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Zeit zum 'Entkusseln’

Burkhard Jäkel ist in seinem Element. Gekonnt gräbt der 49-jährige Landschaftspfleger eine junge Birke aus. Sie steht in der Schwindebecker Heide bei Amelinghausen in Niedersachsen. Und hat hier nichts zu suchen: sie nimmt dem Heidekraut Licht und Wasser, in nur wenigen Jahren wäre der typische Charakter dieser Landschaft verloren. "Kusseln" heißen hier Bäume, Sträucher und Gräser, die sich zwischen calluna vulgaris, so der wissenschaftliche Name der Besenheide, verirren. Und zweimal im Jahr geht es ihnen beim sogenannten Ent-kusseln an den Kragen. Mit Astscheren, Forken und Spaten rücken die Einheimischen dann aus. Mehr als siebzig sind es an diesem sonnigen Oktobertag: Handwerker und Landwirte, Hausfrauen und Mitarbeiter der Samtgemeinde - alle machen mit. Der Leiter des gemeindeeigenen Touristik-Centers, Martin Kemper, bringt die Motivation der meisten Helfer auf den Punkt:

Von Martin Koch |
    Wir leben von der Heide, wir leben in der Heide, das ist unser Zukunftskapital, unser Ist-Kapital, und die muss man pflegen und erhalten.

    Vor 200 Jahren war die Gegend um Amelinghausen zu 75 Prozent Heide. Durch falsche Bewirtschaftung und weil nach dem zweiten Weltkrieg die britischen Truppen hier ihren Übungsplatz einrichteten ist es jetzt nur noch ein Prozent. Doch zum Glück mit wieder steigender Tendenz. Das ist unter anderem Rolf Peter Meyer zu verdanken. Der gelernte Landwirt und Landschaftspfleger aus Winsen an der Luhe engagiert sich seit mehr als zwanzig Jahren für das Wiederanlegen von Heideflächen. In seinem Unternehmen hat er diverse Spezialmaschinen dafür entwickelt und ist durch Einsätze im europäischen Ausland und in der ganzen Bundesrepublik zu einem anerkannten Heide-Experten geworden.

    Es gibt 22 verschiedene Arten calluna vulgaris, sprich: Besenheide, die hier im Bundesgebiet verteilt sind, die aufgrund des Klimas, das wir in den verschiedenen Regionen haben, sich unterschiedlich entwickelt haben. Wenn man heute beispielsweise in Rheinland-Pfalz Heideflächen neu anlegen möchte, muss man schon darauf achten, dass dann auch das Saatgut aus dieser Klimazone stammt und muss das rechtzeitig planen und langfristig planen.
    Drei bis vier Jahre Vorlauf braucht so eine neu anzulegende Fläche. Die Schwindebecker Heide bei Amelinghausen war für die Experten eine besondere Herausforderung, erinnert sich Rolf Peter Meyer:

    Die Landschaft, wenn man sie vorher gesehen hat, glich einer, die man vielleicht auf dem Mond wiederfinden würde, und besonders schwierig war es in dieser Situation mit den ganzen, ich sage mal, Altlasten, Panzerketten, Wrackteile, völlig zerstörte Landschaft, da wirklich ne Landschaft zu schaffen, der man hinterher nicht anmerkt, dass sie von Menschenhand geschaffen wurde.

    Das ist hier überzeugend gelungen - doch es ist weit mehr als der touristische Aspekt, der Heideflächen wertvoll macht. Für den Naturschutz sind sie wahre Schatzkammern, sagt Landschaftspfleger Burkhard Jäkel:

    Das sind solche mageren Ecken, die wir in der Landschaft nur noch sehr selten finden, und hier sind tatsächlich sehr viele Rote-Liste-Arten, also insbesondere Insekten, die wirklich auf kargen Böden in der Sonne brutzeln, wie zum Beispiel verschiedene Heuschreckenarten, auch Kreuzottern haben wir hier natürlich.

    Zu viele Nährstoffe aus dem Regenwasser, Vermoosung und der Heidekäfer bedrohen diese einzigartige Landschaftsform. Deshalb ist das regelmäßige Entkusseln so wichtig. Ergänzt werden die punktuellen Arbeitseinsätze der Freiwilligen durch eine Schnuckenherde, die seit einem Jahr über die Heide rund um Amelinghausen geführt wird. Die Tiere fressen Birken und Kiefern-Sprösslinge ab, noch ehe die groß werden können. Der eigens dafür gegründete Verein RegioKult will auf diese Weise einen Ring von Heideflächen um den Ort herum schaffen - doch das langfristige Ziel geht über die Gemeindegrenzen hinweg, Amelinghausen verstehe sich als Bindeglied im europäischen Heidekonzept, sagt Burkhard Jäkel:

    Es gibt hier einmal die atlantischen Heiden, die sich von Frankreich bis hoch nach Norwegen ziehen, und dann die kontinentalen Heiden. Wir sind hier im Übergangsbereich der kontinentalen Heiden zu den ozeanischen, und wir vermitteln mit der Zentralheide bei Wilsede zu den Heiden im Bereich Lüchow-Dannenberg, Nemitzer Heide, bis hin Richtung Magdeburg, da sind wir natürlich ein wichtiger Baustein, man nennt das auch Trittsteinbiotop, um dann auch hier wirklich ein Bindeglied herzustellen.