"Tachchen. Der Herr Grotelüschen vom Deutschlandfunk. Wollte einmal mit mir rein." "Personalausweis dabei?"
Ahaus, eine 40.000-Einwohner-Stadt im Münsterland, unweit der Grenze zu den Niederlanden. Etwas außerhalb: eine riesige Halle, knapp 200 Meter lang, 20 Meter hoch. Am Empfang: eine Frau hinter einer Scheibe aus Sicherheitsglas.
"Sind Sie zum ersten Mal hier?" "Ja." "Dann bitte ich Sie, die Rückseite zu lesen und anschließend neben dem Datum zu unterschreiben." Zwei Formulare muss ich abzeichnen, in der Zwischenzeit wird mein Personalausweis geprüft. "Das Kärtchen bitte sichtbar tragen." "Dann bitte einmal folgen."
Nach dem Papierkram: eine Sicherheitskontrolle wie am Flughafen. "Dann legen Sie bitte einmal sämtliche metallischen Gegenstände ab." Portemonnaie, Schlüssel, Gürtel, dann der Gang durch den Metalldetektor. Sorgfältig prüft der Sicherheitsmann mein Equipment: Mikrofon, Aufnahmegerät, Kopfhörer. Jetzt endlich kann es losgehen, durch eine Schleuse in die Halle hinein.
"Der Herr Grotelüschen und Herr Dr. Knollmann betreten jetzt die Halle. Wir folgen dann." "Ja, alles klar." "Der Objektsicherungsdienst begleitet uns. Das ist quasi vorgeschrieben." Objektschutz, doppelter Zaun, meterdicke Betonwände. Die Riesenhalle von Ahaus ist besonders geschützt. Sie ist ein Zwischenlager für Atommüll.
Endlagersuche praktisch zurück auf Null gestellt
Das Zwischenlager Ahaus. Gebaut in den achtziger Jahren sollte es den hochradioaktiven Atommüll aus deutschen Kernkraftwerken aufnehmen, gemeinsam mit dem Zwischenlager im niedersächsischen Gorleben. Und zwar so lange, bis das Endlager im Salzstock Gorleben fertig sein würde, Anfang der 2030er Jahre.
Doch immer wieder gab es Proteste gegen dieses Endlager – zu unsicher, meinten Kernkraftgegner. 1998 kam Rot-Grün an die Regierung, beschloss den Ausstieg aus der Atomkraft und stoppte die Erkundung des Gorleben-Salzstocks. 2017 verabschiedete der Bundestag mit großer Mehrheit das Standortauswahlgesetz. Damit stellte er die Endlagersuche praktisch zurück auf null: Seitdem ist Gorleben nur noch einer von vielen Kandidaten für das Endlager. David Knollmann von der Gesellschaft für Zwischenlagerung, kurz BGZ:
"Dieses Standortauswahlgesetz sieht einen mehrstufigen Suchprozess nach einem Endlager-Standort vor. Und nach diesem Gesetz soll im Jahr 2031 der Standort für ein Endlager benannt werden. Um das Jahr 2050 soll es in Betrieb gehen."
Ein erster Zwischenbericht grenzt den Kandidatenkreis in Deutschland aufgrund ihrer geologischen Bedingungen jetzt weiter ein. Auf die verbliebenen Standorte warten Erkundungen, aber auch Anwohnerproteste, Gegengutachten und Klagewellen. Ein paar Expertenstimmen dazu:
"Man muss davon ausgehen, dass es sich um viele weitere Jahrzehnte verzögern wird." "Das ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass das noch viel später ist." "Persönlich würde ich glauben, dass 2100 vielleicht wirklich ein Datum ist, wo wir ein Endlager haben werden."
Zwischenlager werden zu Langzeitlagern
Damit werden die Zwischenlager zu Langzeitlagern, womöglich bis zum Ende des Jahrhunderts. Und das schafft Probleme, sagt David Knollmann:
"Die Zwischenlager sind immer noch auf 40 Jahre befristet, weil man zum damaligen Zeitpunkt noch dachte, dass Anfang der 2030er Jahre ein Endlager Gorleben in Betrieb geht. Die erste Befristung läuft am Standort Gorleben ab im Jahr 2034 und hier in Ahaus im Jahr 2036."
