Der Samstagsbüchermarkt mit Tanya Lieske. Um das Bild, den Zeichner, die Freiheit und die Politik geht es heute. Einige Monate ist der Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo her, jetzt melden sich viele namhafte Zeichner aus Deutschland aber auch Künstler aus Frankreich und Großbritannien zu Wort. Zeichner verteidigen die Meinungsfreiheit, so heißt ein Buch, das gerade im Hamburger Aladin Verlag erschienen ist, und von dort sind mit zugeschaltet der Verleger Klaus Humann und zwei der Künstler. Regina Kehn und Ole Könnecke.
Herr Humann, um mit Ihnen zu beginnen, was hat den Ausschlag für dieses Buch "Zeichner verteidigen die Meinungsfreiheit"?
"An den Tagen nach dem 7. Januar, genauer am Wochenende, trieb es mich um. Ich wollte irgendetwas tun, wollte mir nicht eine Plakette anstecken wo drauf steht „Je suis Charlie", weil ich mit der Art, wie die Illustratoren dieser Zeitschrift mit politischen Themen umgehen, meine Schwierigkeiten habe, also mit der rustikalen und zum Teil auch sehr kruden Art, wie sie sich mit Religion auseinandersetzen. Aber mich hat schon sehr bestürzt, dass da Zeichner wegen ihres Berufs umgebracht werden. Und so habe ich am Montag und Dienstag Kinderbuchautoren und Komikbuchzeichner angerufen und sie gefragt, „ist das etwas, was euch auch betrifft, dass da die Meinungsfreiheit ausgelöscht werden soll?". Aus diesen Telefongesprächen sind es dann von etwa 40 Anrufen 29 Zeichnungen geworden, die in diesem Buch versammelt sind."
Und diese 29, das sind dann auch Künstler die gesagt haben, dass es sie betrifft, dass es etwas bei ihnen bewegt.
"Bei einigen war das nicht so einfach, einige haben gesagt: „Ich bin kein Karikaturist, ich bin gar nicht dafür gemacht von heute auf morgen zu so einem Thema eine Zeichnung zu machen. Aber lass mir ein, zwei Tage Zeit." Und dann war es doch sehr erstaunlich, wie viele auf einmal gemerkt haben, dass sie in einem Bild eine ganze Geschichte erzählen können."
Das ist fast so etwas wie eine Leistungsschau der Illustratoren, namhafte Künstler sind dabei, Quint Buchholz, Janosch, Isabelle Kreitz Reinhard Kleist. Sie beide, Frau Kehn, Herr Könnecke, was ging in Ihnen vor, als der Anruf von Herrn Humann kam?
"Frau Kehn: Ja, mir ging es ganz genauso, dass ich Zeit brauchte um darüber nachzudenken und auch um ein Stück weit allein zu sein mit Papier und Stift und mir vorzubehalten ob das, was dabei rauskommt, es wert ist, in so einem Buch veröffentlicht zu werden."
Ihre Zeichnung ist dann auch eine Zeichnung, die schnell entstanden ist. Sie, Frau Kehn, haben einen Stift gewählt. Ein roter Stift, der in einer Zielscheibe zu sehen ist. Dahinter eine Figur, die ein bisschen wie ein Kastenmännchen, aussieht. Sie springt auf einer Sprungfeder aus einem solchen Kasten heraus. Diese Figur hat weibliche Züge, ich glaube das sind Sie selbst, ist das richtig?
"Das war nicht beabsichtigt, aber so etwas passiert mir immer wieder. Für mich ist an dem Bild wichtig gewesen eine Lebensfreude, Bewegung, Vielfältigkeit zu zeigen. Da sind ja alle möglichen kleinen lebhaften wimmeligen Figuren. Unter anderem auch eine Figur, die die Zunge rausstreckt, kleine Fabelwesen, die durchs Bild gehen. In erster Linie war die Lebendigkeit das, was ich erzielen wollte."
Herr Könnecke, gleiche Frage an Sie, was ist passiert, als Herr Humann angerufen hat?
"Naja, mir ging es wahrscheinlich wie den meisten anderen Kollegen. Das ist nicht mein Genre, Karikatur, das kann ich nicht. Dann habe ich auch gesagt „gib mir ein, zwei Tage Zeit, wenn mir etwas einfällt, mache ich etwas." Und dann bin ich nach einigem hin und her zu einer kleinen Bildergeschichte gekommen. Ich habe mich vielleicht ein bisschen um das eine pointierte Bild herumgedrückt."
Sie illustrieren oft für die Allerkleinsten, und sie haben auf zwei Figuren zurückgegriffen, die in ihrem Werk schon bestehen, Lester und Bob, was sind das für zwei?
