"Ach Scheiße, das ist jetzt eh durchgeweicht, die müssen wir eh austauschen, aber ich habe noch welche dabei."
In der Nacht hat es geregnet, die Wahlkampfzettel sind nass geworden. Doch selbst wenn Simon Kowalewski flucht, klingt er dabei noch freundlich. Er ist unter anderem tier- und verbraucherschutzpolitischer Sprecher der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Auf dem veganen Sommerfest am Alexanderplatz hat er einen Wahlkampf-Stand. Am 18. September wird in Berlin gewählt, und Simon Kowalewski kandidiert noch einmal. Ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen – in den Umfragen liegen die Piraten irgendwo zwischen nicht messbar und drei Prozent.
"Die einzige Partei, die wirklich sagt: Wir machen Oppositionsarbeit, die fällt irgendwie komplett hinten runter, ich verstehe es selber nicht. Irgendwas ist da schief gelaufen."
2011 erzielten die Piraten bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 8,9 Prozent der Stimmen. Aus dem Stand errangen sie 15 Mandate. Jetzt droht ihnen das Aus. Simon Kowalewski gibt sich trotzdem zuversichtlich. Auf den Wahlplakaten sieht man ihn grinsend, mit bunt gefärbten, schulterlangen Haaren.
"Na, wir hatten einfach ein ganz tolles Fotoshooting mit einem tollen Fotografen, der einfach auch mit seinen Leuten umgehen konnte, und das ist neben diesem dringenden Bedürfnis, auch die Welt ändern zu wollen, weil sie gerade tatsächlich vor unseren Augen vor die Hunde geht, ist natürlich, dass es einfach Spaß macht, auch ein wichtiger Punkt dabei zu bleiben. Und weiterhin für gute Sachen zu kämpfen."
Fahrscheinloser Nahverkehr und bedingungsloses Grundeinkommen
Zum Beispiel für den fahrscheinlosen Nahverkehr oder das bedingungslose Grundeinkommen. Allerdings spricht und schreibt kaum noch jemand über die Ideen und Forderungen der Piraten. Der Stimmung scheint das aber nicht zu schaden, die sei…
"Tatsächlich überraschend gut. Das war mein erster persönlicher Eindruck", sagt zumindest Mario Tants. Er ist für die Pressearbeit der Piratenfraktion im nordrhein-westfälischen Landtag verantwortlich. Auch in NRW werden die Piraten im kommenden Jahr wohl nicht noch einmal den Sprung ins Parlament schaffen.
"Es wird hier viel gelacht. Es ist keine Untergangsstimmung, wie man meinen könnte, sondern es ist ganz konstruktiv noch. Wie können wir in der Zeit auf jeden Fall noch etwas verändern – und wie können wir unsere Ziele umsetzen."
Vor zehn Jahren, am 10. September 2006, wurde die Piratenpartei Deutschland gegründet. Die Gründungs-Idee: Die digitale Revolution mitzugestalten, zum Beispiel mit der sogenannten Liquid Democracy, einem Verfahren demokratischer Mitbestimmung über das Internet. Datenschutz, Informationsfreiheit, freier Wissensaustausch, das waren die Themen, mit denen die Piraten groß wurden.
Ernüchterung hat sich breitgemacht
Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern war auch die deutsche Piratenpartei anfangs sehr erfolgreich: Es gelang ihr, in insgesamt vier Landesparlamente sowie das Europa-Parlament einzuziehen. Anfang 2012 sahen Meinungsumfragen die Piraten bundesweit schon bei 14 Prozent. Doch die Hochphase ist längst vorbei, Ernüchterung hat sich breitgemacht, Wahlen werden die Piraten in nächster Zeit wohl nicht mehr gewinnen. Woran aber sind sie gescheitert?
"Ich denke an eine Übersetzung der digitalen Gesellschaft in ein Partei-Format. Frühzeitig, vor allen anderen, eine Angebotslücke entdeckt und damit vor allen Dingen bei einer jüngeren Zuhörerschaft, Zuschauerschaft, Wählerschaft, wie auch immer, zu punkten", sagt Karl-Rudolf Korte, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Doch: Warum ist das nicht gelungen, die entdeckte Angebotslücke in dauerhaften politischen Erfolg umzuwandeln? Warum konnten sich die Piraten nicht nachhaltig etablieren? Was haben sie falsch gemacht? Und vor allem: Was bleibt?