Die Zwischenlager in Gorleben und Ahaus sind mehr als 30 Jahre alt, ebenso wie manche Castoren. Für beide laufen die Genehmigungen im kommenden Jahrzehnt aus. Wie lange das alles noch sicher ist, das weiß niemand so genau. Maik Stuke von der Gesellschaft für Reaktorsicherheit:
"Da gehören Gebäudestrukturen dazu, da gehört natürlich auch der Behälter dazu und eben auch das Behälterinnere. Die bisherigen 40 Jahre Lagerzeit sind ganz gut erklärt, und da weiß man auch ganz gut, was da passiert. Alles, was darüber hinaus ist, ist bisher nicht wirklich im Forschungs-Fokus gewesen."
Hochsicherheits-Behälter für Atommüll: Die Castoren
Der Blick der Fachwelt richtet sich auf die Castoren. Sie wurden konstruiert, um abgebrannte Brennstäbe und verglasten Abfall aus der Wiederaufarbeitung zu transportieren und zwischenzulagern. Wenn alle deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet sind, wird es rund 1900 davon geben.
Im Zwischenlager Ahaus stapft David Knollmann eine Treppe hinauf. Sein Ziel: eine Empore, die einen Überblick bietet über die Riesenhalle.
"In Ahaus wird in der westlichen Hallenhälfte schwach- und mittelradioaktiver Abfall in Schiffscontainer-artigen Behältern aufbewahrt. Und wenn wir hier unseren Blick nach rechts wenden und in den östlichen Hallenbereich blicken, dann sehen wir da die Castor-Behälter, die hier in Ahaus lagern."
Hinten in der Halle stehen mehr als 300 tonnenförmige Castoren, gut menschenhoch und gelb lackiert. In ihnen lagert der strahlende Müll aus dem Kugelhaufen-Reaktor in Hamm-Uentrup, einem Atommeiler, der in den Achtziger Jahre für kurze Zeit in Betrieb war, sich dann aber als Fehlschlag erwies. Davor stehen sechs blaue Castoren, sie sind deutlich größer als die gelben. Um sie genauer anzuschauen, gehen wir wieder hinunter – und stoppen vor einem Spezialtor.
Auf Knopfdruck fährt es zur Seite, allerdings wie in Zeitlupe. "Das ist auch der Sicherheit geschuldet, dass man sehr langsam öffnende Türen hier hat." Wir gehen auf die sechs blauen Castoren zu, bis uns eine Absperrleine den Weg versperrt. "Das ist der sogenannte Kontrollbereich. In dem darf man sich nur aufhalten, wenn es besondere betriebliche Gründe hat, dass man sich in diesem Bereich aufhält. Wir gehen da nicht rein!"
"Die teuersten Mülltonnen Deutschlands"
Seit 1998 stehen die Castoren hier, seit 22 Jahren.
"Es sind drei aus einem Siedewasserreaktor und drei aus einem Druckwasserreaktor. Die kleineren sind fünfeinhalb Meter und die größeren sechs Meter hoch und wiegen leer ungefähr ein bisschen mehr als hundert Tonnen. Zum Vergleich: Eine Mittelklasse-Verkehrsflugmaschine wiegt 75 Tonnen. Ein leerer Behälter ist schon schwerer als ein Verkehrsflugzeug."
Der Aufbau: Wände aus 44 Zentimetern Spezialmetall. Zwei massive Deckel mit Metalldichtungen. Kühlrippen zur Abfuhr der Nachwärme. Stoßdämpfer als Schutz vor mechanischen Einwirkungen. Stückpreis 1,5 Millionen Euro – die teuerste Mülltonne Deutschlands, wie manche spötteln. Jetzt zeigt Knollmann auf ein Messgerät einige Meter von den Castoren entfernt.
