Susanne Lürweg: Heute vor zehn Jahren trat der damalige Apple-Chef Steve Jobs vor seine Anhänger und präsentierte, so seine Worte, eine revolutionäre neue Technik: ein Smartphone, das gleich drei Dinge vereinte, ein iPod, ein internetfähiges Gerät und dann doch zu guter Letzt sogar auch noch als Telefon funktionierte. Smartphones gab es zwar schon vorher, aber keines, das unser Leben, unsere Gesprächskultur, unser Miteinander so nachhaltig veränderte wie das iPhone – so zumindest ist das ja unser aller Gefühl. Aber ist das tatsächlich so? Die Frage gebe ich mal direkt weiter an Angela Keppler, sie ist Soziologin an der Universität Mannheim und forscht unter anderem zum Thema Smartphones. Frau Keppler, schönen guten Tag!
Angela Keppler: Einen guten Tag!
Lürweg: Frau Keppler, ist das auch Ihr Gefühl, haben Sie direkt vor zehn Jahren gedacht, als das iPhone auf den Markt gekommen ist, das wird unser Leben sehr verändern?
Keppler: Vor zehn Jahren vermutlich noch nicht, aber ich würde aus heutiger Sicht die Diagnose durchaus teilen. Wobei man da auch sagen muss: Eigentlich mit jedem neuen Medium hat sich unsere Gesellschaft und auch unsere Kommunikation relativ radikal verändert, das war schon mit der Schrift so, das war mit dem Fernsehen so, mit dem Film so. Aber dennoch, ja, ich denke, das Smartphone hat auch noch mal die Veränderung, die das Mobiltelefon mit sich brachte, in einem höheren Maße dann noch gesteigert, die Veränderung, die wir dadurch erleben.
"Smartphone hat nicht nur die Erreichbarkeit von uns selbst für andere gesteigert"
Lürweg: Es ist ja so ein bisschen das Gefühl, es gibt gar keine Gesprächsrunden mehr ohne dass ein Smartphone in der Mitte wohnt und immer wieder das Gespräch unterbricht, weil einer draufguckt, einer draufzeigt. Ist das jetzt so viel besser oder schlechter?
Keppler: Das ist zunächst mal eine Veränderung. Und die ist in der Tat eine gravierende Veränderung, die sich in den letzten, vor allem in den letzten Jahren, den letzten zehn Jahren eingestellt hat. Das liegt daran, dass das Smartphone in einer Art und Weise nicht nur die Erreichbarkeit von uns selbst für andere gesteigert hat, sondern eben auch diese Funktion der Verbundenheit mit anderen. Das heißt, gerade durch das Smartphone haben wir diese Mischung der Situation, dass wir mit körperlich anwesenden anderen sprechen können, und gleichzeitig mit körperlich abwesenden auch in irgendeiner Form in Verbindung stehen. Das erleben wir, diese Revolution erleben wir in der Tat durchs Smartphone.
Lürweg: Und es ist ja auch so, also, dieses Gefühl, jeder guckt auf dieses Smartphone, wenn man im Zug sitzt, wenn man im Bus sitzt, wenn man irgendwo steht … Das kann aber ja bedeuten, das ist gar nicht so einsam, sondern vielleicht kommuniziert er ja in dem Moment mit jemand.
Keppler: Er kommuniziert mit jemandem, in der Tat, denke ich, ist es auch häufig diese Pausenfüller-, Lückenfüllerfunktion, genauso wie in einem Buch lesen oder in der Zeitung in gedruckter Form lesen. Was sich verändert hat, ist diese Gleichzeitigkeit der Beschäftigung. Und die Befürchtung, die wir ja alle haben, wenn wir so im Alltag diese Menschen sehen oder uns selbst beobachten vielleicht auch, ist ja die, dass dadurch die zwischenmenschliche Kommunikation ausstirbt.
"Was sich verändert hat, ist diese Gleichzeitigkeit der Beschäftigung"
Lürweg: Und ist das denn tatsächlich so? Also, würden wir uns besser unterhalten, hätten wir kein Smartphone? Oder haben wir uns damals besser unterhalten?