"Das sind ja zwei Figuren aus einem etwas neueren Buch, das „Die Abenteuer von Lester und Bob" heißt, eine Ente und ein Bär, das ist so das klassische ungleiche Freundespaar. Die Ente ist so ein bisschen eine quirlige, vielleicht auch ein bisschen nervige Figur, und der Bär ist der ruhigere, bedächtigere und vielleicht auch etwas blödere von den beiden."
Die beiden stehen einander gegenüber, die Ente streckt dem Bär die Zunge heraus. Dann hat der Bär drei Möglichkeiten und es gibt einen kleinen Quiz. Was macht der Bär, Herr Könnecke?
"Ich habe also dreimal die Situation gezeigt, dass der Lester dem Bob die Zunge herausstreckt und ihn so provoziert. Bob reagiert auf drei unterschiedliche Art und Weisen: Einmal, indem er es einfach ignoriert und weggeht, und darunter steht dann richtig oder falsch?. Bei der zweiten Reaktion streckt er genau so die Zunge raus, richtig oder falsch?, und in der dritten Situation holt er eine Kalaschnikow und schießt den Lester über den Haufen, darunter steht ebenfalls richtig oder falsch."
Frau Kehn ich habe sie vor diesem Gespräch gefragt welche Illustration ihnen ganz besonders gut gefällt, in diesem Buch, und da haben sie gesagt das sei die von Herrn Könnecke. Was genau hat sie an dieser Aufarbeitung des Themas so angesprochen?
"Ich fand das total klasse, was Ole in seiner Art glasklar zum Ausdruck gebracht hat. Wir alle haben verschiedene Wahlmöglichkeiten. Und in diesem Zusammenhang ist natürlich die Dritte vollkommen absurd überzogen. Ich fand das derart auf den Punkt gebracht, dass ich finde, dass es eine sehr hohe Qualität hat."
Herr Humann, sie haben 29 bildliche Antworten zurückbekommen. Was hat das in Ihnen ausgelöst, gibt es vielleicht ein oder zwei, die sie besonders überrascht haben?
"Ich will noch einmal zurückgehen zu Ole Könneckes Zeichnung. Das war die einzige Zeichnung, die ich am liebsten deutlich verändert hätte. Als die kam, war ich ziemlich entsetzt, und das hat einen ganz einfachen Grund. Lester und Bob haben wir ein halbes Jahr zuvor herausgebracht, zwei sehr niedliche Kinderbuchcharaktere. Und ich dachte: „Was macht er jetzt, wenn dieses Bild irgendwo vorveröffentlicht wird, dann leiden diese beiden Charaktere durch diesen ganz anderen Kontext." Ich muss allerdings sagen, dass, je mehr ich das Buch durchblättere und es mir angucke, desto mehr verstehe ich die Qualität der Zeichnung. Insofern bin ich jetzt sehr glücklich, dass sie im Buch drin ist. Ich habe auch von anderen gehört, dass diese Zeichnung zu denen gehört, die aus dem Buch herausragen. "
"Was ich sehr schön finde ist, dass es sehr viele Zeichner gibt, die sich gefragt haben, "Wie sähe eigentlich meine Art der Provokation aus?" Zum Beispiel die Zeichnung von Atak, einem Zeichner aus Berlin, der Max und Moritz gezeichnet hat, die auf dem Fußboden an die Wand gelehnt dasitzen und beide "Mein Kampf" von Adolf Hitler lesen. Das hat überhaupt nichts mit Charlie Hebdo und den Ereignissen zu tun, und gleichzeitig doch eine ganze Menge, weil es fragt: "Womit würde ich eigentlich hier provozieren können?" Nämlich mit heiß geliebten Kinderbuchcharakteren, die etwas vollkommen Verbotenes und Irrwitziges machen. Ich will sonst nichts weiter herausheben, weil ich finde, dass das Zusammenspiel von eher stillen, nachdenklichen Zeichnungen, von provokativen Zeichnungen, von einer kleinen Bildergeschichte, wundervoll war. Es war ein Glücksgefühl jeden Tag zwei, drei Zeichnungen eintrudeln zu sehen, was für eine Vielfalt und Könnerschaft in diesem Buch steckt."
Eine Frage, die sich mir in den Tagen nach Charlie Hebdo gestellt hat ist, dass wir in einer Welt leben, in der alles auf Knopfdruck vorhanden ist. Man kann sich alles im Internet angucken: Pornografie, Gewalt, auch schöne Dinge, Kunst in jeder Schattierung. Dennoch schaffen es Zeichnungen solche Emotionen hervorzurufen. Womit erklären sie sich das?
