Die junge Frau mit der kleinen Tochter an der Hand zögert kurz, als sie gefragt wird ob sie dem deutschen Radioreporter ein kurzes Interview gibt. Worum es denn gehe, fragt sie zurück? Um ihren Alltag im Gazastreifen? Da bricht es aus der Frau heraus.
"Die Lage ist sehr schlecht. Ich bin Krankenschwester und wir können wegen des Strommangels dringende Fälle nicht behandeln. Und zuhause haben wir nur ein oder zwei Stunden Strom pro Tag. Jetzt ist Ramadan und wir müssen nachts im Dunkeln essen, weil das Licht nicht funktioniert."
Wen sie dafür verantwortlich macht, will ich von ihr wissen. Sie zögert wieder kurz. Die Antwort klingt dann aber entschlossen. "Hamas."
Rückhalt für Hamas stark geschwunden
So denken viele im Gazastreifen, wenn auch nicht alle. Zehn Jahre nachdem Hamas den kurzen und blutigen inner-palästinensischen Bruderkrieg gewann und die rivalisierende Fatah-Bewegung aus dem Küstenstreifen vertrieb, sind die Lebensbedingungen der rund zwei Millionen Bewohner überwiegend erbärmlich. Armut und Arbeitslosigkeit haben den von Israel und Ägypten abgeriegelten Küstenstreifen fest im Griff.
Im Ergebnis sei der Rückhalt für Hamas in der Bevölkerung stark geschwunden, sagt die deutsche Politologin Helga Baumgarten, die seit vielen Jahren an der Universität von Birzeit bei Ramallah unterrichtet.
"Die Unterstützung ist zurückgegangen. Wo die Hamas also zum bestimmten Grad gescheitert ist, ist dass sie die Menschen in Gaza nicht mehr voll überzeugen kann: 'Wir sind in der Lage eine Lösung für eure Probleme zu bringen'."
Kein Anlass zur Freude
Das war der Anspruch der Bewegung und weil die Palästinenser ihr das mehrheitlich auch zutrauten, gewann die Hamas die letzten palästinensischen Wahlen 2006. Dann folgte der Bruch mit der Fatah von Palästinenserpräsident Abbas und schließlich die Machtübernahme in Gaza. Wenn sie sich nun zum zehnten Mal jährt, wird der Hamas-Politiker Ahmed Youssef nicht feiern. Es bestehe kein Anlass zur Freude, sagt Youssef, der dem moderaten Flügel der Hamas zugeordnet wird.
"Die Machtübernahme war einer dieser großen Fehler, genau wie die Kämpfe, die zu einer Spaltung des Volkes führten. Was 2007 passierte, hat das palästinensische Projekt schwer beschädigt. Wir zahlen jetzt einen hohen Preis für den Fehler den wir gegenseitig begangen haben."
"Wir wissen nicht, wohin wir wollen"
Youssef hat einen Brief an führende Mitglieder seiner Bewegung geschrieben. Die Hamas habe ihre politischen Ziele im Gazastreifen nicht erreicht und sei weitgehend isoliert, glaubt Youssef. Daraus soll die Führung seiner Ansicht nach Lehren ziehen.
"Sie müssen einiges überdenken, was passiert ist. Die Lage ist desaströs. Die Palästinenser sind gespalten und die Gesamtlage verschlechtert sich weiter. Wir wissen nicht, wohin wir wollen. Alles ist sehr schwierig und es wird schlechter und schlechter."
Hamas in einer Reihe mit Al-Kaida und IS
Die Hamas hat nach und nach fast alle Verbündeten in der arabischen Welt verloren. Zuletzt kam vor allem noch Hilfe aus Katar, dass sich nun aber auch in einer außenpolitischen Krise befindet. Mehrere Hamas-Funktionäre mussten ihr Exil in Katar verlassen. Zudem stellte US-Präsident Trump die Hamas in eine terroristische Reihe mit Al-Kaida und dem IS.
Hamas und die Fatah von Palästinenserpräsident Abbas kämpfen weiter um die Macht. Abbas erhöht den Druck immer mehr. Seine palästinensische Autonomiebehörde kürzte die Gehaltszahlungen für zehntausende staatlicher Angestellter im Gazastreifen, was sich verheerend auf die Kaufkraft auswirkt. Die Autonomiebehörde zahlt auch nicht mehr für israelische Stromlieferungen in den Gazastreifen und das einzige E-Werk steht still, weil Hamas den Treibstoff nicht mehr bezahlen kann.
Kräftemessen auf dem Rücken der Bevölkerung
So findet das politische Kräftemessen zwischen Hamas und Fatah weiterhin auf dem Rücken der Bevölkerung statt und weil sie innenpolitisch gespalten sind, können die Palästinenser außenpolitisch nicht mit einer Stimme sprechen. Dieser Mann auf dem Markt in Nuseirat im Gazastreifen hofft, dass sich Hamas und Fatah endlich einigen.
"Ich kann keiner Seite die alleinige Schuld geben. Das Land ist geteilt und muss vereinigt werden, damit wir Hand in Hand wiederaufbauen können. Wir haben hier drei Kriege hinter uns. Wenn die Versöhnung gelingt, wird es uns besser gehen."
Da spricht er für viele seiner Landsleute. Doch aktuell scheint eine solche Versöhnung zwischen Hamas und Fatah nicht in Sicht.