"Da können wir die aktuelle Strahlung hier in der Halle ablesen. Wenn Sie möchten, können wir das gerne machen." Komplett kann der Castor die Strahlung nicht abschirmen, trotz der massiven Wände kommt etwas durch. "Die Messstation zeigt 0,5 Mikrosievert pro Stunde."
Doppelt so viel wie die durchschnittliche natürliche Strahlenbelastung in Deutschland. Nicht weiter bedenklich, meint David Knollmann:
"Wenn Sie beispielsweise einen Transatlantikflug von Frankfurt nach San Francisco nehmen, da bekommen Sie 0,2 Millisievert als Einzeldosis. Das wären ungefähr 200 Mikrosievert, und hier haben wir jetzt 0,5 Mikrosievert pro Stunde. Man kann ablesen, dass der Behälter die Schutzfunktion Abschirmung der Strahlung hier schon gewährleistet."
Wie sieht es im Inneren der Castoren aus?
"Die Funktion von diesen Behältern ist ja alles, was drin ist, auch drinnen zu lassen, so wenig wie möglich nach außen zu lassen. Da muss man sicherstellen, dass das auch so ist", sagt Maik Stuke von der GRS. Von außen lassen sich die Castoren regelmäßig inspizieren. Das Resultat klingt erstmal beruhigend: "Zum jetzigen Zeitpunkt deutet eigentlich nach meiner Ansicht nichts darauf hin, dass ein Behälter versagt. Das ist schon mal eine sehr positive Nachricht."
Dass die Behälter undicht werden und massiv Strahlung nach außen dringt, sei in absehbarer Zeit nicht zu befürchten, glaubt Stuke: "Es gibt bisher keine Hinweise, dass man da jetzt schnell innerhalb der nächsten 20, 30 Jahre aktiv werden müsste. Zumindest sehe ich die nicht."
Die Frage, die die Fachwelt beunruhigt, ist eine andere: Was ist mit dem Inneren der Castoren? In welchem Zustand sind die Brennstäbe, und wie werden sie in Zukunft aussehen? Könnte zum Beispiel die immerwährende Strahlung dazu führen, dass die Brennstäbe im Laufe der Zeit zerbröseln? Das könnte fatal sein für die spätere Endlagerung. Walter Tromm vom Karlsruher Institut für Technologie, kurz KIT:
"Die Behälter, die für die Transporte und für die Zwischenlager vorgesehen waren, also in unserem Fall mehrheitlich der Castor-Behälter, sind dafür speziell designt worden, mit Kühlrippen für die Kühlung der Brennelemente und so weiter. Aber sie sind nicht dafür ausgelegt worden, wirklich für das spezielle Wirtsgestein, was man dann wählen wird. Für diese speziellen Gesteinsformationen ist der Behälter nicht ausgelegt. Sondern da wollten wir einen Behälter speziell designen für diese Gegebenheiten in dem Tiefenlager."
Castoren waren nie für die Endlagerung vorgesehen
Ob das Endlager in einem Salzstock gebaut wird, in Tongestein oder in Granit, ist noch offen und wird sich vielleicht erst in Jahrzehnten entscheiden. Für jedes der drei Wirtsgesteine wäre eine andere Art von Lagerbehälter optimal. Die Castoren in das Endlager zu schicken, war nie der Plan.
"Das heißt, die Brennelemente müsste ich irgendwann mal aus dem Zwischenlager-Behälter rausnehmen und in diesen Behälter für das Endlager hineinbringen."
Je länger die Zwischenlagerung dauert, umso schwieriger dürfte es werden. Tromm:
"Wie sehen die Brennelemente aus? Können wir sie noch umlagern? Oder muss man davon eventuell Abstand nehmen, weil sie so spröde geworden sind, weil sie nicht mehr als singuläres Brennelement vorliegen, sondern schon zum Teil angerissen sind? Damit wäre eine Umlagerung nicht mehr möglich."