Zank und Streit – bis unter die Grütellinie
Zehn Jahre Piratenpartei – das waren auch zehn Jahre Zank und Streit. Bis unter die Gürtellinie. Hinter verschlossenen Türen wie auf öffentlich zugänglichen Plattformen im Netz.
Es wurde beleidigt, kritisiert, gestänkert – und die Öffentlichkeit las amüsiert mit, etwa auf Twitter oder Facebook.
"Es gab tatsächlich Zeiten, wo einfach ein offener Krieg herrschte. Beruhte vor allem scheinbar auf irgendwelche verletzten Persönlichkeiten", sagt der Berliner Abgeordnete Simon Kowalewski.
Schon wenige Wochen, nachdem die Piraten 2011 ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen waren, mussten sie für ihre Fraktion einen Mediator zu Hilfe rufen. Die ärgsten Grabenkämpfe gehören zwar mittlerweile der Vergangenheit an, aber Parlamentarier wie Christopher Lauer ereifern sich immer noch über die Arbeitsweise mancher Fraktionskollegen.
"Es ist nach außen hin schwierig zu vermitteln, gegen was für Widerstände man in der Fraktion teilweise ankämpfen musste, um eine ordentliche Arbeit machen zu können. Ich bleibe auch dabei, dass es auch nach fünf Jahren Mitglieder der Piratenfraktion gibt, die keine Ahnung davon haben, wie der parlamentarische Ablauf in einem Parlament ist. Und da kann man viel sagen: 'Ja, lasst uns doch irgendwie zusammenreißen und ne gute Arbeit machen', das setzt voraus, dass diese Leute alle in der Lage gewesen wären, eine gute Arbeit zu machen."
Viele Piraten seien dazu nicht bereit gewesen, kritisiert Lauer. Das seien Computernerds mit einem digitalen Politikverständnis: Für sie gebe es nur richtig oder falsch, null oder eins.
"Ich glaube, das war den meisten Leuten irgendwie nicht klar, dass Politik natürlich auch eine wahnsinnige Kulturtechnik ist, und das war aber ein Verständnis, was den Piraten abging, was denen auch heute noch meiner Meinung nach abgeht, und jetzt gruselt es mich, weil ich das Gefühl habe: Es hat eher so den Charakter einer Sekte."
Gemeinsam mit dem Blogger Sascha Lobo veröffentlichte Christopher Lauer 2014 ein Buch. Titel: "Aufstieg und Niedergang der Piratenpartei". Anschließend trat er aus der Partei aus, in der Fraktion arbeitete er weiter. Sieben von 15 Parlamentariern haben die Partei mittlerweile verlassen, ihr Mandat aber behalten. Es ist erstaunlich, dass die Gruppe es bis heute geschafft hat, als Fraktion arbeitsfähig zu sein. Und fleißig: Mehr als 2.000 kleine und schriftliche Anfragen stellten Mitglieder der Piratenfraktion in der vergangenen Legislaturperiode.
Inhaltlich haben sich einzelne Fraktionsmitglieder einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Auch Christopher Lauer, bis heute innen- und gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion. Auf seine Initiative hin entstand die Gewaltschutzambulanz an der Charité. Sie ermöglicht es Opfern sexueller Gewalt, Spuren sichern zu lassen, ohne Anzeige erstatten zu müssen. Er war es auch, der im vergangenen Jahr angesichts der mageren Bilanz von Innensenator Frank Henkel, während einer Plenardebatte die freche Frage stellte: "Was macht Herr Henkel eigentlich beruflich?"
"Wir sind ja sogar an dem Punkt angelangt, wo Anträge von uns, wo es darum ging, den Staatstrojaner nicht einzusetzen, in abgeänderter Form übernommen worden sind, und die Koalition aus SPD und CDU einen Antrag zum Beispiel stellte, dass der Bundesgesetzgeber erst mal eine Rechtsgrundlage für den Einsatz des Staatstrojaners schaffen soll, also da habe ich im Innenausschuss auf jeden Fall eine beharrliche Oppositionsarbeit geleistet, ich persönlich kann da auf jeden Fall, auf einiges zurückblicken, was erreicht worden ist."
Viele haben sich innerlich längst von den Piraten verabschiedet
Nach fünf Jahren Opposition gibt es im Berliner Abgeordnetenhaus viele Piraten, die von den politischen Mitbewerbern und Beobachtern geschätzt werden. Ganz vorne im Ranking: Martin Delius, seit zwei Jahren Fraktionsvorsitzender.
