Archiv

Zehn Jahre nach "Katrina"
Ölindustrie soll für Küstenschutz zahlen

Vor zehn Jahren, am 29. August 2005, traf Hurrikan "Katrina" östlich von New Orleans auf die Küste von Louisiana. Rund 1.800 Menschen verloren das Leben. Aber nicht nur wegen der Naturgewalt, sondern auch, weil der Küstenschutz lange stark vernachlässigt wurde zugunsten der Ölindustrie. Die soll endlich für künftige Maßnahmen zahlen, fordern Kritiker.

Von Simone Unger und Benjamin Arnold |
    Eine Satellitenaufnahme des Mississippi-River-Deltas, Louisiana, USA
    Das Meer frisst immer mehr Land in Louisiana. Eine Satellitenaufnahme des Mississippi-River-Deltas. (imago / UIG)
    Zehn Jahre nach der Katastrophe befindet sich New Orleans im Aufschwung. Straßenmusiker spielen in den Gassen der Altstadt, nicht weit entfernt vom Superdome, jenem Sportstadion, in dem damals rund 20.000 Menschen vor den Wassermassen Zuflucht suchten. Katrina habe die Stadt für immer verändert, berichtet diese Einwohnerin. "Das Wasser stand uns bis zur Brust. Wir waren nur zwei Meilen vom Superdome entfernt, wo wir Wasser und Essen bekommen hätten, doch man sagte uns, der Weg dorthin sei zu gefährlich. Also haben wir zwei Tage lang auf einer Brücke geschlafen. Das ist eine Erinnerung, die nie niemals verschwinden wird. Ein Teil der Stadt wurde nie wieder aufgebaut."
    Und die Angst vor einem neuen Hurrikan ist groß. Regelmäßig wird die Region von Wirbelstürmen und Hochwasser heimgesucht. Die Menschen im Umland haben längst Vorkehrungen getroffen, so wie Kevin Belanger aus der Kleinstadt Houma im Süden Louisianas. "Die Voraussagen zeigen, dass diese gesamte Region irgendwann unter Wasser stehen wird. Der Golf kommt immer näher an unsere Häuser heran. Wie ihr seht, haben wir unsere Häuser bereits auf Stelzen gebaut, früher standen sie einfach auf dem Boden."
    Bis zu fünf Meter über dem Boden stehen die Stelzenhäuser nahe der Küste. Auch weil der Golf von Mexiko sich immer weiter in das Inland frisst. Etwa 5.000 Quadratkilometer Land sind in den letzten Jahrzehnten bereits im Meer verschwunden, das entspricht der doppelten Größe des Saarlandes. Denise Reed, wissenschaftliche Leiterin des Water Institute of the Gulf, forscht seit 30 Jahren zu den Ursachen für diesen massiven Landverlust. "Wir haben sehr viel Land an das Meer verloren. Sümpfe, Marschland, Inseln - das steht heute alles unter Wasser. Das hat verschiedene Gründe. Einmal sind es natürliche Prozesse, wie das Auftreten von Wirbelstürmen und das Absinken des Bodens. Und dann haben wir die vom Menschen verursachten Veränderungen, wie zum Beispiel durch die Industrie, die an der Küste riesige Mengen von Öl und Gas fördert."
    Eine Frau geht vor einer Wand aus Geröll und Schrott - aufgetürmt durch die Flutwelle, die der Hurrikan Katrina am 29. August 2005 durch New Orleans schob. (Aufnahme vom 21. Oktober 2005)
    Eine Frau geht vor einer Wand aus Geröll und Schrott - aufgetürmt durch die Flutwelle, die der Hurrikan Katrina durch New Orleans schob. (picture alliance / dpa - Bevil Knapp)
    Eindringendes Salzwasser zerstört die Wälder
    Um eine Infrastruktur in den Sümpfen Louisianas herzustellen, hat die Öl- und Gasindustrie die Küstenregion mit einem riesigen Netz aus Kanälen durchzogen. Über diese Kanäle ist auch Meerwasser in die Süßwassergebiete eingedrungen und hat die natürliche Vegetation kontinuierlich zerstört, so Denise Reed. "Das natürliche Gleichgewicht zwischen Salz- und Süßwasser wurde gestört. Das Salzwasser dringt immer weiter in das Landesinnere vor. Und viele der Pflanzen, die an Süßwasser angepasst sind, können so nicht überleben. Heute sehen wir überall das, was wir Geisterwälder nennen, die Bäume sind alle tot."
    Die Wälder sterben ab, der Boden erodiert. So geht die wichtige Pufferzone verloren, die die gewaltige Kraft der Wirbelstürme und Hochwasser abfängt. Eine Bedrohung, auch für New Orleans. John Barry, ehemaliger Vizepräsident der Küstenschutzkommission Southeast Louisiana Flood Protection Authority, ist überzeugt: Dass "Katrina" die Stadt derart verwüsten konnte, liegt vor allem auch an den Eingriffen der Ölindustrie in das ökologische System der Region. Er fordert, dass die Industrie den Schutz der Küste mit finanziert. "Die Realität sieht doch so aus: Wenn die Industrie nicht einen wichtigen Beitrag leistet - und damit rede ich von einigen Milliarden Dollar, um die Küste zu wiederherzustellen - dann wird es niemand sonst tun. Weder die Steuerzahler der Vereinigten Staaten noch die Steuerzahler Louisianas."
    Ölkonzerne wollen nicht für Folgeschäden haften
    Im Auftrag der Küstenschutzkommission hat Barry geklagt - gegen 88 ÖL-und Gasfirmen, um sie zur Verantwortung zu ziehen. Die Aussichten auf Erfolg sind in dem vom Öl dominierten Bundesstaat jedoch eher gering. "Verantwortlich zu sein bedeutet nicht zwangsläufig, dass man auch für die Konsequenzen zahlen muss. Es hängt von der Abmachung ab. Es gab einen Vertrag und eine Lizenz, um diese Kanäle zu graben."
    Mit anderen Worten: Für Folgeschäden kann die Industrie nicht haftbar gemacht werden, weil das in der Bauerlaubnis nicht vorgesehen war. Doch klar ist, Louisiana muss handeln. Denn Forscher gehen davon aus, dass in den nächsten 15 Jahren weitere 1.000 Quadratkilometer Land im Meer verschwinden werden.