Myriam Schmidt [Name von der Redaktion geändert] wohnt in einem dreistöckigen Altbau-Reihenhaus in Bonn, nahe am Zentrum, der Rhein ist nicht weit weg. Wir treffen uns an einem Morgen. Myriam Schmidt hat gerade ihren eineinhalbjährigen Sohn in den Kindergarten gebracht, in der Küche räumt sie Überreste des Frühstücks weg, im Flur liegt Kinderspielzeug.
"Möchten Sie ein Wasser oder einen Kaffee, oder beides?" Während sie den Kaffee einschenkt, liest Myriam Schmidt noch schnell eine Nachricht auf ihrem Handy, streicht sich dann eine Strähne ihres langen dunklen Haares aus dem Gesicht und geht in den Flur, Richtung Wohnzimmer. "So, Wasser ist schon da…"
Im Auto, auf dem Weg zum Kindergarten und zurück hört die 42-Jährige häufig den Deutschlandfunk – auch an einem Morgen im August:
"Und da ging es mal wieder um den Leiharbeiter oder Zeitarbeiter, der eigentlich nicht gut genug qualifiziert ist für den Arbeitsmarkt und in der Regel auch aus der Langzeitarbeitslosigkeit kommt. Und in dem Moment habe ich an meine eigene Situation gedacht oder auch an die meiner Kollegen und habe gedacht: Wir gehören definitiv nicht zu diesem Kreis."
Myriam ist Kommunikationswissenschaftlerin
Denn Myriam Schmidt, die eigentlich anders heißt, aber ihren Namen lieber nicht im Radio hören möchte - sie ist auch Leiharbeiterin. Die studierte Kommunikationswissenschaftlerin ist zwar gerade noch in Elternzeit und dabei, ihre Rückkehr in den Job zu organisieren, doch seit mehr als vier Jahren ist sie bei einer Zeitarbeitsfirma unter Vertrag.
"Das war so, dass ich eine Ausschreibung gesehen habe für einen internationalen Bildungsdienstleister, Erwachsenenbildung, großer Konzern und das klang alles sehr interessant, das passte sehr gut auf mein Profil."
Es sei von Beginn an klar gewesen, dass es sich um eine Stelle in Arbeitnehmerüberlassung, also in Leiharbeit handelt, sagt Schmidt – aber sie brauchte den Job.
"Also, es war auf jeden Fall immer schon nur der zweitbeste Weg. Nach mehreren Monaten der Arbeitssuche war ich dann einfach auch bereit, mich auf so was einzulassen, auf Zeitarbeit."
Myriam Schmidt hat ein abgeschlossenes Magister-Studium, spricht mehrere Sprachen fließend, hat mehr als drei Jahre in Paris gelebt und gearbeitet und schon viele Jobs in der Kultur- und Bildungsbranche gehabt – gering qualifiziert ist die 42-Jährige sicherlich nicht.
"Und da hat es mich so gestört, dass auch in diesen guten Interviews und gut recherchierten Beiträgen dieses Bild des Leiharbeiters verfestigt wird, der ja vielleicht auch ein bisschen selber schuld ist, der nicht richtig sich um seine Zukunft gekümmert hat. Und das stimmt so alles nicht, und das hat mich dann alles geärgert und daraufhin habe ich eine Mail verfasst."
Gefahr eines Prekariats auf hohem Niveau
Sie möchte, dass die Öffentlichkeit auch über Fälle wie den ihren Bescheid weiß, "weil diese Zeitarbeitsanstellung natürlich auch dazu führen kann, dass auf sehr hohem Niveau sich da so ein Prekariat bilden kann."
Denn auch im Bereich der Gutqualifizierten bedeutet Leiharbeit meist weniger Geld für gleiche Arbeit, weniger Urlaubstage, keine Zulagen oder Firmenvergünstigungen und nur begrenzte Aufstiegschancen. Mehr als drei Jahre war Myriam Schmidt an ein und denselben Konzern ausgeliehen. Das ist jetzt nicht mehr möglich, der Gesetzgeber hat weitreichende Änderungen beschlossen, die im Frühjahr dieses Jahres in Kraft getreten sind: So dürfen Zeitarbeiter nur noch höchstens 18 Monate an ein Unternehmen ausgeliehen werden, danach müssen sie übernommen werden. Und: Nach neun Monaten müssen sie den gleichen Lohn erhalten wie ein Festangestellter.
Myriam Schmidt findet die Änderungen gut, aber zurzeit hat sie noch nichts davon: Sie hat zwar noch einen unbefristeten Vertrag bei ihrer Zeitarbeitsfirma, aber die hat gerade keine passende Stelle für sie, deshalb hat sie ihre Elternzeit erst einmal verlängert. Aber komplizierte Arbeitsverhältnisse, damit kenne sie sich ja aus, sagt sie:
"Einfacher wäre es auch in Ordnung gewesen, rückblickend muss ich sagen. So einen unbefristeten Vertrag weiß ich sehr zu schätzen."
"Ich möchte fair bezahlt werden"
Warum sie überhaupt so lange in der Leiharbeit geblieben ist und ihren Traumjob letztlich nur über die Zeitarbeitsfirma bekommen hat – so recht erklären kann sich Myriam Schmidt das auch nicht. Vielleicht liegt es daran, dass sie nach ihrem dreijährigen Auslandsaufenthalt zu lange weg war vom deutschen Arbeitsmarkt.
Vielleicht liegt es aber auch an der chronisch unterfinanzierten Kultur- und Bildungs-Branche, in der es häufig vor allem eines gebe: Schlecht bezahlte Jobs.
"Dass dann wir nicht noch unseren Computer und unseren Stuhl mitbringen müssen, ist dann ja auch teilweise alles."
Mittlerweile ist aus dem Morgen später Vormittag geworden. Bevor wir uns verabschieden, sagt Myriam Schmidt noch, dass sie die Leiharbeit gerne gemacht hat, aber:
"Ich möchte fair bezahlt werden für die Leistung, die ich abliefere. Und ich möchte auch nicht immer gerne genommen werden mit den Qualifikationen, die ich habe, für eine Tätigkeit, die dann, na ja, doch nicht so anspruchsvoll ist, wo dann aber natürlich diese Qualifikationen wie Sprachkenntnisse, Führungserfahrungen, dann aber auch gerne genommen werden. Ich finde das nicht fair und ich finde diese Ansprüche, die ich habe auch absolut nicht überzogen."