"Ich war nicht für die Piraten tätig, schon lange nicht mehr, ich war für die Piratenfraktion tätig. Um das mal festzuhalten. Gerne auch immer wieder. Für die Piratenpartei habe ich hier nix gemacht, ich habe für die Berlinerinnen und Berliner was gemacht, und das ist auch mein Selbstverständnis."
Forsch und entschieden distanziert sich Martin Delius vom Piratenprojekt. Seit 2009 war er dabei, im Dezember 2015 trat er aus der Partei aus, wie auch viele andere. Er hatte, so seine Begründung, die Faxen dicke, sich ständig für das Gebaren einzelner Piraten rechtfertigen zu müssen. Innerlich hatte er sich längst von der Partei verabschiedet. Umso beeindruckender findet er es, wie konstant die Fraktion Arbeit weggeschafft habe. Ohne Netzwerke und ohne funktionierende Parteistrukturen.
"Mein Eindruck ist, dass die Piratenpartei es nie geschafft hat, eine politische Diskursgrundlage zu bilden. Beschlüsse, selbst von Bundesparteitagen, sind weder von Bundesvorständen noch von Arbeitsgruppen oder Einzelpersonen eingehalten worden; es gab nicht im Ansatz eine politische Grundlage für eine Konformität, die Auseinandersetzung wurde nicht an Inhalten, sondern an Personen geführt, auf der Basis kann man keine Programmentwicklung betreiben, auf der Basis kann man keine politischen Mehrheiten weder innerhalb der Organisation noch außerhalb der Organisation erstreiten. Und das muss dann in sich zusammenfallen."
Leistungsträger wie Martin Delius konnten sich über die Grenzen Berlins hinaus profilieren. Mit großer Akribie leitete Delius vier Jahre lang den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Kosten- und Terminüberschreitungen beim Skandalflughafen BER. Den Abgang Klaus Wowereits verbucht er auch als eigene Leistung.
"Na ja, ein Regierender Bürgermeister muss zurücktreten, ich weiß nicht, ob man sich als Opposition und als Oppositionspolitiker einen größeren Erfolg vorstellen kann."
Delius: "Das Experiment Piratenpartei ist gescheitert"
Die Piraten als Partei haben davon allerdings nie profitiert. Am Anfang des Piraten-Hypes gelang es der Partei noch, ein progressives Protestpublikum zu binden und die digitale Revolution politisch neu zu verorten. Dafür kamen ihre Vertreter zu Recht ins Berliner Abgeordnetenhaus. Jetzt, fünf Jahre danach, haben sie längst andere Politikfelder besetzt. Doch dafür werden die Piraten am 18. September vermutlich nicht wieder gewählt. Richtig so, sagt Martin Delius.
"Ja, das Experiment Piratenpartei ist gescheitert. Das heißt nicht, dass es nicht auch Platz gäbe für ein neues progressives Projekt mit einem zukunftsorientierten Hintergrund, wo nicht mehr die Technik im Vordergrund steht, sondern die Gesellschaft der Zukunft auch zu diskutieren und politisch umzusetzen, das heißt aber auch genauso wenig, dass es die Piratenpartei ist. Und ich glaube nicht, dass sich die Piratenpartei aus dem, was in den letzten Jahren so an Entwicklung vonstattengegangen ist, sich wieder erholt."
Die Piraten und der "Digitalen Kompass" in NRW
Kürzlich im nordrhein-westfälischen Landtag. Die Piratenfraktion hat eingeladen; sie will ihren "Digitalen Kompass" vorstellen. Es sind nur drei Journalisten gekommen. 36 Kapitel umfasst das Piratenkonzept für die Digitalisierung, es geht um eine Online-Plattform und die Einbindung interessierter Bürger, um den Zugang zu öffentlichen Daten und die Teilhabe für Gefangene bis hin zu "Whistle-Blowing"-Plattformen. Ende Oktober soll der Digitale Kompass auf einer Fraktionssitzung beschlossen werden. Für Monika Pieper, die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion, geht es dabei um die Gründungs-Idee der Piraten:
"Weil er unser Kern-Thema behandelt, aber er zeigt ganz deutlich auch: Digitalisierung ist ja umfassend. Das hat was mit Sozialpolitik zu tun. Es hat was mit Gesundheitspolitik, mit Umweltpolitik zu tun. Das heißt: Wir besetzen im Grunde, durch diesen Digitalen Kompass ja alle anderen Themen auch, weil wir uns mit den Folgen der Digitalen Revolution auf die einzelnen Fach-Bereiche beschäftigen, und ich glaube, das zeigt auch noch mal, wie breit wir eigentlich aufgestellt sind."