Keppler: Ob wir uns besser oder schlechter unterhalten, ist immer eine schwierige Frage, weil, besser oder schlechter ist ja auch subjektive Empfindung. Was wir … oder was ich feststellen konnte in meinen empirischen Untersuchungen, ist, dass wir uns nicht unbedingt weniger unterhalten. Also, dass diese Smartphones nicht dazu führen, dass diese alltäglichen Kommunikationen, dieses auch belanglose Miteinander-Reden, sei es in der Öffentlichkeit oder im privaten Kreis, dadurch ausstirbt. Das ist nicht der Fall.
Lürweg: Ja, weil, man würde ja denken, dass das ja auch so ein bisschen einsam macht beziehungsweise gewisse Arten der Kommunikation verhindert. Also, früher hat man jemanden nach dem Weg gefragt, heute guckt man einfach in sein Smartphone und muss gar keinen mehr ansprechen.
Keppler: Ja, manchmal passiert es aber auch, dass gerade man deshalb angesprochen wird, weil man ein Smartphone in der Hand hat und einen jemand dann fragt, können Sie mir sagen, wohin. Aber gut, das ist sicher der Ausnahmefall. Ja, diese Dinge verändern sich. Ich denke, das ist aber auch schon durch die Navigationsgeräte in den Autos, hat sich das auch schon gravierend verändert. Es entstehen aber neue Formen, es entstehen eben Formen des Austauschs, auch gerade des kommunikativen Austauschs in der Öffentlichkeit, die aufgrund dessen, was wir über das Smartphone an Informationen in unsere Gespräche einbringen können, entstehen.
Neue Kommunikationsetikette bei den "Digital Natives"
Lürweg: Das heißt, wir können im Grunde genommen mithilfe des Smartphones unser Themenfeld erweitern, weil wir immer wieder Informationen abrufen können übers Smartphone.
Keppler: Ja, wir können Informationen abrufen übers Smartphone, aber wir können auch gerade in Form des Gesprächs mit anderen, die wir schon kennen … Es ist nicht nur Information abrufen, sondern es ist auch das Teilen von Information. Und sei es zum Beispiel das Teilen von Fotografien, was heute in einem unerhörten Ausmaß angestiegen ist, dass wir uns wechselseitig unsere Fotos jederzeit überall zeigen können. Aber auch dass man auf Gesprächsverläufe, die man mit anderen über WhatsApp oder Telegram oder was immer hatte, dass auch die zum Teil in die Gespräche eingebracht werden und auch dadurch wieder neue Gespräche, neue Gesprächsfoki entstehen.
Lürweg: Ist es nicht vielleicht auch ein bisschen so ein Generationsding, sage ich jetzt mal ganz salopp, also Digital Natives, die benutzen das ganz normal, dieses Smartphone, das gehört für sie einfach dazu, und es sind eher die älteren Generationen, die das als störend empfinden?
Keppler: Ja und nein. Also, es gibt diesen Gap, es gibt diese Lücke zwischen den Digital Natives, wie wir sie gerne nennen, und den Älteren. Aber auch gerade die Digital Natives – und das finde ich wiederum einen sehr spannenden Punkt – entwickeln oder haben entwickelt durchaus ein Bewusstsein dafür, wann sie zum Beispiel in ihrer Kommunikation mit anderen die Smartphones auch mal weglegen oder eben nicht draufschauen oder nur kurz draufschauen. Also, da hat sich auch so was wie eine Kommunikationsetikette durchaus schon herausgebildet, die ich höchst spannend finde.
Lürweg: Wann schaut man denn drauf und wann nicht?
