Luan hat sich eine Zigarette angezündet, schaut sich mehrfach um, bevor er leise beginnt zu erzählen. Er fühlt sich nicht wohl in seiner Haut, und eigentlich heißt Luan anders. Seinen richtigen Namen will der Mittvierziger aber lieber nicht nennen.
Luan steht am Südufer des Flusses Ibar, im Zentrum der Stadt Mitrovica, Nordkosovo. Einen Steinwurf entfernt führt eine moderne Brücke über den Fluss in den Nordteil der 80.000-Einwohner-Stadt. Doch der Ibar teile Mitrovica bis heute in zwei fast völlig getrennte Welten, erzählt Luan: den von Albanern bewohnten Südteil der Stadt und den Norden, wo fast ausschließlich Serben leben.
"Diese Teilung betrifft alles hier, das gesamte Leben. Seit dem Ende des Kosovokrieges erzählt man uns, dass die Brücke wieder für den Verkehr geöffnet wird, und immer wieder wird das verschoben. Schauen Sie doch hin, es geht fast niemand über diese Brücke. Und ich bin skeptisch, dass sich daran jemals etwas ändert."
Vor zehn Jahren, am 17. Februar 2008, erklärte die Republik Kosovo ihre Unabhängigkeit von Serbien. Doch bis heute ist der gesamte Norden des Landes eine Art Niemandsland: Offiziell wird das Gebiet von der nur 40 Kilometer entfernten Hauptstadt Priština aus verwaltet. In Wahrheit ist der Landstrich um Mitrovica herum, in dem rund 50.000 Serben leben, ein schwarzes Loch. Die Zentralregierung in Priština hat dort nicht viel zu melden: Auf der anderen Seite der Ibar-Brücke haben die Autos entweder gar keine oder alte jugoslawische Kennzeichen, beim Einkauf werden auch serbische Dinar als Zahlungsmittel akzeptiert, die Bewohner dürfen sogar an serbischen Wahlen teilnehmen. Als sehr speziell und prekär bezeichnet auch der Balkan-Experte Florian Bieber von der Uni Graz die Lage in und um Mitrovica herum. Ermutigt auch durch serbische Politiker, richte sich der Blick der Menschen permanent in Richtung Belgrad statt Priština - in der Hoffnung, dass aus der gefühlten irgendwann eine tatsächliche Grenze werden könnte:
"Das ist der entscheidende Punkt: Dass es viele Serben gibt, sowohl im Norden in den Gemeinden um Mitrovica herum und auch in Serbien selber, die hoffen, dass irgendwann eine langfristige Lösung zu einer neuen Grenzziehung führen könnte, das heißt, dass der Norden Serbien zugeschlagen werden würde und das der Deal wäre, mit dem Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennt. Solange es diese Vorstellung gibt, solange es diese Hoffnung gibt, dass das denkbar wäre, lebt man natürlich auch sehr stark von dieser Grenzziehung und der Teilung. Diese politische Unsicherheit und die Situation, dass viele den Status quo eben nicht als endgültig akzeptieren, wirkt sich natürlich negativ aus auf die Möglichkeiten da Brücken zu schlagen – oder die bestehenden Brücken, besser gesagt, sichtbarer, nutzbarer und überquerbarer zu machen."
Luan steht am Südufer des Flusses Ibar, im Zentrum der Stadt Mitrovica, Nordkosovo. Einen Steinwurf entfernt führt eine moderne Brücke über den Fluss in den Nordteil der 80.000-Einwohner-Stadt. Doch der Ibar teile Mitrovica bis heute in zwei fast völlig getrennte Welten, erzählt Luan: den von Albanern bewohnten Südteil der Stadt und den Norden, wo fast ausschließlich Serben leben.
"Diese Teilung betrifft alles hier, das gesamte Leben. Seit dem Ende des Kosovokrieges erzählt man uns, dass die Brücke wieder für den Verkehr geöffnet wird, und immer wieder wird das verschoben. Schauen Sie doch hin, es geht fast niemand über diese Brücke. Und ich bin skeptisch, dass sich daran jemals etwas ändert."