Frau Kehn: Zeichnungen können Dinge, Stimmungen, auch komplizierte Sachverhalte ganz verdichtet auf den Punkt bringen. Sie können ganz neue Bilder schaffen, die unabhängig von Sprache ganz schnell zu lesen sind und eine eigene Sprache haben. Aber in dem Fall von Charlie Hebdo hat das natürlich auch mit der Darstellung von Allah zu tun und dem Verbot ihn darzustellen.
Herr Könnecke: Man kann mit Zeichnungen sehr schnell provozieren. Es ist ein bisschen wie schreiben: Man zeichnet ein Strichmännchen, schreibt darunter „Das ist der Prophet" und schon hat man jemanden verärgert. Das geht sehr viel schneller als mit einem Foto oder einem Film, es ist unmittelbar.
Freiheit und Provokation, dass scheinen die Pole zu sein, zwischen denen sich ihr Schaffen, sowie die Diskussion darum bewegt. Ist das für sie neu, dieser Zustand zu wissen „ich bin frei, aber kann auch provozieren", oder hat sie das immer schon begleitet?
Frau Kehn: "Wenn ich ehrlich bin, konzentriere ich mich in meinem beruflichen Tun völlig auf die Geschichte, die ich gerade bearbeite oder die ich gerade versuche zu zeichnen. Ich tauche dann in die Geschichte ab und versuche einfach so gut wie möglich, meine Bilderwelt zu Papier zu bringen. Ich bin immer glücklich darüber wenn mir Sachen mitgeteilt werden, die ich beabsichtigt habe, ich habe es bisher wenig gehabt, dass sich Menschen provoziert oder beleidigt gefühlt haben.
Herr Humann, Sie haben anfangs gesagt, dass sie nicht mit allen Bildern einverstanden sind, die man in Charlie Hebdo sehen konnte. Was genau war das, was Ihnen da nicht gefallen hatte?
Ich glaube, dass Charlie Hebdo nur in der französischen Kultur zu verstehen ist. Die Franzosen haben ja eine ganz merkwürdige Art sich gegen Autoritäten aufzulehnen, teilweise sehr radikal. Wir beobachten das bei Streiks, die in Frankreich stattfinden, dass da eine Radikalität zu finden ist, die wir in unserem weichgespülten Konsensdeutschland so nicht kennen. Diese Art, wie sich diese Zeichner mit Religion beispielsweise beschäftigen, oder mit Autoritäten, ist sicher vielen von uns, mir allen voran, sehr fremd. Zumal Religion bei uns überhaupt nicht diese ausschlaggebende Rolle spielt, sodass man sich Monate oder Jahre mit Religion, sei das nun der Islam, Katholizismus, oder das Judentum, auseinandersetzt. Mich lässt das auf der einen Seite kalt, auf der anderen Seite ist das etwas, was mich höchst verstört. Aber das war ja in dem Moment überhaupt nicht der Punkt, und deswegen: Nein, ich bin nicht Charlie Hebdo, aber ich bin auch dafür, dass ein Zeichner auch die schlimmsten Sachen machen muss und darf. Allerdings, und da habe ich ein Problem mit den französischen Kollegen, finde ich, dass die Freiheit, die jeder einzelne hat, immer gekoppelt sein müsste mit Respekt. Und der fehlt mir in vielen Fällen, in denen die Kollegen von Charlie Hebdo gezeichnet haben.
Freiheit und Respekt, Herr Könnecke, was meinen sie dazu?
Herr Könnecke: "Ich hab ein wenig Schwierigkeiten mit dieser fast schon kindischen Provokation. Vielleicht habe ich deswegen auch den Beitrag für das Buch so gewählt. Ich fand dieses ständige Sticheln überflüssig. Ich denke auch an die Mohammed Karikaturen aus Dänemark, die ja auch mit der Absicht, jetzt mal so richtig zu sticheln, gemacht worden sind. Ich weiß nicht warum man das machen sollte."
Herr Humann: "Provokation nutzt sich auch ab. Wenn sie in dieses Buch hineinschauen, werden sie auch merken, dass das Thema Islam in diesem Buch fast überhaupt gar keine Rolle spielt. Es ist vielmehr ein Innehalten, was machen wir Zeichner und wie mächtig ist das, was wir machen. Wir hatten auch im Verlag darüber Diskussionen, ist ein Kinderbuchverlag überhaupt der richtige Ort so etwas zu machen, was sich in Erster Linie an Erwachsene und nicht an Kinder richtet, wobei man gut als Erwachsener mit einem Kind über einzelne Bilder reden kann. Die Bilder geben allemal genug Stoff, um auch über politische Dinge zu sprechen. Ich fand es so interessant wie immanent politisch sich Kinderbuchillustratoren äußern, die man sonst immer mit Bärchen und Enten und sonstigen eher harmlosem Getier in Verbindung bringt.
