Klemens Kindermann: Die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 gilt als Beginn der weltweiten Finanzkrise. In dieser Woche jährt sich der Stichtag zum zehnten Mal. Jahrelang haben Regierungen und Notenbanken versucht, diese Krise in den Griff zu bekommen. Vor allem die Banken sollten härter an die Kandare genommen werden. Heute muss man sagen: die Banken in den USA verdienen prächtig, als hätte es gar keine Krise gegeben.
Dazu kann ich sprechen mit dem Finanz-Experten des globalisierungskritischen Bündnis Attac, Alfred Eibl. Herr Eibl, an diesem Samstag wollen sich offenbar ehemalige Lehman-Banker zum Jahrestag zu Cocktails und Canapes treffen – kann man sagen, die Finanzkrise ist endgültig vorbei?
Alfred Eibl: Nein, die Finanzkrise ist bei weitem nicht vorbei, vor allem ist sie in Europa nicht vorbei. Wenn irgendwo auf der Welt Finanzprobleme auftauchen, sei es Argentinien, sei es in der Türkei, dann wird sofort spekuliert, ob in einem europäischen Land, sei es Spanien, sei es Italien, sei es Frankreich, vielleicht Banken in die Krise kommen könnten und ob diese Krise dann nicht das europäische Bankensystem insgesamt gefährden könnte. Diese Spekulationen haben eine natürliche Grundlage, dass noch immer insbesondere das europäische Bankensystem mit viel zu wenig Eigenkapital ausgestattet ist und dass die Risiken im Bankensystem einfach immer noch zu groß sind.
Klemens Kindermann: 2011, da formierte sich ja Widerstand in den USA gegen die Auswüchse des Finanzsystems, die sogenannte Occupy Wall Street-Bewegung wollte nicht länger hinnehmen, dass die Regierung Banken rettet, statt den Armen in der Gesellschaft zu helfen. Zentrum der Proteste war der Zuccotti-Park im Finanzdistrikt Manhattans. Heute, wenn man dahin kommt, ist es ziemlich friedlich und keine Spur mehr von Protest. War das damals alles umsonst?
Eibl: Nein, das war nicht umsonst. Die Diskussionen laufen weiter und dass wir mit diesem Thema weiterhin in der Öffentlichkeit sind, dass wir heute über dieses Thema gemeinsam sprechen, zeigt, dass eben die Diskussion nicht beendet ist. Es ist vielleicht nicht mehr so dramatisch und so massiv der Protest, aber der Protest ist weiterhin wirksam und verschiedene internationale Institutionen beschäftigen sich permanent damit. Und wir sind eben auch dabei, dieses Thema weiterhin hochzuhalten und wir sind nicht allein dabei, also als Attac Deutschland, sondern wir werden diesen Protest am 15. September gemeinsam mit vielen europäischen Städten, mit vielen anderen Organisationen, mit vielen anderen Menschen gemeinsam noch mal auf die Straße tragen, um zu zeigen, dass die Versprechungen, die die Politik damals gemacht hat, bei weitem nicht eingelöst sind und dass grundsätzliche Veränderungen notwendig sind. Bisher wurde an der einen oder anderen Stelle das System ein bisschen gerade gezogen, aber die grundlegenden, notwendigen Veränderungen, die wurden bei weitem nicht umgesetzt.
Grundlegende Veränderungen wurden nicht umgesetzt
Kindermann: Was haben Sie denn konkret geplant am Samstag?
Eibl: Wir wollen noch mal im Rahmen einer Performance darstellen, dass das Finanzsystem nicht das tut, was es tun soll, nämlich für Mensch und Natur da zu sein, Entwicklungen, notwendige Entwicklungen zu unterstützen, zu finanzieren. Was stattdessen passiert, ist, dass weiterhin Finanzspekulation im höchsten Ausmaß betrieben wird, dass die Vermögenspreise in unbekannte Höhen getrieben werden. Aber was fehlt, sind Realinvestitionen in den notwendigen Umbau der natürlichen Grundlagen. Das heißt, wir stehen ja vor der Situation, dass wir massiv in den ökologischen Umbau investieren müssten und stattdessen wird weiterhin im alten Trotz weiter spekuliert und finanziert und diese notwendigen Investitionen unterbleiben.
Kindermann: Herr Eibl, was konkret planen Sie denn, was für eine Aktion?
Eibl: Das will ich jetzt nicht unbedingt im Detail darstellen. Ich denke, jeder, der interessiert ist, hat ja die Chance, am Samstag in Frankfurt zur Börse zu kommen und unserer Aktion zuzuschauen. Im Prinzip geht es darum, noch mal darzustellen, dass eben das Finanzsystem nicht den Aufgaben gerecht wird. Wir werden mit Bulle und Bär, mit den Symbolen, die vor der Börse stehen, die haben wir nachgebaut und werden damit einiges veranstalten.
