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"Zeit"-Beitrag von Wladimir Putin
Desinformation eines Despoten

Russlands Präsident Putin veröffentlicht in der "Zeit" einen Gastbeitrag zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion. In ihrer Kolumne kritisiert Samira El Ouassil, dass ein Despot seine Propaganda so prominent verbreiten kann - auch wenn ergänzende Beiträge in der Zeitung geplant sind.

Von Samira El Ouassil |
Russlands Präsident Wladimir Putin
In seinem Gastbeitrag für die "Zeit" kritisiert Russlands Präsident Putin die EU und die NATO (picture alliance / Russian Look | Kremlin Pool)
Stellen Sie sich vor, Sie sind ein reichweitenstarkes, deutschsprachiges Wochenmagazin. Die russische Botschaft wendet sich an Sie und sagt, ihr autokratischer Machthaber wolle bei Ihnen einen Gastbeitrag platzieren - und zwar zu einem historischen Jahrestag. Was machen Sie? Drucken Sie diesen Text - oder drucken Sie ihn nicht?
Bevor Sie jetzt eine Entscheidung treffen - ein paar wichtige Hintergrundinformationen: Der besagte autokratische Machthaber lässt Journalisten und Journalistinnen sowie politische Opponenten in seinem Land verfolgen. Er ist nicht unbedingt bekannt dafür, die Pressefreiheit zu schützen und hat insgesamt ein Problem mit Menschenrechten, und besonders die von queeren Menschen.
Er hat kein Problem mit der Verbreitung politischer Lügen – weshalb er den Gastbeitrag in Ihrem Magazin höchstwahrscheinlich für Propagandazwecke nutzen wird. Daher nochmals die Frage: Würden Sie seinen Gastbeitrag drucken – oder eher nicht?

Verlogenheit öffentlich vorführen

Die Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" hat sich entschieden, einen Gastbeitrag von Russlands Präsidenten Wladimir Putin zum 80. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion zu veröffentlichen.
Die Abbildung aller Meinungen und Positionen war und ist schon immer Blattlinie und professionelles Ideal der Hamburger Wochenzeitung gewesen. Und man könnte hier auch mit einem möglichen positiven Effekt argumentieren: Eben weil dieser autoritäre Despot die freie Presse in seinem Land unterdrückt, muss man ihm in einem deutschsprachigen Medium erst recht die Freiheit seiner Stimme zugestehen und kann so seine Verlogenheit öffentlich vorführen.

Fragwürdige Autoren für bestimmte Themen

Dennoch bleibt das Signal verstörend: Es ist, als schriebe der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro in der "Süddeutschen Zeitung" einen Essay über die Geschichte Brasiliens oder Trump einen Artikel über Wahlurnen im "Spiegel" – oder als würde Alexander Gauland in der FAZ einen Gastbeitrag über Populi… - ach, Moment, Entschuldigung, das war ja tatsächlich passiert.
Bei Gastbeiträgen politischer Akteure stellen sich immer zwei wesentliche Fragen. Es geht um das Was und das Warum? Was wollen sie schreiben und warum wollen sie es ausgerechnet dort veröffentlichen, also beispielsweise in einem deutschen Medium?

Adelung aus dem Ausland

Denn autoritäre Machthaber, die über etliche Kanäle verfügen, um sich Gehör zu verschaffen, sind ja nicht zwingend auf seriöse Medien angewiesen. Geht es also um den Anstrich des Bürgerlichen, um einen Wunsch nach Adelung im Ausland oder einfach darum, ein anderes, ausländisches Publikum zu erreichen?
Und das führt uns zum Was: Im Falle von Putins in der "Zeit" erschienenem Text ist offensichtlich, dass er historische Sachverhalte weggelassen und willentlich Fehleinschätzungen publiziert hat. Putin wirkt nicht gerade wie jemand, der Kritik oder einem strengen Redigat aufgeschlossen gegenüber eingestellt zu sein scheint, und auch diese Information wäre relevant: Wie wurde dieser Text überhaupt abgenommen?

Desinformation eines Despoten

Es ist hier nicht der Rahmen, auf diese Lücken und Biegungen einzugehen – aber bestenfalls tut die "Zeit" ja genau das in den kommenden Tagen. Denn sie ließ schon jetzt den Beitrag nicht gänzlich unkommentiert auf ihre Leser los: In einem Infokästchen erfahren wir, dass Gegenkommentare zu diesem Text geplant seien. Eine zeitnahe Demontage durch Historikerinnen und politische Beobachter könnte – und in der Tat hören Sie hier vielleicht ein bisschen Skepsis – aber könnte diesem Gastbeitrag eines ausgewiesenen Propagandisten einen publizistischen Mehrwert verleihen.
Es bleibt dennoch – und das in einem der wichtigsten Wochenmagazine Deutschlands – das muss man so festhalten: die veröffentlichte Desinformation eines Despoten.
Samira El Ouassil ist Kommunikationswissenschaftlerin, Schauspielerin und politische Ghostwriterin. 2009 war sie die Kanzlerkandidatin für DIE PARTEI. Seit September 2018 schreibt sie für das Medienkritikmagazin Übermedien die Kolumne "Wochenschau". Mit Gedächtniskünstlerin Christiane Stenger beantwortet sie außerdem im Audible-Podcast "Sag Niemals Nietzsche" Fragen der Philosophie.