Dann müsste man die Castoren endlagern – eine Lösung, alles andere als optimal. Bislang schien das Problem nicht sehr drängend. Doch da sich die Endlagersuche immer weiter verzögert, gewinnt es an Brisanz. Deshalb nimmt die Forschung Fahrt auf, zum Beispiel am KIT in Karlsruhe.
Experimente mit abgebranntem Kernbrennstoff
Im Labor des Instituts für Nukleare Entsorgung gelten ähnliche Vorschriften wie im Zwischenlager Ahaus: Eingangskontrolle, Schutzkleidung, Sicherheitsschleuse. Außerdem muss KIT-Forscher Volker Metz ein Dosimeter mit sich tragen, einen Strahlungsmesser.
"Ich lege den elektronischen Dosimeter in das Aufnahmegerät. Dort wird geprüft. Ich gebe dort meine persönliche Zugangsnummer ein. Mein Name erscheint, jetzt wird getestet, und automatisch öffnet sich die Schleuse. Wir gehen jetzt zu unserem Labor, die abgeschirmten Boxen, in dem wir abgebrannten Kernbrennstoff mit Experimenten untersuchen."
Das Labor erinnert an ein Aquarium, nur ohne Wasser: In die Wand ist eine Reihe von Fenstern aus Spezialglas eingelassen. Aus ihnen schimmert gelbes Licht.
"Innerhalb dieser Zellen befindet sich hochabgebrannter Kernbrennstoff. Dort kann man als Mensch nicht hantieren. Deswegen: Wir haben hier sehr dicke Betonwände. Und die Fenster, durch die wir unsere Experimente beobachten können, sind mit dicken Bleiglasfenstern gesichert. Hier draußen, wo wir jetzt gerade uns befinden, ist kein erhöhter Strahlungshorizont."
Korrosionsgefahr bei den Brennstab-Hüllrohren
Um mit dem Kernbrennstoff hinter den Bleiglas-Fenstern hantieren zu können, hängen vor den Fenstern mechanische Arme mit Griffen dran. Es sind Manipulatoren, die verlängerten Hände der Fachleute.
"Wir nehmen Brennstab-Segmente, sägen die durch in diesen heißen Zellen. Und dann nehmen wir Scheiben heraus und gucken uns die Hüllrohre an, deren Beschaffenheit, wie weit sie noch intakt sind oder ob die korrodiert sind."
Ein Brennstab ist etwa vier Meter lang und dabei kaum dicker als ein Kugelschreiber. Er besteht aus einem Hüllrohr aus Zirkonium-Metall, darin der Brennstoff in Tablettenform, meist angereichertes Uran. Bei der Kernspaltung im Reaktor entstehen radioaktive Spaltprodukte wie Cäsium, Jod und Chlor. Die Befürchtung: Sie könnten die Hüllrohre angreifen und korrodieren lassen. Eine Gefahr, die bislang unbeachtet blieb, sagt Volker Metz.
"Bei den bisherigen Abschätzungen ist der Aspekt der Korrosion durch die Spaltprodukte noch nicht implementiert. Das ist, kann man sagen, ein blinder Fleck bei den Sicherheitsanalysen. Und wir schauen, ob dieser blinde Fleck kritisch ist oder ob es nur ein kleiner Nebeneffekt ist."
Werden die Hüllrohre spröde und brüchig?
Einige Versuchsreihen haben Metz und seine Leute bereits erledigt.
"Was wir beobachten konnten, waren tatsächlich Ablagerungen von dem Radio-Cäsium, Radio-Jod und Radio-Chlor. Für uns war interessant, dass diese drei Spaltprodukte Cäsium, Chlor und Jod, dass die Verbindungen eingegangen sind mit dem Uran des Kernbrennstoffs und dem Zirkalloy. Für uns ist noch eine große Frage und auch Ungewissheit, inwieweit diese Korrosion fortschreitet, wenn wir uns andere Proben anschauen, wo der Effekt der Korrosion möglicherweise viel stärker ist."