Das Finanzsystem finanziert Immobilienspekulation statt Klimaschutz
Kindermann: 2015 gab es ja auch schon Proteste, das war damals im Zusammenhang mit der Eröffnung des neuen Büroturms der Europäischen Zentralbank, da haben auch Globalisierungskritiker demonstriert. Davon ist allerdings auch wenig übrig geblieben, woran lag das?
Eibl: Es ist eben schwierig, dieses doch relativ komplexe Thema griffig in die Öffentlichkeit zu tragen. Und es ist auch schwierig, diese Themen, sozusagen die Auswirkungen für den einzelnen Menschen zu erspüren. Wir reden über sehr komplexe Regulierungssystem, wir reden über komplizierte Strukturen, die aufgebaut wurden, zum Beispiel von den Banken, um Steuerzurückzahlungen doppelt zu erhalten oder nicht geleistete Steuern sich zurückzuerstatten. Da geht es dann relativ schnell um Hunderte von Millionen und Milliarden, es ist aber sozusagen unklar, was das für den einzelnen Menschen in der Geldbörse bedeutet. Und das noch mal deutlicher zu machen, welche unmittelbaren Auswirkungen die Strukturen haben, die wir verändern wollen, das wollen wir darstellen. Dass eben Geld nicht nur in die Immobilienspekulation reinfließt, sondern eben reingeht in eine Veränderung der Energieerzeugung, 2008/2009 wurde mit Hunderten von Milliarden die Banken gerettet und heute kämpfen wir um jeden Cent, um das Klima zu retten. Das kann es doch nicht sein. Diese Gesellschaft hat über die Produktivitätssteigerung in den letzten Jahren ein so großes Potenzial aufgebaut, dass das ohne Weiteres realisierbar, finanzierbar, machbar wäre, man muss es nur von der politischen Seite her wollen, wirklich wollen.
Noch ist die Deregulierung in den USA nicht der große Rückschritt
Kindermann: Schauen wir noch einmal in die USA. Der aktuell amtierende US-Präsident Trump, der versucht ja einiges an Bankenregulierung wieder rückgängig zu machen. Müssen wir dann mit der nächsten Finanzkrise rechnen?
Eibl: Das, was bisher in der Diskussion ist, ist jedenfalls, was die USA betrifft, noch nicht der große Rückschritt. Was richtig ist, ist zum Beispiel, dass man kleinere Banken regulationsmäßig entlastet. Die haben in der Regel auch ein höheres Eigenkapital. Nehmen Sie die Situation in Deutschland, die Deutsche Bank hat das immerhin geschafft, ihr Eigenkapital zu verdoppelt. Aber von windigen zwei Prozent auf vier Prozent, das ist völlig instabil. Hier sind viel höhere Werte notwendig, so wie zum Beispiel das Sparkassensystem oder die Genossenschaftsbanken, die immerhin ein Eigenkapital von acht Prozent vorhalten. Das heißt also, wenn eine Bank auf sicheren Beinen steht, weil sie höheres Eigenkapital hat, dann kann man es regulativ entlasten. Diese Vereinfachung darf aber nicht dazu führen, dass man insgesamt regulatorisch Rückschritte macht. Und da muss man sehr genau aufpassen, dass eben genau dieses nicht passiert, wobei unsere Forderungen viel weitergehender sind als diese marginalen Korrekturen.
Kindermann: Hat die Deutsche Bank ihre Hausaufgaben nach der Finanzkrise gemacht?
Eibl: Das zeigt sich ja auch an der aktuellen Entwicklung, dass man viel zu lange daran geglaubt hat, im bisher bekannten Stil weiterzumachen, der Aufstieg jetzt von Wirecard in den Dax zeigt ja auch, dass sich die Bankenstruktur, die Struktur der Finanzdienstleistungen grundlegend ändert, dass wieder die Dienstleistung im Vordergrund steht und nicht die Spekulation. Und wenn sich da die großen deutschen Banken ein Beispiel nehmen würden und diese notwendigen Umstrukturierungen schneller vornehmen würden, wäre das nur hilfreich. Was nicht notwendig ist, ist sozusagen, dass man diesen Prozess auch noch mal staatlich unterstützt, sozusagen den Banken noch mal Geld gibt, um jetzt noch mal konkurrenzfähiger zu werden, das ist absolut nicht notwendig. Was wir brauchen, ist eine neue Zielrichtung der Aktivitäten im Bankenbereich.
Kindermann: Herr Eibl, vielen Dank für das Gespräch!
Eibl: Gerne.
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