Vor zehn Jahren, am 17. Februar 2008, erklärte die Republik Kosovo ihre Unabhängigkeit von Serbien. Doch bis heute ist der gesamte Norden des Landes eine Art Niemandsland: Offiziell wird das Gebiet von der nur 40 Kilometer entfernten Hauptstadt Priština aus verwaltet. In Wahrheit ist der Landstrich um Mitrovica herum, in dem rund 50.000 Serben leben, ein schwarzes Loch. Die Zentralregierung in Priština hat dort nicht viel zu melden: Auf der anderen Seite der Ibar-Brücke haben die Autos entweder gar keine oder alte jugoslawische Kennzeichen, beim Einkauf werden auch serbische Dinar als Zahlungsmittel akzeptiert, die Bewohner dürfen sogar an serbischen Wahlen teilnehmen. Als sehr speziell und prekär bezeichnet auch der Balkan-Experte Florian Bieber von der Uni Graz die Lage in und um Mitrovica herum. Ermutigt auch durch serbische Politiker, richte sich der Blick der Menschen permanent in Richtung Belgrad statt Priština - in der Hoffnung, dass aus der gefühlten irgendwann eine tatsächliche Grenze werden könnte:
"Das ist der entscheidende Punkt: Dass es viele Serben gibt, sowohl im Norden in den Gemeinden um Mitrovica herum und auch in Serbien selber, die hoffen, dass irgendwann eine langfristige Lösung zu einer neuen Grenzziehung führen könnte, das heißt, dass der Norden Serbien zugeschlagen werden würde und das der Deal wäre, mit dem Serbien die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennt. Solange es diese Vorstellung gibt, solange es diese Hoffnung gibt, dass das denkbar wäre, lebt man natürlich auch sehr stark von dieser Grenzziehung und der Teilung. Diese politische Unsicherheit und die Situation, dass viele den Status quo eben nicht als endgültig akzeptieren, wirkt sich natürlich negativ aus auf die Möglichkeiten da Brücken zu schlagen – oder die bestehenden Brücken, besser gesagt, sichtbarer, nutzbarer und überquerbarer zu machen."
Seit 19 Jahren ist Mitrovica eine geteilte Stadt
Auch Luan überquert nur selten die Brücke in den Nordteil Mitrovicas –, obwohl er dort aufgewachsen ist, früher viele serbische Freunde hatte auf der anderen Seite.
Luan ist muslimischer Kosovare, spricht nur albanisch wie die meisten seiner Landsleute. Umgekehrt spricht kaum ein christlich-orthodoxer Serbe albanisch. Wenn überhaupt, dann geht Luan nur in Begleitung in sein altes Viertel im Norden.
Seit 19 Jahren ist Mitrovica eine geteilte Stadt, ein Relikt des Kosovo-Krieges, der nach 15 Monaten im Juni 1999 endete. Dieser Krieg war laut dem Historiker Florian Bieber nur der vorläufige Höhepunkt eines Konflikts, der viel weiter zurückreicht:
"Die Beziehung zwischen Serben und Albanern im Kosovo ist eigentlich seit einem Jahrhundert von Spannungen geprägt. Das heißt nicht, dass es nur Spannungen gab, aber es gab eben keine Einigkeit, welchem Staat man angehören will. Der Kosovo kam in den Balkan-Kriegen vor einem Jahrhundert an Serbien, trotz einer großen albanischen Bevölkerung, die nicht zu Albanien kam, das damals auch aus der Taufe gehoben wurde. Und damit fühlten sich viele Albaner nicht zu Serbien zugehörig. Und das setzte sich dann in der Zwischenkriegszeit und auch im sozialistischen Jugoslawien fort, das heißt, die Albaner des Kosovo sahen sich mehrheitlich nicht als Jugoslawen, sie sind auch keine Slawen, und damit war eine große Unzufriedenheit verbunden, die sich immer wieder in Versuchen einer Status-Änderung entlud - während des Zweiten Weltkrieges beispielsweise. Das heißt, es gab eine Vorgeschichte. Das heißt nicht, dass es unweigerlich zu Krieg führen musste und Unterdrückung. Aber es hat etwas geschaffen, was im jugoslawischen Kontext die Ausnahme war."
