Archiv

Zehn Jahre Klimaschutz
"Die globalen Emissionen sind weiter gestiegen"

Für den Schutz des Klimas wurde Photovoltaik ausgebaut, Häuser wurden gedämmt, Elektrogeräte effizienter. Das Kölner New Climate Institute zieht dennoch eine kritische Bilanz der Maßnahmen der letzten zehn Jahre. Gemessen an den Pariser Klima-Zielen sei zu wenig passiert, sagte Institutsleiter Niklas Höhne im Dlf.

Niklas Höhne im Gespräch mit Lennart Pyritz |
Demonstration zum einjährigen Jubiläum von Fridays For Future in Berlin.
Jugendliche von Fridays For Future halten die Klimadebatten in den Diskursen. (picture alliance/ POP-EYE/ Stefan Müller)
Europa soll bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden – ein großes Ziel für die Zukunft. Wie es in den vergangenen zehn Jahren weltweit um den Klimaschutz bestellt war, das hat ein internationales Forschungsteam jetzt im Fachmagazin Nature zusammengefasst. Niklas Höhne, Professor für Klimaschutz an der Universität Wageningen und Leiter des NewClimate Institute in Köln, ist einer der Autoren des Nature-Kommentars.
Lennart Pyritz: Herr Höhne, was ist Ihre Bilanz zu den vergangenen zehn Jahren politischer Maßnahmen gegen den Klimawandel?
Niklas Höhne: Leider ist die Bilanz nach zehn Jahren Klimaschutz nicht sehr gut. Wir hatten gehofft vor zehn Jahren, dass jetzt ein Ruck durch die Gesellschaft geht und mehr Klimaschutz passiert – leider ist zu wenig passiert. Die globalen Emissionen sind weiter gestiegen, und die Lücke zwischen dem, was wir eigentlich tun müssten, und dem, was wir derzeit tun, ist größer geworden. Insofern müssen wir alle sehr nachlegen.
Pyritz: Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung, also welche Daten liegen da zugrunde, um diese Lücke sozusagen zu berechnen, die Sie gerade angesprochen haben?
Höhne: Ja, in den letzten zehn Jahren haben wir im Rahmen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen uns Studien angeschaut, die eben schauen, wie weit sich die globalen Emissionen entwickeln müssten, um das Klima sinnvoll zu schützen. Und auf der anderen Seite haben wir uns angeschaut, was Länder denn vorschlagen, zu tun im Klimaschutz, einzelne Länder. Und diese einzelnen Vorschläge haben wir zusammengerechnet und dann geschaut, ob das Beides zusammenpasst. Und derzeit passt es eben leider nicht zusammen, es klafft eine große Lücke zwischen dem, was einzelne Länder vorschlagen, und dem, was eigentlich global passieren müsste.
"In der Vergangenheit zu wenig gemacht"
Pyritz: Das Fazit Ihres Kommentars in "Nature" ist, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch zu erreichen, hat die Welt, bezogen auf die Emissionen, jetzt viermal so viel Arbeit oder ein Drittel der Zeit. Was bedeutet das genau?
Höhne: Ja, diese Emissionslücke ist in der Tat größer geworden in den letzten zehn Jahren. Was wir eigentlich erwartet hätten, war vor zehn Jahren, dass die Emissionen ein Maximum erreichen und dann langsam absinken. Das ist nicht passiert. Die Emissionen sind gestiegen in den letzten zehn Jahren um fast 18 Prozent, und das macht es natürlich sehr viel schwieriger, langfristige Klimaschutzziele zu erreichen. Gleichzeitig wissen wir mehr über den Klimawandel, und die internationale Gemeinschaft denkt, dass es sinnvoll ist, nicht nur den Klimawandel bei zwei Grad zu stoppen, sondern weit unter zwei Grad, eher sogar in Richtung 1,5 Grad. Und das bedeutet, wir müssen eigentlich viel mehr tun, haben in der Vergangenheit aber zu wenig gemacht, deswegen ist die Lücke um den Faktor vier größer geworden. Wir müssen eben die Klimaschutzanstrengungen deutlich erhöhen, und die Lücke ist größer geworden, anstatt eben kleiner – das ist leider eine Negativnachricht.
Pyritz: Und die zeitliche Komponente kommt einfach darüber hinein, dass eben in den letzten zehn Jahren zu wenig passiert ist?
