Ein kleines Mädchen schaut verwundert aus. Es trägt einen bunten Schlafanzug, der ein Flickenteppich aus allen Farben und Flaggen der EU ist. Das Mädchen hat eine Schere in der Hand und wirkt etwas erschrocken, denn gerade hat es die britische Fahne aus seinem Pyjama herausgeschnitten. Das Stück Stoff liegt jetzt auf dem Boden. Steve Antony hat die Illustration gezeichnet, er ist in Großbritannien mit Bilderbüchern über einen kleinen Panda-Bär bekannt geworden.
"Ich habe darüber nachgedacht, dass Europa ein bunter Teppich von Kulturen und Völkern ist. Dieses Kind trägt einen Schlafanzug, aber der Union Jack wurde herausgeschnitten."
Warten auf ein Wunder
Das Mädchen hat es selbst getan und scheint jetzt selbst etwas fassungslos darüber zu sein. 45 Zeichnungen umfassen Buch und Ausstellung, in der Illustratoren aus mehreren europäischen Ländern manchmal naiv, manchmal aber auch sehr hintersinnig das zeichnen, was sie mit der EU verbinden. Patrick George ist ebenfalls Engländer, er wohnt in Ramsgate, einem alten Seebad, in dem die Einwohner mit großer Mehrheit für den Brexit gestimmt haben. George hat eine knallbunte Kinderparty gezeichnet.
"Die Kinder reden alle miteinander und diskutieren. Ihnen geht es gut, sie tauschen Ideen aus. Das steht für mich für Europa. Leider ist da links oben ein britisches Mädchen, das mit ihrem roten Luftballon davon fliegt. Sie versteht nicht, warum sie die Party verlassen muss."
Die Idee mit den Illustrationen und Zeichnungen zur EU wurde während der Frankfurter Buchmesse 2017 geboren. Markus Weber, Verleger des Moritz Kinderbuch-Verlags, hatte sie, und bat dann Axel Scheffler, auch britische Illustratoren mit ins Boot zu holen. Scheffler lebt schon seit 30 Jahren in London und ist der Zeichner des Grüffelo. Das Monster ist sowohl deutschen als auch britischen Kindern bestens vertraut. Scheffler will nicht wahrhaben, dass das von ihm geliebte Großbritannien die EU verlässt.
"Ich warte auf das Wunder. Ich bin natürlich resigniert und jeden Tag wieder total deprimiert über die Entwicklung. Aber irgendwie ist alles ungewiss und es kann alles Mögliche noch passieren. Es kann ein großes politisches Erdbeben geben, eine Art Tsunami. Man weiß nicht was passiert, aber das Land selber ist ein ziemlich hoffnungsloser Fall."
Kater und Tiger schwenken EU-Fahne
Scheffler hat auch Judith Kerr für das Projekt gewonnen. Die 95jährige entstammt einer deutsch-jüdischen Emigrantenfamilie. In Großbritannien wurde sie berühmt mit Bildergeschichten über den Kater Mog und über den Tiger, der zum Tee kommt. Beide Tiere schwenken jetzt fröhliche die blaue EU-Fahne.
"Wir sind etwas befreundet und sie hat gesagt, ‚mein Beitrag ist nicht so toll. Ich hatte nicht so ne tolle Idee.‘ Aber ich finde den Beitrag wunderbar, weil ihre beiden beliebtesten Charaktere Mog und der Tiger zusammen die europäische Flagge wehen lassen und ich wünschte mir eigentlich, dass das als Poster überall erscheint."
Gewöhnlich sehen Briten ziemlich pragmatisch auf die EU, wägen Vor- und Nachteile ab. Die Bilder sind dagegen emotional und ausdrucksstark. Rosie Goldsmith kennt als Literaturkritikerin sowohl die deutsche als auch die britische Perspektive. "So schön und niedlich sind die Zeichnungen gar nicht. Jede Zeichnung bedeutet für mich etwas viel Größeres. Das Problem ist auch, dass die Schriftsteller und Autoren keine Plattform gehabt haben."
Politische Kampagne
Einen Vogelschwarm hat die Britin Sarah McIntyre gezeichnet. Ein Star ist an einen Pflock gebunden und darf nicht mitfliegen. In anderen Motiven hat eine Schlange ein Ei aus einem Vogelnest geraubt oder jongliert eine schwarz-weiße Kuh mit vielen EU-Sternen, dazu die Textzeile "man muss viel üben, damit es klappt". Neil Layton, der ein britisches Raumschiff in den dunklen Weiten des Weltraums entschwinden lässt, freut sich wie andere auch, dass er als Kinderbuch-Illustrator zum ersten Mal in einer politischen Kampagne wahrgenommen wird.
"Es fühlt sich gut an. Wir Engländer sind ja etwas reserviert. Aber jetzt sage ich deutlich, was ich über den Brexit denke. Und andere empfinden das ganz genauso."