Seit 1945 ist die Autonome Region "Kosovo und Metochien" Teil des sozialistischen Jugoslawien, hat jedoch kein Recht auf Selbstbestimmung wie die sechs Teilrepubliken Serbien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Slowenien. Später macht Staatschef Tito den Kosovaren Zugeständnisse: 1967 besucht der charismatische Diktator die Provinz zum ersten Mal, erlaubt in der Folge sogar das Hissen der albanischen Flagge und eröffnet 1970 die Universität in Priština, wo fortan auf Serbisch und Albanisch gelehrt wird. Nach einer Verfassungsänderung ist der Kosovo 1974 den Teilrepubliken rechtlich quasi gleichgestellt. Dennoch fühlen sich die nichtslawischen Albaner im jugoslawischen Völkermix als Bürger zweiter Klasse, 1981 kommt es zu ersten Massenprotesten in kosovarischen Städten: Die Kosovo-Albaner fordern den Anschluss ihrer Provinz an Albanien. Die Zentralregierung in Belgrad geht hart gegen die Demonstranten vor, es gibt Tote und Massenverhaftungen. In den 1980er-Jahren schaukelt sich die Stimmung zwischen Albanern und Serben gefährlich hoch – ein Nährboden, den ein bis dahin völlig unbekannter Belgrader Apparatschik für den eigenen Aufstieg zu nutzen weiß.
Luan ist muslimischer Kosovare, spricht nur albanisch wie die meisten seiner Landsleute. Umgekehrt spricht kaum ein christlich-orthodoxer Serbe albanisch. Wenn überhaupt, dann geht Luan nur in Begleitung in sein altes Viertel im Norden.
Seit 19 Jahren ist Mitrovica eine geteilte Stadt, ein Relikt des Kosovo-Krieges, der nach 15 Monaten im Juni 1999 endete. Dieser Krieg war laut dem Historiker Florian Bieber nur der vorläufige Höhepunkt eines Konflikts, der viel weiter zurückreicht:
"Die Beziehung zwischen Serben und Albanern im Kosovo ist eigentlich seit einem Jahrhundert von Spannungen geprägt. Das heißt nicht, dass es nur Spannungen gab, aber es gab eben keine Einigkeit, welchem Staat man angehören will. Der Kosovo kam in den Balkan-Kriegen vor einem Jahrhundert an Serbien, trotz einer großen albanischen Bevölkerung, die nicht zu Albanien kam, das damals auch aus der Taufe gehoben wurde. Und damit fühlten sich viele Albaner nicht zu Serbien zugehörig. Und das setzte sich dann in der Zwischenkriegszeit und auch im sozialistischen Jugoslawien fort, das heißt, die Albaner des Kosovo sahen sich mehrheitlich nicht als Jugoslawen, sie sind auch keine Slawen, und damit war eine große Unzufriedenheit verbunden, die sich immer wieder in Versuchen einer Status-Änderung entlud - während des Zweiten Weltkrieges beispielsweise. Das heißt, es gab eine Vorgeschichte. Das heißt nicht, dass es unweigerlich zu Krieg führen musste und Unterdrückung. Aber es hat etwas geschaffen, was im jugoslawischen Kontext die Ausnahme war."
