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Zehn Jahre Europäischer Forschungsrat
"Wer großartige Ideen hat, soll zum ERC kommen"

Der European Research Council (ERC) fördert seit zehn Jahren Grundlagenforschung. Seitdem wurden rund zwölf Milliarden Euro an knapp 7.000 Spitzenforscher verteilt. Dadurch konnte die europäische Forschung 2014 erstmals die amerikanische übertrumpfen, erklärte ERC-Präsident Jean-Pierre Bourguignon im DLF.

Jean-Pierre Bourguignon im Gespräch mit Ralf Krauter |
    Krebsforscher in einem Labor des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen in Heidelberg
    Priorität des ERC: Junge Wissenschaftler fördern. (picture-alliance / dpa / Uwe Anspach)
    Ralf Krauter: In Brüssel feiert man heute mit offiziellem Brimborium das zehnjährige Bestehen des European Research Council, kurz ERC. Nachdem Forschung Aktuell anlässlich des runden Jubiläums vergangene Woche schon mit Helga Nowotny gesprochen hatte, einer der Geburtshelferinnen des ERC, haben wir heute seinen Präsidenten Prof. Jean-Pierre Bourguignon gefragt: Wie stark hat der Europäische Forschungsrat die Forschung in Europa voran gebracht?
    ERC hat Forschung von hoher Qualität in Europa vorangetrieben
    Pierre Bourguignon: Was ich höre und was wir sehen können, ist da zum Beispiel ein ganz gutes Zeichen: Ein Prozent der meistzitierten Artikel - das ist, was man ziemlich oft als die absolut besten Artikel betrachtet - wenn man diese Anzahl ansieht für Europa: 2014 war das erste Jahr, wo Europa vor Amerika war.
    Und wenn man genau betrachtet, was der Einfluss von Artikeln ist, die aus ERC-Projekten stammten, dann ist der Einfluss sehr groß. Die Anzahl dieser Artikel ist etwa 14.000 pro Jahr und die Anzahl der Artikel, die aus ERC-Projekten stammten, ist größer als 1.000. Das ist ein Beispiel, das zeigt, dass der Beitrag des ERC zur Entwicklung von Forschung hoher Qualität in Europa ganz wichtig wurde in diesen zehn Jahren.
    Für uns ganz wichtig ist auch die Priorität, die jüngeren Leuten gegeben wird. Zwei Drittel der Mittel gehen an Leute, die ungefähr am Anfang ihrer Karriere sind. Und für diese Leute bringt das natürlich die Möglichkeit, ein eigenes Team aufzubauen.
    Ohne eine solche Unterstützung würde es viel später dazu kommen. Das macht diese Leute viel früher unabhängig. Und wir wissen: Das ist genau die Lebensphase, in der die Leute doch am besten etwas ganz Neues entwickeln können. Diese Möglichkeit für junge Leute, ganz gute Unterstützung zu bekommen, bringt etwas für einige Länder ganz Neues.
    Evaluationen verzeichnen mehr als 70 Prozent erfolgreiche Projekte
    Krauter: Der ERC hat bislang rund 12 Milliarden Euro verteilt, damit knapp 7.000 Spitzenforscher in Europa gefördert. Als wir uns vergangenen Sommer getroffen haben auf dem Euro Science Open Forum in Manchester, waren gerade die ersten 200 vom ERC geförderten Projekte evaluiert worden.
    Mit dem Ergebnis, dass 71 Prozent dieser 200 Projekte sehr erfolgreich waren, also teils wirklich zu wissenschaftlichen Durchbrüchen geführt hatten. Bei vier Prozent allerdings waren unterm Strich keine brauchbaren Ergebnisse rausgekommen. Wie lassen sich solche negativen Ausreißer künftig verhindern?
    Bourguignon: Ich meine, ich würde sagen, dass vielleicht diese drei Prozent nicht so negativ sind. Das bedeutet doch zumindest, dass etwas riskiert wurde. Man kann nicht zugleich verlangen, dass die Gutachtergremien die Projekte bewilligen, ein Risiko eingehen, und gleichzeitig erwarten, dass alle Projekte völlig erfolgreich verlaufen.
    Für uns war das schon eine ganz große Überraschung: Der Anteil der Durchbrüche war für diese erste Evaluation 21 Prozent. Und wir haben schon die nächste Evaluation fertig gemacht und der Anteil ist 24 Prozent für Durchbrüche und wieder ungefähr 50 Prozent für Major Scientific Advances, also für ganz wichtige wissenschaftliche Fortschritte. Für uns zeigen diese beiden Evaluationen, dass mehr als 70 Prozent der Projekte erfolgreich waren.
    Finanzierung der Projekte hat ein Fünf-Jahres-Limit
    Und diese drei Prozent? Natürlich, man hat das Gefühl, man hätte vielleicht diese Projekte nicht unterstützen sollen. Aber in einigen Fällen ist es nicht so, dass die Entscheidung falsch war- Manche Leute zum Beispiel erwarteten, dass ihnen eine besondere Technologie zur Verfügung stehen würde. Aber dann hat sich deren Entwicklung verzögert und nach fünf Jahren konnten die Leute immer noch nicht das machen, was sie vorhatten - , einfach weil ein Werkzeug, das sie benutzen wollten, noch nicht zur Verfügung stand. Sie brauchten also länger, um ihr Ziel zu erreichen. Aber für unsere Projekte ist nach fünf Jahren doch Schluss.
    Also ich finde, diese drei Prozent sind nur ein Zeichen, dass wenigstens ein Risiko eingegangen wurde. Und für uns ist ganz wichtig, dass die Leute wissen, dass sie, wenn sie irgendwie doch eine großartige Idee haben, zum ERC kommen können. Also ich sehe das nicht negativ. Ich sehe das als ein Zeichen, dass genug Risiko genommen wurde.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.