"Es war im Grunde niemand da, der der Meinung war, ich kann das Ding jetzt hier platzen lassen, sondern es war das feste Gefühl, wir müssen hier etwas zustande bringen."
Angela Merkel ist sichtlich erleichtert. Endlich, nach langen und mühseligen Verhandlungen, haben sich die EU-Mitgliedsstaaten im Oktober 2007 auf die Grundlagen eines neuen Vertrages einigen können. Höchste Zeit, denn nachdem 2005 eine EU-Verfassung an Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheitert war, regelte weiterhin der Vertrag von Nizza mehr schlecht als recht die Zusammenarbeit. Mit der Osterweiterung war die Union auf einen Schlag von 15 auf 27 Mitglieder angewachsen, ohne dass ihre Institutionen auf diese neue Situation vorbereitet waren. Nun aber sollte Europa transparenter, effizienter und demokratischer werden.
"Und solange wir diesen Geist in Europa immer wieder erwecken können, ist es gut um Europa bestellt."
Notwendige Reformen
Der neue Vertrag bringt endlich die notwendigen Reformen: Außer bei Haushaltsfragen kann das Parlament künftig gleichberechtigt mit dem Ministerrat bei neuen Gesetzen mitentscheiden, ebenso bekommen die nationalen Parlamente mehr Mitspracherechte.
Fortan sollen in Brüssel Mehrheitsentscheidungen die Regel sein, damit einzelne Länder mit ihrem Veto keine Beschlüsse mehr blockieren können. Die Zahl der EU-Parlamentarier und der Kommissare wird verkleinert. Dafür soll die neugeschaffene Position Präsident des Europäischen Rates für mehr Kontinuität sorgen als es die halbjährlich wechselnden Ratsvorsitzenden konnten. Und der EU-Außenminister bekommt einen eigenen Apparat, mit dem er fortan unabhängiger arbeiten kann.
Am 13. Dezember 2007 setzen in Lissabon alle 27 Staats- und Regierungschefs ihre Unterschrift unter den Vertrag. Seine Ratifizierung scheint nur noch reine Formsache.
"In dem Lissabon-Vertrag ist nichts, was unsere Steuerhoheit einschränkt, nichts von diesen düsteren Vorstellungen von europäischen Armeen oder der Verpflichtung, an Militäreinsätzen weltweit teilnehmen zu müssen. Diese bösen Katastrophenszenarien von einem machtlosen Irland, das von einem heimtückischen Europa übernommen wird, sind doch Unsinn."
Die Iren spielten erstmal nicht mit
Der irische Premierminister Brian Cohen verstand die Welt nicht mehr: Im Juni 2008 sagten seine Landsleute in einem Referendum "Nein" zum Lissaboner Vertrag. Zuvor hatten die EU-Kritiker im eigenen Land intensiv die Werbetrommel gerührt. Doch auch andere Länder machten Probleme: Polens Präsident Lech Kaczyinski wollte auf einmal nicht mehr unterschreiben, was er selber mit ausgehandelt hatte. Und in Deutschland zogen einzelne CSU-Abgeordnete und die Linksfraktion vor das Bundesverfassungsgericht. Der sozialdemokratische Europa-Abgeordnete Jo Leinen:
"Auf hoher See und vor Gericht weiß man ja nie, was dabei rauskommt, obwohl ich mir beim besten, besten Willen nicht vorstellen kann, warum ein Vertrag, der mehr Transparenz bringt, der mehr Demokratie bringt, warum so ein Vertrag gegen das deutsche Grundgesetz sein soll."
Und das war er auch nicht, wie die Karlsruher Richter beschieden. Bei Tschechien lag der Fall schwerer: Parlament und Senat hatten den Vertrag zwar ratifiziert, aber der tschechische Präsident Vaclav Klaus, ein ausgewiesener EU-Skeptiker, verweigerte trotzdem seine Unterschrift:
"Diese Frage, ob ich unterschreibe oder nicht, bin ich nicht bereit zu beantworten. Ich sage immer: Schachspieler kündigen ihren nächsten Zug niemals an."
Am 3. Oktober 2009 stimmten die Iren in einem zweiten Referendum mit "Ja". Zuvor hatte die EU schriftlich garantiert: Das irische Abtreibungs- und Steuerrecht wird durch den Lissaboner Vertrag nicht angetastet. Das sah der Vertrag ohnehin nicht vor. Aber so konnten sich die Euro-Kritiker damit brüsten, vermeintlichen Schaden vom Land abgehalten zu haben. Nun gab auch der polnische Präsident seinen Widerstand auf, und es fehlte nur noch die Unterschrift von Vaclav Klaus. Die gab er erst, nachdem auch Tschechien eine schriftliche Garantie über etwas bekam, was nie zur Disposition gestanden hatte: den Schutz vor möglichen Rückgabeansprüchen von Sudetendeutschen.
Am 1. Dezember 2009 trat der Lissaboner Vertrag endlich in Kraft. Er ist noch heute die wesentliche rechtliche Grundlage für die Zusammenarbeit in der EU. Eine gute Grundlage - vorausgesetzt alle Mitgliedsländer sind auch tatsächlich bereit, nationale Interessen zugunsten der Gemeinschaft zurückzustellen.