Seit 1945 ist die Autonome Region "Kosovo und Metochien" Teil des sozialistischen Jugoslawien, hat jedoch kein Recht auf Selbstbestimmung wie die sechs Teilrepubliken Serbien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Montenegro und Slowenien. Später macht Staatschef Tito den Kosovaren Zugeständnisse: 1967 besucht der charismatische Diktator die Provinz zum ersten Mal, erlaubt in der Folge sogar das Hissen der albanischen Flagge und eröffnet 1970 die Universität in Priština, wo fortan auf Serbisch und Albanisch gelehrt wird. Nach einer Verfassungsänderung ist der Kosovo 1974 den Teilrepubliken rechtlich quasi gleichgestellt. Dennoch fühlen sich die nichtslawischen Albaner im jugoslawischen Völkermix als Bürger zweiter Klasse, 1981 kommt es zu ersten Massenprotesten in kosovarischen Städten: Die Kosovo-Albaner fordern den Anschluss ihrer Provinz an Albanien. Die Zentralregierung in Belgrad geht hart gegen die Demonstranten vor, es gibt Tote und Massenverhaftungen. In den 1980er-Jahren schaukelt sich die Stimmung zwischen Albanern und Serben gefährlich hoch – ein Nährboden, den ein bis dahin völlig unbekannter Belgrader Apparatschik für den eigenen Aufstieg zu nutzen weiß.
Belgrad verhängt im Kosovo den Ausnahmezustand
28. Juni 1989: Der frisch vereidigte serbische Präsident Slobodan Milošević steht auf dem Kosovo Polje, dem Amselfeld unweit von Priština, vor mehr als einer Million Anhängern und hält eine Rede. Auf den Tag genau vor 600 Jahren haben sich auf dem Amselfeld 50.000 Serben und Osmanen gegenseitig niedergemetzelt. Die Schlacht endet zwar ohne eindeutigen Sieger, kann aber ebenso wenig den Vormarsch der Türken auf den Balkan stoppen. Um die Schlacht ranken sich in der Folge Mythen und Legenden: Der serbische Heerführer Fürst Lazar wird heiliggesprochen, das Amselfeld zum Gründungsmythos des Serbentums schlechthin verklärt. Milošević nimmt den Faden auf, stilisiert die Serben als Verfechter einer gerechten Sache – gegen die mehrheitlich muslimschen Albaner. Der Menschenmenge auf dem Amselfeld verkündet er:
"Heute stehen wir wieder vor Schlachten".
Schon in einer früheren Rede hat Milošević den serbischen Anspruch auf den Kosovo deutlich formuliert:
"Niemand soll es wagen, euch zu schlagen. Dies ist Euer Land, dies sind Eure Häuser, Eure Felder und Gärten, Eure Erinnerungen. Ihr werdet nicht Euer Land aufgeben, weil das Leben zu schwierig geworden ist, weil Ungerechtigkeit und Erniedrigungen euch treffen."
"Heute stehen wir wieder vor Schlachten".
Schon in einer früheren Rede hat Milošević den serbischen Anspruch auf den Kosovo deutlich formuliert:
"Niemand soll es wagen, euch zu schlagen. Dies ist Euer Land, dies sind Eure Häuser, Eure Felder und Gärten, Eure Erinnerungen. Ihr werdet nicht Euer Land aufgeben, weil das Leben zu schwierig geworden ist, weil Ungerechtigkeit und Erniedrigungen euch treffen."