Gerade die sogenannten MOX-Brennelemente könnten Probleme machen, sie enthalten Plutonium. Sie könnten die Hüllrohre so stark mit strahlenden Spaltprodukten belasten, dass sie während der Zwischenlagerung spröde und brüchig werden – womöglich mit der Folge, dass man die Brennstäbe nicht mehr unbeschädigt aus den Castoren herausbekommt, um sie umzupacken in die eigentlichen Endlager-Behälter. Metz:
"Man hat zeigen können, dass die Transport- und Lagerbehälter sicher sind für 40 Jahre Zwischenlagerungszeit. Was aber nach 80, 90, 100 oder noch längeren Zeiten dort passiert, ist bisher unbekannt. Es ist eine große Ungewissheit. Und wir versuchen, dort Klarheit hineinzubringen."
Wasserstoff-Bildung könnte Probleme machen
Ein weiteres Fragezeichen: Wie verhält sich der Wasserstoff, der sich mit der Zeit in einem angebrannten Brennstab bildet? Martin Steinbrück vom KIT:
"Die Explosion in Fukushima, das waren Wasserstoffexplosionen und keine nuklearen Explosionen. Der Wasserstoff, der ist entstanden durch Wechselwirkungen dieses Materials – Zirkonium-Legierungen – mit dem Wasserdampf. Metall plus Wasserdampf gibt Metalloxid plus Wasserstoff."
Wasserstoff entsteht zwangsläufig während des Reaktorbetriebs, sagt Martin Steinbrück. Werden die abgebrannten Brennstäbe aus dem Reaktorkern entfernt, kommen sie für ein paar Jahre in ein Abklingbecken und kühlen ab. Dann kann der Wasserstoff mit dem Zirkonium-Hüllrohr chemisch reagieren, er bildet sogenannte Hydride.
"Und Hydride sind extrem spröde und beeinflussen und beeinträchtigen das mechanische Verhalten der Hüllrohre."
Die Hydride bilden feine Risse in den Hüllrohren. Verlaufen diese Risse parallel zum Rohrquerschnitt, sind sie relativ harmlos. Verlaufen sie senkrecht dazu, also radial, können sie gefährlich werden. Um den Unterschied zu illustrieren, nimmt Steinbrück ein Blatt Papier in die Hand.
"Stellen Sie sich vor, das ist unser Hüllrohr, etwas vergrößert. Ich mache jetzt einen Riss in dieses Rohr. Und dieser Riss steht für ein sprödes Zirkonium-Hydrid. Wenn dieses Hydrid parallel ist und es wird belastet, dann können wir dran ziehen und ziehen und ziehen – es geht nicht kaputt. Ich müsste schon richtig Kraft anwenden, um dieses Blatt kaputtzumachen. Wenn ich das Ganze jetzt um 90 Grad drehe, dann brauche ich fast gar keine Kraft, um dieses Blatt Papier und dann in Konsequenz auch das Hüllrohr brechen zu lassen."
Langzeit-Experiment soll Alterungsprozess klären
Wenn die Brennstäbe aus dem Abklingbecken kommen und in einen Castor-Behälter eingelagert werden, zeigen die Hüllrohre relativ ungefährliche Risse. Das ergaben die bisherigen Analysen. Doch wenn die Brennstäbe jahrzehntelang im Castor zwischenlagern und sich dabei immer weiter abkühlen – könnten sich die Risse dann umordnen? Dann könnten die Hüllrohre im Extremfall sogar brechen. Um das zu beantworten, plant Steinbrück im Februar einen Großversuch, eine Langzeit-Simulation: Er will ein Bündel aus 20 bis 30 Zirkonium-Stäben in eine Apparatur einschließen, in der ähnliche Bedingungen herrschen wie in einem frisch befüllten Castor: hohe Temperaturen und einiges an Wasserstoff.
"In dem geplanten Versuch werden wir über 250 Tage mit einer Maximaltemperatur von 550 Grad Celsius anfangen und werden dann dieses Bündel mit einem Grad pro Tag ganz langsam abkühlen, um so nah wie möglich an eine Langzeit-Zwischenlagerung heranzukommen."