Das Konzept kommt allerdings reichlich spät, das weiß auch die Landtagsabgeordnete Pieper. Doch: Auch Politik will gelernt sein:
"Also wir sind in den Landtag gekommen und haben letztendlich erst versucht, in jedem Ausschuss mitzuspielen, Themen zu identifizieren, haben ganz viele Anträge geschrieben, auch zu Themen, die nicht zu unseren Kernthemen gehören."
Und sich so verzettelt. Wie in Berlin gab es auch in NRW Personal-Probleme. Zwei Abgeordnete verließen die Fraktion, aus 20 wurden 18. Einer hat sich zur CDU verabschiedet, ein weiterer ist fraktionslos. Und statt mit einem geschlossen Politikkonzept zu überzeugen – wie nun vielleicht mit dem "Digitalen Kompass" – sind es einzelne Komponenten, die stehenbleiben: Wie etwa das sogenannte Fan-Hearing, bei dem Fußball-Fans in den Landtag eingeladen wurden, um über ihre Anliegen zu sprechen.
Ähnlich wie Martin Delius im Untersuchungsausschuss zum Hauptstadtflughafen BER – schafft es in NRW, eine Piratin zu glänzen: Simone Brand überzeugt mit ihrer nüchternen, seriösen Arbeit im Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht. Doch: Das Kernanliegen Digitalisierung geriet dabei in den Hintergrund.
"Wenn es darum geht, zwischen Freiheit und Sicherheit abzuwägen, hat man dazu von den Piraten nichts gehört, in dem es darum ging, wie frei wir sind oder wie unfrei wir sind, im Umgang mit Mails, mit Internet, mit sozialen Medien, haben die Piraten es versäumt, dies in die Alltagsthemen zu übertragen", sagt Karl-Rudolf Korte, der Parteienforscher der Universität Duisburg-Essen. Für ihn sind die Piraten auch gescheitert, "weil sie die Grundprinzipien für Mobilisierung nicht beherzigt hatten. Dazu gehört eine klare Personalisierung, nach wie vor, gegenüber den Wählerinnen und Wählern. Und es gehört immer auch dazu, eine Agenda setzen zu ihren Themen. Nur aus einem Grundgefühl heraus gewählt zu werden, kann einmal auch als Protestpartei gelingen, aber das gilt nicht nachhaltig."
Am Anfang oft mit den Grünen verglichen
Am Anfang wurden die Piraten oft mit den Grünen verglichen, die sich in den 1980er-Jahren etablierten. Aber:
"Die Grünen haben die Angebotslücke Ökologie mit Alltagsthemen übersetzt. Die Piraten haben das Thema nie übersetzt in die Alltagsthemen – auch hier in NRW nicht."
Dennoch haben die Piraten etwas bewirkt, auch bei den anderen Parteien, sagt der Politikwissenschaftler:
"So Mitmach-Formate in allen Parteien zu entwickeln. Nicht nur Software getrieben, wie bei den Piraten, sondern durchaus auch in alt-analogen Versionen. Aber der Grundsatz einer täglichen modernen Partizipation, der wird bleiben."
Bei Internet- und Digitalisierungs-Themen haben die Piraten den anderen Parteien also Beine gemacht. Trotzdem werden sie bei den kommenden Wahlen vermutlich keine Rolle mehr spielen. Ist das Ende der Piraten in den Parlamenten in Deutschland damit besiegelt? Professor Korte windet sich: Sag niemals nie, so der Wissenschaftler. Sein Fazit nach zehn Jahren Piraten:
"Wir haben wählerische Wähler und bei Angebotslücken oder wenn macht-arrogant Themen ausgeschlossen werden, gibt es über Nischen immer die Möglichkeit, sich mit diesen neuen Themen zu parlamentarisieren. Da ist nichts statisch, nichts starr. Da ist viel Bewegung, viel Dynamik und das ist auch die Chance für neue Parteien, auch zukünftig zu reüssieren."
Ein Clip im Internet über das Projekt "aula – Schule gemeinsam gestalten", das ist eine Initiative des Projektes politik-digital e.V., unterstützt von der Bundeszentrale für politische Bildung. Und von Marina Weisband, der einstigen Vorzeigefrau der Piraten, die von Mai 2011 bis April 2012 deren politische Bundes-Geschäftsführerin war. In dem Clip erklärt Weisband ihr Projekt:
"Aula steht für Ausdiskutieren und live abstimmen."