Belgrad verhängt im Kosovo den Ausnahmezustand, die Provinz verliert ihre Autonomierechte, 1991 wird das Parlament in Priština aufgelöst. Fast jede Woche kommt es nun zu Zwischenfällen mit serbischen Sicherheitskräften, die albanische Zivilisten töten. Doch der Schriftsteller und spätere Präsident des Kosovo Ibrahim Rugova setzt auf gewaltfreien Widerstand der Kosovaren – ohne Erfolg. Denn die Menschen fühlen sich laut dem Grazer Historiker Florian Bieber im Stich gelassen von der internationalen Gemeinschaft, setzen ab Mitte der 90er-Jahre auf den bewaffneten Widerstand der Befreiungsarmee UCK:
"Das Entstehen der UCK ist ja eigentlich eine Reaktion darauf, dass die Frage des Kosovo bei den Friedensverhandlungen in den frühen 1990er-Jahren völlig ausgelassen wurde. Das heißt, bei den Versuchen einen Frieden für Bosnien-Herzegowina zu finden oder auch für Kroatien war immer der Kosovo nicht Teil des Gespräches. Milošević bestand darauf, auch bei Dayton beispielsweise. Und damit arrangierten sich die internationalen Akteure, weil sie sagten: Na gut, solange wir Frieden in Bosnien haben, im Kosovo gibt es keinen Konflikt, damit können wir damit leben. Und das heißt: Aus dieser Situation heraus, es gab Frieden in Bosnien, der Krieg war vorbei, Milošević wurde rehabilitiert gewissermaßen – in dem Kontext herrschte im Kosovo ein Ausnahmezustand. Es gab eigentlich eine Apartheid-Situation, wo eigentlich in den Institutionen keine oder kaum Albaner repräsentiert waren. Das heißt, in dieser Situation fühlten sich viele Albaner des Kosovo in einer Position, dass sie ohne Gewaltausübung die Situation nicht ändern können."
"Das Entstehen der UCK ist ja eigentlich eine Reaktion darauf, dass die Frage des Kosovo bei den Friedensverhandlungen in den frühen 1990er-Jahren völlig ausgelassen wurde. Das heißt, bei den Versuchen einen Frieden für Bosnien-Herzegowina zu finden oder auch für Kroatien war immer der Kosovo nicht Teil des Gespräches. Milošević bestand darauf, auch bei Dayton beispielsweise. Und damit arrangierten sich die internationalen Akteure, weil sie sagten: Na gut, solange wir Frieden in Bosnien haben, im Kosovo gibt es keinen Konflikt, damit können wir damit leben. Und das heißt: Aus dieser Situation heraus, es gab Frieden in Bosnien, der Krieg war vorbei, Milošević wurde rehabilitiert gewissermaßen – in dem Kontext herrschte im Kosovo ein Ausnahmezustand. Es gab eigentlich eine Apartheid-Situation, wo eigentlich in den Institutionen keine oder kaum Albaner repräsentiert waren. Das heißt, in dieser Situation fühlten sich viele Albaner des Kosovo in einer Position, dass sie ohne Gewaltausübung die Situation nicht ändern können."
Die UCK beginnt ab 1997 einen Guerillakrieg, die Serben reagieren mit Vergeltungsschlägen. Eine halbe Million Menschen ist auf der Flucht. Zwar führen die Freiheitskämpfer der UCK einen aussichtslosen Kampf gegen die Serben, lenken aber endlich die internationale Aufmerksamkeit auf die katastrophale Lage in der Region. Was folgt, ist der erste Krieg der NATO seit ihrer Gründung 1949. Am 24. März 1999 beginnt die Militäroperation "Allied Force". NATO-Bomber fliegen Angriffe auf Serbien und den Kosovo. Mit dabei sind auch Tornados der Bundeswehr: der erste deutsche Kampfeinsatz seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Elf Wochen lang dauern die Luftangriffe. Bilanz des Krieges: Geschätzt 10.000 Tote, mindestens eine Million Menschen auf der Flucht, die ehemals autonome Provinz Kosovo wird UN-Protektorat.
Die Gräuel des Krieges haben tiefe Gräben hinterlassen
Nach dem Ende des Krieges, im Sommer 1999, kommt auch der Schweizer Andreas Wormser zum ersten Mal ins Land. Als Gesandter für Flüchtlingsfragen soll der Diplomat erkunden, ob die während des Krieges in die Schweiz geflohenen Kosovaren wieder in ihre Heimat zurückgeschickt werden können. Es herrscht zwar offiziell Frieden, doch die Gräuel des Krieges haben tiefe Gräben hinterlassen zwischen den Volksgruppen: Albanern, Serben und auch Roma.
