Stephen Nelson steuert sein Auto entlang verlassener Straßen. Rechts und links wuchern wilde Müllhalden zwischen leeren, verbuschten Grundstücken. Vor einem Betonfundament, aus dem eine ins Nichts führende Treppe hervorragt, steigt er aus und zündet sich eine Zigarette an.
"Das hier ist der Lower Ninth Ward, der am stärksten zerstörte Teil der Stadt und derjenige, der sich seit Katrina am langsamsten erholt."
Stephen Nelson ist Geologe an der Tulane University in New Orleans. Eigentlich erforscht er Vulkane, aber nach dem Hurrikan fing er an, sich für die Geologie seiner Heimatstadt zu interessieren.
"Ich habe hier zwei Satellitenbilder, aufgenommen vor und nach Katrina. Sie sehen den Industrial Canal mit seiner Flutmauer und davor den Lower Ninth Ward. Sie können die Straßen erkennen, es gibt viele Bäume und auf fast jedem Grundstück steht ein Haus."
Dann zeigt Stephen Nelson auf das zweite Bild.
"Das hier ist eine Aufnahme vom 31. August, zwei Tage nach Katrina. Hier sieht man, dass ein Teil der Flutmauer fehlt. Dort sind die Wassermassen durchgebrochen und haben alle Häuser jenseits des Deichs weggerissen. Weiter hinten erkennt man, dass die Häuser kreuz und quer stehen. Das liegt daran, dass sie auf Pfählen gebaut waren, sich durch die Fluten losrissen und zu herumtreibenden Booten wurden."
Schutzmauern waren zu niedrig
Die Schutzmauern entlang des Kanals seien niedriger gewesen, als sie hätten sein dürfen, sagt Stephen Nelson. Das für den Bau verantwortliche Army Corps of Engineers habe sich bei der Planung schlicht verrechnet und sei von einer falschen Höhe über Normalnull ausgegangen. So überspülte das Wasser die Mauern und weichte das Erdreich auf der Landseite auf. Die Stahl- und Betonmauern verloren ihren Halt und kippten um. Die erste Flutwelle begrub den Stadtteil unter sechs Metern Wasser. Insgesamt brachen in New Orleans Deiche und Flutmauern an etwa 50 Stellen. 80 Prozent der Stadt wurden überschwemmt. Zehntausende von Häusern standen zum Teil wochenlang unter Wasser. Mehr als 1800 Menschen starben.
"Es gebe eine ganze Reihe von Spekulationen darüber, warum New Orleans so schwer getroffen wurde", sagt Simon Boxall. Der Meeresforscher untersucht am Nationalen Ozeanografiezentrum in Southampton tropische Wirbelstürme und ihre Folgen.
"Natürlich ist es nicht besonders hilfreich, unterhalb des Meeresspiegels zu liegen. Aber die zentrale Frage ist, inwieweit der Hochwasserschutz der Stadt funktioniert hat. Es gab zahlreiche Hinweise darauf, dass die Deiche und Flutmauern nicht geeignet waren. Und wenn solche Schutzsysteme versagen, werden sie selbst zum Problem. New Orleans ist ja umgeben von Deichen und Wällen. Dringt da Wasser ein, halten diese Deiche das Wasser in der Stadt. Dann haben Sie stehendes Wasser, das sehr schnell sehr unangenehm wird. Seuchen und dergleichen breiten sich aus."
Am schlimmsten traf es den Stadtteil Lower Ninth Ward. Bis heute ist nur ein Bruchteil der Häuser in dem armen Arbeiterviertel wieder aufgebaut worden. Die wenigsten Menschen hier waren gegen Hochwasser versichert. Es gab zwar Hilfszahlungen der Bundesregierung für die Flutopfer, aber diese waren an Bedingungen gebunden, sagt Stephen Nelson.
"Die wichtigste dieser Regeln war: Die Bürger mussten nachweisen, dass das Grundstück ihnen gehörte. Nun, wenn die Besitzurkunde in ihrem Haus war, und ihr Haus jetzt in Trümmern über die gesamte Gemeinde St. Bernard Parish stromabwärts verstreut ist, haben sie ziemliche Probleme, das nachzuweisen."
In den Jahren nach der Flutkatastrophe wurde ein fast drei Kilometer langes Sturmflutwehr am östlichen Stadtrand errichtet. Es sollte die Stadt von jenen Kanälen abschotten, die während des Hurrikans die Wassermassen bis in die Innenstadt gebracht hatten. Denn das Delta des Mississippi ist vor den Toren New Orleans von einem Netz künstlicher Wasserstraßen durchzogen. Nach Ansicht vieler Küstenforscher sind sie mitverantwortlich für das Ausmaß der Katastrophe im August 2005.
Natürliche Feuchtgebiete sind Schutz
John Lopez von der Lake Pontchartrain Basin Foundation steuert sein Boot durch die Feuchtgebiete vor der Küste New Orleans. Er stoppt an einem kleinen Inselchen zwischen zwei Kanälen.
"Die Kanäle stören die Hydrologie der Feuchtgebiete. Und wenn Sie die Hydrologie verändern, verändern Sie die gesamten Feuchtgebiete."
Durch die meist für die Schifffahrt angelegten Kanäle gelangt Salzwasser vom Ozean in die Feuchtgebiete und tötet die Bäume und Gräser dort. Der sumpfige Boden verliert an Halt und erodiert. Alle 45 Minuten verschwindet Land von der Fläche eines Football-Feldes im Meer.
"Seit Katrina hat eine ganze Reihe von Studien gezeigt, wie stark intakte Feuchtgebiete die Sturmfluten eines Hurrikans abpuffern können. Denn in ihnen können die Wassermassen nicht so schnell fließen. Die Wellen können sich dadurch nicht mehr so hoch auftürmen und eine Überspülung der Deiche wird unwahrscheinlicher. Gleichzeitig sind die Strömungen weniger stark und so kommt es seltener zu Deichbrüchen. Intakte Feuchtgebiete dienen also der Risikominderung, indem sie das Wasser abbremsen."
Es sei deshalb enorm wichtig, die noch vorhandenen Feuchtgebiete zu renaturieren, sagt John Lopez. Denn das neue Sturmwehr allein reiche nicht aus, um New Orleans auf Dauer vor tropischen Wirbelstürmen zu schützen.