Dass es ein Leben nach der Politik gibt, zeigt Weisbands Beispiel. Und: dass man dabei trotzdem seinen Ideen treu bleiben kann.
"Aula ist ein Projekt, das Schülern ermöglichen soll, ihre eigene Schule und ihr Umfeld zu gestalten – und zwar demokratisch und mit eigenen Ideen. Es besteht aus einer Software und einem didaktischen Begleitmanual."
Im Herbst beginnt die Pilotphase von Aula an verschiedenen Schulen. Weisband, einst als Star gefeiert, blickt selbstkritisch auf ihre Piraten-Zeit zurück:
"Als wir, durch das Programm, das wir hatten und das unser Kern war und das wir gut konnten, populär geworden sind, sind sofort alle über uns hergefallen und haben gesagt: Was ist mit Euren wirtschaftlichen Themen? Was ist mit Euren außenpolitischen Themen? Wir hatten kaum Zeit und wir haben dem nachgegeben, anstatt zu sagen: Nein, dies sind unsere Themen für jetzt. Und wir bauen uns langsam auf und wir beziehen die Bürger damit ein."
Vor einiger Zeit ist sie aus der Partei ausgetreten, heimlich, still und leise. Sie wollte sich nicht distanzieren. Aber: Zu ihrer neuen Arbeit an Schulen passe eine Parteimitgliedschaft eben nicht. Doch an die Grundidee der Piraten glaubt sie weiterhin: mit technischen Möglichkeiten für mehr Beteiligung und Demokratie zu sorgen.
"Die Idee der Liquid Democracy hat mich nicht losgelassen. Gleichzeitig bin ich ein Mensch, der schon immer in der Bildung angesiedelt war. Ich wollte am Anfang Lehrerin werden. Und als ich dann gesehen habe, ich könnte das nicht, weil das Schulkonzept Scheiße ist, wollte ich Psychologin werden und bessere entwickeln. Dann habe ich Psychologie studiert, hab gesehen, es gibt schon bessere Konzepte, die sind nur noch nicht politisch umgesetzt und bin in die Politik gegangen. Hab gesehen politisch wird sich einfach nichts verändern – und deswegen mache ich jetzt so guerillamäßig von der Seite."
Sie glaubt weiterhin fest daran:
"Man muss also, die Liquid Democracy, wenn sie jemals was werden soll, dann muss sie von Anfang an Menschen vermittelt werden. Und zwar jungen Menschen. Weil: Erwachsene sich einfach schon abgefunden haben mit ihrer Konsumentenrolle. Die denken: Joa, ich wähle mal aus, aus Parteien und wenn es mir nicht passt. Der Kunde ist König."
Und dagegen will Weisband ankämpfen. Es ist ihr Weg, das Erbe der Piraten fortzuführen.
Es fehlen die politischen Talente
Zurück in Berlin. Am Wahlkampfstand der Piraten auf dem veganen Sommerfest ist Patrick Schiffer eingetroffen, der neue Parteichef. Soeben frisch gewählt mit 59,2 Prozent der Stimmen. In den Medien wird häufig erwähnt, dass er der Cousin von Fotomodell Claudia Schiffer ist. Sein wichtigstes politisches Ziel? Die Partei breiter aufstellen und aus dem Umfragetief herausholen.
"Wir haben uns in den letzten zwei Jahren, auch in Reaktion auf innerparteiliche ich nenne es mal Störungen auf sehr wenige Themen zurückbesonnen und auch stark auf die netzpolitischen Themen konzentriert, wir haben aber in vier Landesparlamenten und sehr vielen kommunalen Parlamenten mittlerweile Erfahrungen sammeln können in allen Politikbereichen. Und diese Erfahrungen möchte ich auch auf Bundesebene heben und den Leuten, die dort Kompetenz aufgebaut haben und auch Kontakte geknüpft haben mit den örtlichen NGOs, mit den örtlichen Politikern, mit Verbänden, diesen Menschen möchte ich irgendwie auf Bundesebene auch ne Bühne bieten."
Auf das irgendwie darf man gespannt sein. Politische Talente wie Marina Weisband, Martin Delius oder Christopher Lauer gibt es nur noch wenige in der Piratenpartei.