2004 endet Wormsers Einsatz als Gesandter, doch der Schweizer hat das geschundene Land und seine Menschen lieben gelernt, sagt er rückblickend. Wormser bleibt - auch als 2004 erneut die Gewalt regiert, als Albaner die Häuser von Serben und Roma abfackeln, es wieder Tote gibt im Kosovo. "Trümmer der Illusion", überschreibt damals die Süddeutsche Zeitung Berichte von den Unruhen. Der Illusion, dass ein Zusammenleben der Volksgruppen doch irgendwie gelingen kann. Doch genau das ist Wormsers Mission, nicht im großen Maßstab, sondern quasi im Mikrokosmos eines kleinen Hotels:
"Die Idee war schon auch etwas für die Roma zu tun. Ich hatte viel mit Hilfsorganisationen zu tun vorher. Habe mir auch selber überlegt etwas in diesem Bereich zu machen. Aber ich fand es dann erfolgversprechender etwas zu tun, wo Roma jetzt eben keine Hilfsempfänger sind, sondern sich mit Leistung beweisen können, dass sie eben ganz normale Arbeitsstellen ausfüllen können."
Sein Hotel eröffnet der heute 59-Jährige schließlich 2013 in Gračanica, einer serbischen Enklave am Stadtrand von Priština: 15 Zimmer, moderne Architektur, ein kleines Restaurant. Vom Garten mit Pool geht der Blick ins weite, hügelige Grün. Von Beginn an mit dabei sind zwei alte Freunde: Hisen Gashnjani und Atlan Gidžić. Andreas Wormser stellt die beiden Roma-Männer als Hotel-Manager ein. Heute arbeiten vor allem Roma und Serben, aber auch zwei albanische Frauen im Hotel. Viele hätten ihm einen Vogel gezeigt, als er anfing seine Idee von einem multiethnischen Hotel wirklich in die Tat umzusetzen. Gab und gibt es auch ernste Anfeindungen? Andreas Wormser winkt ab, will das Thema nicht zu hoch hängen:
"Jetzt schon lange nicht mehr, und auch vorher war es eigentlich nur im Internet, wo wir Hasskommentare bekamen von Albanern und von Serben."
An der Rezeption sitzt an diesem Vormittag Hisen Gashnjani und checkt die Buchungen für den Sommer. Bei 20 bis 30 Prozent lag die Zimmerbelegung in den vergangenen zwei Jahren: Viel zu wenig, um mit dem Hotelbetrieb Gewinn zu machen, sagt der Hotelmanager. Doch Hisen ist zuversichtlich, dass das Ganze irgendwann auch finanziell ein Erfolg wird.
"Ich war am Anfang ja auch eher skeptisch, was das Projekt hier angeht, aber was Andreas Wormser hier geschaffen hat, das grenzt schon irgendwie an ein Wunder. Er hat hier Jobs für Menschen wie mich geschaffen, hat gezeigt, dass man ein Hotel auch mit zwei Roma-Managern führen kann. Das ist ein ganz wichtiges Signal an alle Menschen im Kosovo, egal ob Albaner, Serben oder Roma, dass so etwas wie hier funktioniert, wenn man es nur will. Ich übertreibe auch nicht, wenn ich sage: Unser Hotel hier könnte da durchaus ein Vorbild sein für ganz Kosovo."