Der Aladin-Verlag, den Sie, Herr Humann, jetzt leiten, ist ja noch relativ neu, 2013 gegründet. Sie waren vorher 15 Jahre lang bei Carlsen, Sie sind der Mann, der die deutschen Rechte für Harry Potter bekommen hat, Sie haben sozusagen Kinderbuchverlagsgeschichte geschrieben in Deutschland. Was hat für Sie den Ausschlag gegeben nochmal neu anzufangen? Waren es eben auch solche Freiheiten, solche Projekte machen zu können?
Nachdem dieses Buch erschienen ist, habe ich gemerkt, genau so etwas ist es. Genau diese Möglichkeit mit kreativen Menschen, sei es dass sie schreiben oder zeichnen, irgendwelche Dinge auf die Beine zu stellen, was in einem großen Apparat nicht so ohne Weiteres möglich ist, weil in einem großen Apparat ist viel mehr Abstimmungsbedarf, ist viel mehr Bedenken hin, Bedenken her, Überlegen, passt das zum Markt, passt das zum Image. Tausend Fragen und Überlegungen, die dann eine gute Idee meistens schon im Keim ersticken. Das ist das eine. Zum anderen wollte ich auch wieder viel näher am Entstehungsprozess von Büchern dran sein, und das kann man eben nicht in einem so großen Laden, dafür ist der viel zu klein- und arbeitsteilig. Ich hatte das Glück, dass der Verlagskonzern, zu dem Carlsen auch gehört, mir es ermöglichte so etwas noch einmal neu zu machen.
Wie kamen sie auf den Namen "Aladin Verlag"?
Das ist insofern eine längere Geschichte, weil es eine zwei, drei Seiten lange Liste mit verschiedenen Namen gab. Vieles verwirft sich, weil es schon andere haben und man keine Webseite anmelden kann. Vieles lässt sich beispielsweise in anderen Sprachen nicht aussprechen. Vieles ist zu kindisch und dann würde man so ein Buch gar nicht verlegen können, wenn da drauf zum Beispiel Pippifax oder Knuddelkiste oder was auch immer drauf stünde. Letztendlich war es so, dass eine Kollegin ankam und meinte, sie hätte mal einen Hund namens Aladin gehabt, sei das nicht ein schöner Name. Und so blieb dieser Name hängen. Wir waren erstaunt, dass noch niemand anderes auf den Namen gekommen war, wir fanden dass er sowohl etwas Kindliches, als auch etwas Geheimnisvolles, auch Etwas ist, was Erwachsene anspricht, und insofern habe ich das Gefühl, es ist der ideale Name. Wenn es dann seit einem halben Jahr auf dem Markt ist, fragt man sich auch gar nicht mehr, was es bedeutet, sondern dann setzt es sich entweder fest oder eben nicht, und in diesem Fall beginnt es sich glaube ich ganz gut festzusetzen. Man verbindet es mit Büchern, die auf die eine oder andere Weise besonders sind.
Es ist ein Verlag, der ein besonderes Gewicht auf Illustrationen legt. Kinderbuch, Bilderbuch, illustriertes Sachbuch, gleich mit vier Titeln sind sie nominiert für den diesjährigen Jugendliteraturpreis. Ist das für sie vielleicht auch das Neue, das sie so eng mit Illustratoren zusammenarbeiten können?
"Das konnte ich in dem einen oder anderen Falle auch schon bei Carlsen, aber hier wollten wir ein Gleichgewicht herstellen. Zur Hälfte sind es Bilderbücher, und zur Hälfte sind es eben Kindergeschichten, die zum Teil aber auch bebildert werden, das war uns wichtig. Nun hat man es auch leicht wenn man in einer Stadt wie Hamburg sitzt wo hinter jeder Ecke Talente lauern, mit denen man zusammenarbeiten kann. Ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass nicht nur das Buch an sich wunderbar ist, sondern dass es auch ganz wunderbare Auswirkungen hat. Alles, was in diesem Buch ist, von dem Papier über den Druck über den Transport bis hin zu den Honoraren für die Zeichner wird gespendet, sodass wir, wenn wir die ersten 8.000 Exemplare verkauft haben 44.000 Euro an den Pen, das "Writers in Prison"-Programm stiften werden. Insofern ist das Buch nicht nur schön anzugucken, man macht auch noch auf die Leute aufmerksam, die wegen ihrer Meinung im Gefängnis sitzen."
Klaus Humann (Hrsg.): Zeichner verteidigen die Meinungsfreiheit
Aladin Verlag, 12,90 Euro
Aladin Verlag, 12,90 Euro