch, muss ich ehrlich sagen. Ich habe die Bedenken einfach, wenn mehr Mitbewerber kommen, die eigentlich auch den Markt drücken, dass das schon wieder den Preis drückt."
    "Dass das nicht so ist, dass da jeder für zwei Euro aus dem Osten in Deutschland arbeiten kann."
    Nicht nur die Deutschen hatten Angst, dass ihnen die billige Konkurrenz aus Osteuropa die Arbeitsplätze streitig machen könnte, oder fürchteten einen Ansturm auf die eigenen Sozialsysteme. Bereits 1997 hatten die Beitrittsverhandlungen begonnen, aber man kam nicht so recht von der Stelle. Erst als 1998/99 die Konflikte auf dem Balkan eskalierten, bekamen die festgefahrenen Verhandlungen eine neue Dringlichkeit. Günter Verheugen, der damalige EU-Erweiterungskommissar:
    "Wir hatten den Kosovo-Krieg, in dem wohl jedem klar wurde, dass der Krieg eben nicht vollständig aus Europa verbannt ist und dass europäische Einigung das einzig wirklich sichere Instrument ist, Europa langfristigen Frieden zu bescheren. Das Bewusstsein dafür war Anfang des vergangenen Jahrzehnts viel, viel stärker als heute."
    Zentrale Ziele sind auf gutem Weg
    Nun sollte es so schnell wie möglich gehen. Im Dezember 2002 waren die Beitrittsverhandlungen abgeschlossen. Die dickste Kröte, die die neuen Mitglieder schlucken mussten, war der Verzicht auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Nur Großbritannien, Irland und Schweden öffneten vom 1. Mai 2004 an ihre Arbeitsmärkte für alle, die anderen westlichen Staaten nur für die Malteser und Zyprioten. Die neuen osteuropäischen EU-Bürger mussten bis zu sieben Jahre auf die völlige Gleichstellung warten. Zu groß war die Angst vor dem polnischen Klempner oder der ungarischen Krankenschwester. Im Gegenzug wurde die Messlatte für die Beitrittskriterien etwas niedriger gehängt. Zu niedrig? Zehn Jahre nach der Erweiterung urteilt Günter Verheugen:
    "Ich stelle mir heute schon die Frage, ob man in Bezug auf Korruptionsbekämpfung, Stabilität des ganzen Rechtssystems doch noch mehr hätte tun können als wir getan haben. Obwohl ich natürlich sagen muss, das Hauptproblem in diesen Ländern ist ja nicht, dass die Gesetzestexte nicht in Ordnung wären, oder dass die Institutionen nicht in Ordnung wären, sondern das Problem ist schlicht und einfach, wie es gelebt wird."
    Es gibt Sorgenkinder, aber die beiden zentralen Ziele der Erweiterung von 2004 sind auf einem guten Weg, erreicht zu werden: die Stabilisierung der Demokratie und die Vermehrung des Wohlstands. Auch wenn der Lebensstandard im Westen noch immer ungleich höher ist, blieb der befürchtete Ansturm auf seine Arbeitsmärkte aus - auch nach dem Wegfall der Ausnahmeregelungen. Und wer heute von der Krise spricht, meint die alten EU-Hasen Spanien oder Griechenland und nicht Polen oder Tschechien.