Heute ist die Lage im Land weitestgehend ruhig: Die 5.000 Soldaten der internationalen KFOR-Truppen sind allgegenwärtig und schützen neuralgische Punkte wie die wenigen verbliebenen serbischen Enklaven oder serbisch-orthodoxe Klöster. Doch immer wieder gibt es Vorfälle, die zeigen, wie fragil die Situation nach wie vor ist. Im Januar 2017 etwa erreichten die serbisch-kosovarischen Beziehungen einen neuen Tiefpunkt: Belgrad schickte einen Zug in Richtung Mitrovica auf die Reise. In 20 Sprachen, auch auf Albanisch, war darauf zu lesen: "Kosovo ist Serbien". Kosovarische Sicherheitskräfte stoppten den Zug an der Grenze, schließlich wurde er von der serbischen Regierung zurück beordert. Mitrovica war auch Schauplatz der tödlichen Schüsse, die vor einem Monat auf den serbischen Politiker Oliver Ivanović abgegeben wurden. Täter und Motiv sind noch im Dunkeln, doch der Mordanschlag belastet erneut das Verhältnis zwischen Belgrad und Priština. Geplante Verhandlungsgespräche beider Länder in Brüssel wurden auf Eis gelegt. Bis heute weigert sich Serbien strikt den Kosovo als souveränen Staat anzuerkennen – was unter anderem auch daran liegt, dass ein Großteil der politischen Elite in Priština eine UCK-Vergangenheit hat. Auch die beiden wichtigsten politischen Amtsträger, Premier Ramush Haradinaj und Staatspräsident Hashim Thaçi, waren hoch gestellte Kommandeure der Untergrundarmee.
Inzwischen haben die Jungen selbst Initiative ergriffen
Wie angespannt die Lage in ihrer Heimat nach wie vor ist, will auch Edita Tahiri gar nicht beschönigen. Die Politikerin der als liberal geltenden Partei ADK war bis Juni 2017 Ministerin für Dialog und damit zuständig für die Verhandlungen mit Serbien. Auch wenn es immer wieder Rückschläge wie den jüngsten Mordanschlag in Mitrovica gebe, sieht Tahiri das Land, den von Serben bewohnten Norden eingeschlossen, auf einem guten Weg:
"Wir sind heute mitten in einem Prozess, in dem die Republik Kosovo nach und nach die Kontrolle auch über den von Serben bewohnten Norden gewinnt. Die Polizei dort steht inzwischen unter dem Oberkommando des Kosovo. Auch serbisch geführte Unternehmen registrieren sich jetzt offiziell hier im Land und zahlen ihre Steuern. Ich sehe Mitrovica heute nicht mehr als geteilte Stadt: Die Barrikaden sind weg, die Mauer ist weg, und wenn die Fußgängerzone im Norden erst einmal bis an die Brücke heran reicht, wird das Leben in Mitrovica ein anderes sein."
Dort, in Mitrovica, haben junge Albaner und Serben inzwischen selbst die Initiative ergriffen, um etwas zu tun gegen innere Mauern, Spaltung und verkrustetes Denken in der Stadt. Ihre gemeinsame Sprache ist die Musik, sie singen und spielen zusammen in der Mitrovica Rock School.
Seit zwei Jahren verabredet sich auch Ilda Krama regelmäßig mit ihren Bandkollegen in einem Probenraum im Nordteil der Stadt – inzwischen ist das normal für die 18-Jährige, genauso wie für Tringa Sadiku, die an diesem Nachmittag ebenfalls über die Ibar-Brücke zum Probenraum gekommen ist. Beide jungen Frauen sind Albanerinnen, wohnen mit ihren Familien im Süden Mitrovicas.
"Ehrlich gesagt: Ich wusste vorher gar nicht, dass die Bands gemischt sind, mit Leuten aus Nord- und Süd-Mitrovica. Aber genau das ist das Coole an der Sache, weil wir über die Musik eine Verbindung herstellen zwischen beiden Stadtteilen und ihren Menschen. Wir sind ja aufgewachsen mit all den Vorurteilen und diesem Hass auf die Menschen auf der jeweils anderen Seite des Flusses, seien es Albaner oder Serben. Und all das existiert nicht mehr, wenn wir hier zusammen sind. Heute sind wir alle hier Freunde."
Das sieht Alem Redzepagić genauso. Der 20-Jährige begleitet die beiden jungen Frauen mit der Akustikgitarre. Alem ist Serbe und wohnt in Nord-Mitrovica.