Höhne: Genau. Die andere Sichtweise, die man anschauen kann, ist, dass wir natürlich jetzt dadurch schneller Emissionen reduzieren müssen, weil in der letzten Zeit weniger passiert ist. Vor zehn Jahren hatten wir noch gedacht, es reicht aus, die globalen Emissionen zu halbieren in den nächsten 30 Jahren, einige haben sogar davon gesprochen, dass es reicht, das in den nächsten 40 Jahren zu halbieren. Und was wir jetzt sehen, ist, dass wir die globalen Emissionen in den nächsten zehn Jahren halbieren müssen, also sehr, sehr viel schneller als noch vorher, und da sieht man schon, was wir vor zehn Jahren dachten, dass es vielleicht noch ausreicht, so ein bisschen Emissionen zu reduzieren, weil wir ja noch so viel Zeit haben, das reicht heute bei Weitem nicht aus.
Erfolge bei einzelnen Ländern, Städten und Unternehmen
Pyritz: Gibt es denn bezogen auf solche Maßnahmen auch Erfolgsgeschichten auf Länder- oder vielleicht auch auf Kommunen- oder Städteebene? Haben Sie da Beispiele?
Höhne: Genau das ist die zweite Seite von dem Kommentar in "Nature". Auf der einen Seite passiert zu wenig, aber es gibt eben gute Beispiele von in der Tat Ländern, Städten, Unternehmen, die genau diese ambitionierten Maßnahmen umsetzen oder umsetzen wollen, die jetzt nötig sind. Eine Kategorie, immer wichtig zu nennen, ist: Länder und Städte und Unternehmen, die komplett aus CO2-Emissionen aussteigen wollen. Und die Gruppe dieser Akteure wächst stetig, wir zählen jetzt 76 Staaten, die sich vorgenommen haben, komplett aus Treibhausgasemissionen auszusteigen. Großbritannien ist dabei, aber auch Kalifornien, gerade heute diskutiert die EU wieder, ob sie dieses Ziel umsetzen soll. Das sind wirklich auch große Emittenten, die genau in die richtige Richtung gehen, aber eben noch viel mehr sehen wir das auch auf Regionen- und Städteseite, da sind auch sehr viele Akteure dabei. Andere positive Entwicklungen sind, dass die erneuerbaren Energie sehr viel günstiger geworden sind in den letzten zehn Jahren und dass sich mehr und mehr Akteure auch Ziele setzen, 100 Prozent erneuerbare Energien umzusetzen – also auch hier komplett aus Kohle, Öl und Gas auszusteigen. Auch diese Gruppe wächst, aber das Problem ist eben, die Gruppen sind jeweils noch zu klein. Eigentlich müssten diese Beispiele eben als gute Beispiele genommen werden und sie müssten global umgesetzt werden, und die Gruppe dieser Akteure müsste deutlich größer werden.
Kompletter Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas
Pyritz: Das wäre jetzt noch mal die Frage, welche Maßnahmen müssten international umgesetzt werden Ihrer Einschätzung nach, um tatsächlich die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch zu erreichen?
Höhne: Die Vorgabe des Pariser Klimaschutzabkommens ist eigentlich relativ einfach, wir müssen komplett aus Kohle, Öl und Gas aussteigen. Das klingt einfacher, ist natürlich sehr schwierig. Aber wie gesagt, einzelne Akteure müssen sich Ziele setzen, genau das zu tun, also auf null Emissionen zu kommen. Wir müssten im Transportbereich umstellen auf 100 Prozent emissionsfreie Fahrzeuge, meistens sind da Strom oder Wasserstoff die Optionen. Wir müssten die Gebäude umstellen auf 100 Prozent Null-Energie-Häuser, das bedeutet, alle neugebauten Gebäude müssten Null-Energie-Häuser sein, wir müssten die bestehenden Gebäude renovieren. Und selbst in den Bereichen Industrie müssen wir uns Gedanken machen, wie schaffen wir es, CO2-neutralen Stahl und Zement herzustellen. Das war bis jetzt immer sehr schwierig, aber auch da haben wir gesehen, dass es einzelne Akteure gibt, die das jetzt schon planen. Und das stimmt mich positiv, dass wir das erreichen können, aber es ist leider noch ein langer Weg.
"Habe die Hoffnung noch nicht verloren"
Pyritz: Die Frage würde ich auch noch mal direkt stellen: Haben Sie noch die Hoffnung, halten Sie es für realistisch, dass die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens noch umgesetzt werden können?
Höhne: Ich habe die Hoffnung noch nicht verloren, dass wir das schaffen können, insbesondere weil man eben sieht, dass es in jedem Bereich, wo es drauf ankommt, immer mindestens einen oder zwei oder in vielen Bereichen sogar viele Akteure gibt, die genau das tun wollen, was nötig ist – also komplett auszusteigen. Es ist sicherlich ein weiter Weg, aber dass es möglich ist, das ist klar, und dass wir es schaffen können, ist auch klar. Wir müssen uns nur wirklich anstrengen und alles daran setzen, das auch zu tun.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.