Keppler: Viele der jüngeren Menschen, der Digital Natives, sagen, dass sie in bestimmten Situationen, wenn sie mit jemandem ein intensives Gespräch führen wollen, dann die Geräte explizit weglegen. Das ist aber sicher die Ausnahmesituation. Die Normalsituation für alle jüngeren bis mittelalten Menschen heute ist, denke ich, dass diese beiden Formen der Kommunikation, die angesichtige und die wie auch immer gerätegestützte, Hand in Hand gehen. Und da gibt es so was wie eine Zeitdauer. Also, das hängt zum Beispiel daran, wie lange gucke ich drauf? Wenn mein Gegenüber moniert, hörst du mir überhaupt noch zu, guckst du mich überhaupt noch an, dann ist das ein klarer Indikator dafür, okay, entweder muss ich mich jetzt entschuldigen oder ich muss was ändern. Dafür gibt es eine Alltagspraxis und das finde ich das Interessante.
"Neue Routinen sind nicht immer nur was Schlechtes"
Lürweg: Ja, und interessant ist ja auch, also, ich sage mal … Das Smartphone hat sich ja rasant entwickelt, damals vor zehn Jahren, als Steve Jobs eben das iPhone auf den Markt geschmissen hat, da gab es ein paar Funktionen, heute gibt es unfasslich viele Apps und die entwickeln sich immer weiter. Das heißt, das wird doch auch unseren Alltag immer weiter verändern und sicherlich auch unsere Gesprächskultur, oder?
Keppler: Das hat unseren Alltag schon gravierend verändert, inwieweit es ihn noch weiter verändern wird, ist immer schwierig in die Zukunft zu gucken. Unsere Gesprächskultur hat sich schon verändert, aber unsere Gesprächskultur hat sich nicht nur negativ verändert dadurch. Das ist ein Punkt, der mir immer wichtig ist: Veränderung ja, aber nicht unbedingt immer nur zum Schlechten. Natürlich schafft das iPhone oder schaffen die Smartphones auch Probleme, sie schaffen Probleme dieses Gefühls der permanenten Erreichbarkeit, auch dieser permanenten Verbundenheit mit anderen, die einen dann immer wieder dazu zwingt, jetzt schnell noch diese Nachricht zu schicken oder auf diese Nachricht zu antworten. Das sind sozusagen Herausforderungen, die durch die Technik entstehen. Das Entscheidende ist aber, dass sich im Gebrauch dieser Technik und gerade im Gebrauch dieser Technik auch im Rahmen von Gesprächen, von alltäglich-mündlichen Gesprächen, so was wie eine neue Routine herausbildet. Und neue Routinen sind nicht immer nur was Schlechtes.
Lürweg: Aber ist es nicht ein bisschen auch inzwischen schon so: Früher war es ein Luxus, ein Smartphone, ein iPhone zu besitzen, heute ist der Luxus, keins zu besitzen, sondern zu sagen, da verweigere ich mich und entschleunige ich mich und habe nur noch ein ganz schnödes Handy, mit dem ich einfach nur telefonieren und vielleicht mal eine SMS verschicken kann?
Keppler: Ja, das könnte man, kann man und könnte man so interpretieren, dass diese Nichterreichbarkeit oder das Sich-Ausklinken aus dieser permanenten Erreichbarkeit ein Luxus ist, ein Luxus, den nur wenige sich heute leisten können. Auf der anderen Seite sehen wir auch gerade da: Ich meine, es gibt durchaus jetzt ja schon diverse Firmen, die ihren Mitarbeitern diesen Luxus erlauben, beziehungsweise sogar vorschreiben, die sagen, nach 18 Uhr keine Erreichbarkeit mehr über Smartphones oder E-Mail. Also, wir müssen da neue Formen des Umgangs finden, der Umgang mit der Technik ist das Entscheidende. Die Technik selbst liefert nur die Voraussetzung dafür.
Lürweg: Frau Keppler, haben Sie denn so was wie den perfekten Umgang mit dem Smartphone?
Keppler: Nein. Ich schalte es relativ oft ab. Ich schalte es nicht nur aus, sondern ich schalte es auch in der Tat ab. Und das wäre ein Tipp, den ich allen nur geben kann, wünschen kann, dass sie das auch vielleicht öfter tun, als sie es bislang tun.
Lürweg: Angela Keppler, Soziologin von der Universität Mannheim, zum Thema iPhone und wie das unsere Gesellschaft verändert hat. Frau Keppler, vielen Dank für das Gespräch!
Keppler: Ich danke Ihnen!
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