Dort, wo die Wildrosen wachsen, wo der Himmel bleischwer und immer fahl über der Landschaft festgetackert ist und wo Krähen allerorts sind: Die hat Erik Kriek ausgiebig in die Kiefernwälder und Pionierdörfer seiner Mörderballaden hineingezeichnet.
"Ja, es ist richtig grau – grausam! Ich habe versucht, die Natur eine Rolle spielen zu lassen. Es ist richtig filmisch erzählt. Die Atmosphäre ist sehr wichtig."
Die Erzählkästchen sind außen abgerundet, als würde man durch eine historische optische Apparatur schauen oder einen Steckbrief sehen: "Wanted Dead or Alive: Western Comicheld, der mit Lucky Luke nun wirklich nichts zu tun hat!" Alle Häuser, Bäume und schicksalsverdunkelten Gesichter sind expressionistisch windschief wie in Holzschnitten von Ernst Ludwig Kirchner. Manche Erzähl-Kästchen zeigen ganz filmisch nur einen wildromantisch plätschernden Bach als Nachhall grausamer Szenen und immer wieder sind da diese Krähen und kommentieren krächzend die Moritaten und Bergfilm-schweren Wendungen, die in den Appalachen an der Grenze zur Wildnis geschehen sein sollen.
Western ohne Sheriff
"Western sind eigentlich klassisch-griechische Tragödien, denke ich. Für mich ist das ein Mythos. Ich bin niemals dort gewesen. Ein mythisches Land: Da ist also eine ganz isolierte Gesellschaft. Gesetz ist nicht so ganz da, es ist ein bisschen schwierig, denn die Leute sind alle isoliert. Es gibt einen Sheriff, was ist mit dem Sheriff?"
Der kommt nicht. Die Figuren Pretty Polly, Caleb Meyer oder das Mädchen, das sie Wildrose nannten, sind geworfen in einen psychologischen Raum, ein Claim, der zwischen Naturmystik und Faustrecht der Prärie abgesteckt ist.
"Zum Beispiel in der Geschichte Caleb Meyer: Das Mädchen wird vergewaltigt von ihrem Nachbarn. Sie ist schwanger und sie soll das nicht ihrem Mann sagen. Sie ist ein bisschen beschissen, denn ihr Mann ist froh, dass seine Frau endlich schwanger ist. Aber sie denkt, das ist von der Vergewaltigung."
Was tun, Nellie Kane? Sie hatte den Vergewaltiger mit einem abgebrochenen Flaschenhals erstochen. Notwehr, würde man von neutraler Warte aus sagen. Sie versteckt die Leiche und entscheidet sich, nichts zu sagen für das Familienglück. Doch das Glück hat seinen Preis. Zeitlebens wird sie von Albträumen verfolgt werden.
Einflüsse von Goethe und Edgar Allan Poe
Goethes Erlkönig ist nicht weit von der Atmosphäre her. Und auch nicht Edgar Allan Poes Abgründe, die sich hier offroad auftun. Einflüsse, die Erik Kriek zu Graphic Short Stories verwoben hat. Und die er mit Soundtrack ausgestattet hat. Die mit dem Zeichner befreundeten Bluegrass Boogiemen haben die teils traditionellen, teils neuzeitlichen Balladen eingespielt, zu jeder Bildgeschichte gibt es einen Song.
Comic und Musik im Parallelmodus zu konsumieren, als Graphic Oper, das klappt nicht so ganz: Die Stücke haben rund drei Minuten Länge und für die Bildgeschichten braucht man schon etwas länger. Das Gesamtkunstwerk aus Comic und Sound wirft aber eine neuralgische Frage auf: Wie wird aus einer Figur eigentlich eine Balladenfigur? Nellie Kane und Pretty Polly, das sind für Erik Kriek Figuren wie Billy the Kid oder John Dillinger: Ganz klar Verbrecher, Mörder auf der einen Seite. Deren Handlungen man aber auf der anderen Seite nachvollziehen kann und die einem fast schon wieder sympathisch werden. Sie sind ambivalent.
"Für mich ist die Moral nicht so schwarzweiß. Ich habe versucht ein bisschen zu erzählen: Opfer und Täter sind beide Opfer. Wenn etwas Schreckliches da ist wie ein Mord: Alle haben Weh davon."
Archetypische Western-Szenen
"Hängt ihn. Hängt den Mörder so hoch wie möglich!" - heißt es in einer der fünf Mörderballaden. Eine archetypische Western-Szene. Wenn man genau hinschaut, ist das natürlich ein übler populistischer Mob, der sich zusammengerottet hat, um Lynchjustiz zu üben. Der Mob könnte recht haben. Er könnte aber auch nicht recht haben. Die Krähen werden es wissen. Schuld und Sühne, Wildwest und gleich noch den Grund dazu, was bis heute daran fasziniert, hat Erik Kriek gezeichnet als Meta-Western. Der Wilde Westen sei schließlich überall, sagt der Zeichner, vor allem im Kopf seiner Leser.
"Ein Western soll nicht spielen im Westen der Vereinigten Staaten. Er kann ja überall spielen. Australien hat auch dieselbe Kultur. Das war auch eine 'Frontier'. Man hat Ned Kelly gehabt, ebenso berühmt wie Dillinger in den USA."
Erik Kriek: "In the Pines - Murder Ballads", Text und Zeichnung, Avant Verlag, 136 Seiten