Zehn Jahre unabhängiger Kosovo – und 111 Länder, die die kleine Balkan-Republik als souveränen Staat anerkennen. Das wertet der Grazer Historiker Florian Bieber schon mal als echte Errungenschaft. Im Laufe der kommenden Jahre müsse nun endgültig der unsichere Status des Nordkosovo geklärt werden, den Kosovaren endlich Visafreiheit zugestanden werden. Und das Land brauche eine ehrliche und realistische EU-Perspektive. So ähnlich formuliert es auch der Hotelier und ehemalige Diplomat Andreas Wormser. Mit Blick auf die Gegenwart gibt sich der Schweizer pragmatisch:
"Ich habe kürzlich einen Artikel über Nordirland gelesen: Da stehen noch neun Meter hohe Mauern, es gibt noch fünf Tote pro Jahr. Von dem her ist eigentlich Kosovo schon sehr viel weiter."
"Wir sind heute mitten in einem Prozess, in dem die Republik Kosovo nach und nach die Kontrolle auch über den von Serben bewohnten Norden gewinnt. Die Polizei dort steht inzwischen unter dem Oberkommando des Kosovo. Auch serbisch geführte Unternehmen registrieren sich jetzt offiziell hier im Land und zahlen ihre Steuern. Ich sehe Mitrovica heute nicht mehr als geteilte Stadt: Die Barrikaden sind weg, die Mauer ist weg, und wenn die Fußgängerzone im Norden erst einmal bis an die Brücke heran reicht, wird das Leben in Mitrovica ein anderes sein."
Dort, in Mitrovica, haben junge Albaner und Serben inzwischen selbst die Initiative ergriffen, um etwas zu tun gegen innere Mauern, Spaltung und verkrustetes Denken in der Stadt. Ihre gemeinsame Sprache ist die Musik, sie singen und spielen zusammen in der Mitrovica Rock School.
Seit zwei Jahren verabredet sich auch Ilda Krama regelmäßig mit ihren Bandkollegen in einem Probenraum im Nordteil der Stadt – inzwischen ist das normal für die 18-Jährige, genauso wie für Tringa Sadiku, die an diesem Nachmittag ebenfalls über die Ibar-Brücke zum Probenraum gekommen ist. Beide jungen Frauen sind Albanerinnen, wohnen mit ihren Familien im Süden Mitrovicas.
"Ehrlich gesagt: Ich wusste vorher gar nicht, dass die Bands gemischt sind, mit Leuten aus Nord- und Süd-Mitrovica. Aber genau das ist das Coole an der Sache, weil wir über die Musik eine Verbindung herstellen zwischen beiden Stadtteilen und ihren Menschen. Wir sind ja aufgewachsen mit all den Vorurteilen und diesem Hass auf die Menschen auf der jeweils anderen Seite des Flusses, seien es Albaner oder Serben. Und all das existiert nicht mehr, wenn wir hier zusammen sind. Heute sind wir alle hier Freunde."
Das sieht Alem Redzepagić genauso. Der 20-Jährige begleitet die beiden jungen Frauen mit der Akustikgitarre. Alem ist Serbe und wohnt in Nord-Mitrovica.
Zehn Jahre unabhängiger Kosovo – und 111 Länder, die die kleine Balkan-Republik als souveränen Staat anerkennen. Das wertet der Grazer Historiker Florian Bieber schon mal als echte Errungenschaft. Im Laufe der kommenden Jahre müsse nun endgültig der unsichere Status des Nordkosovo geklärt werden, den Kosovaren endlich Visafreiheit zugestanden werden. Und das Land brauche eine ehrliche und realistische EU-Perspektive. So ähnlich formuliert es auch der Hotelier und ehemalige Diplomat Andreas Wormser. Mit Blick auf die Gegenwart gibt sich der Schweizer pragmatisch:
"Ich habe kürzlich einen Artikel über Nordirland gelesen: Da stehen noch neun Meter hohe Mauern, es gibt noch fünf Tote pro Jahr. Von dem her ist eigentlich Kosovo schon sehr viel weiter."