Nach einem Dreivierteljahr sollen die Zirkonium-Stäbe ausgebaut und analysiert werden: Wie viele Risse haben sich gebildet und in welche Richtung verlaufen sie – parallel oder radial? Resultate, auf die die Fachwelt gespannt wartet. Und die unter anderem dazu dienen, ein wichtiges Prognose-Werkzeug mit Messdaten zu füttern – Computersimulationen.
Computersimulationen für die Vorgänge in den Castoren
"Es gibt keine Behälter, die mit Brennelementen für einen Zeitraum größer als 60, 70, 80, 90 Jahre stehen. Ich kann nicht mal eben nachgucken. Ich muss also irgendwelche theoretischen Modelle erschaffen, die mir vorhersagen, wie die Materialien dann aussehen."
GRS-Forscher Maik Stuke arbeitet an einem ehrgeizigen Ziel:
"Ich möchte die Entwicklung des Behälter-Inneren für die nächsten hundert Jahre voraussagen. Und das Ganze soll auch noch so sein, dass es eine sehr verlässliche Voraussage ist."
Mit seinem Team entwickelt Stuke Computersimulationen, die in die Zukunft schauen: Wie werden die Brennstäbe in einem Castor in 80 oder 100 Jahren aussehen? Sind sie dann noch halbwegs intakt? Oder sind sie soweit zerbröselt, dass sie sich kaum noch umlagern lassen?
"Wenn man dann diesen Behälter irgendwann öffnet, nach 100 Jahren, und möchte die Brennelemente aus diesem Behälter herausziehen, dann möchte man eben das gesamte Brennelement rausziehen und nicht nur den Brennelementkopf, und der Rest bleibt drin."
Die Simulationen sind aufwendig: Ein Castor enthält bis zu 6.000 Brennstäbe, und für jeden einzelnen müssen die GRS-Fachleute digital nachbilden, wie er sich im Reaktor verhält, im Abklingbecken und später im Castor. Stuke:
"Ist eine Sisyphusarbeit, keine Frage. Noch sind wir davon entfernt. Noch muss da viel passieren, vor allem, um sie belastbar zu machen. Aber ausgeschlossen ist das auf gar keinen Fall. Da kann man am Ende sehr gut zu belastbaren Ergebnissen kommen."
Einen Castor öffnen als Realitätscheck?
Im Idealfall ließen sich die Zustände für verschiedene Castoren aus unterschiedlichen Reaktoren simulieren – und dadurch jene identifizieren, die auf lange Sicht besonders gefährdet sein könnten. Experimente wie die in Karlsruhe sollen wichtige Eingangsdaten liefern für diese Computersimulationen. Dennoch wird man um einen wichtigen Realitätscheck kaum herumkommen: Über kurz oder lang wird man einen Castor öffnen müssen, um sein Innenleben zu inspizieren und den Zustand der Brennstäbe. Eine aufwändige, mit extremer Strahlung verbundene Prozedur, nur machbar in Speziallabors, sogenannten heißen Zellen. In den USA wurde das vor einiger Zeit gemacht, erzählt Walter Tromm.
"Das hat eigentlich gezeigt, dass die Behälter keine großartigen Korrosionen oder auch Versprödungen aufgezeigt haben. Man muss dabei aber bedenken, dass das Brennelemente aus dem frühen Reaktorbetrieb waren, die noch nicht mit Hochabbrand gearbeitet haben oder auch mit Plutonium-Uran-Mischoxid-Brennelementen. Sodass man, glaube ich, nicht sagen kann, dass diese Ergebnisse uns jetzt schon für die Zukunft Sicherheit geben, dass wir die Brennelemente sehr lange in den Transportbehältern liegen lassen können und dann nochmal umpacken können."
Deutschland zählt zu den Ländern, die die Brennelemente teils sehr lange in den Reaktoren betrieben haben. Dieser sogenannte Hochabbrand könnte die Hüllrohre der Brennstäbe besonders belastet haben, so die Vermutung. Um das zu prüfen, sollte auch Deutschland erwägen, einen Castor zu öffnen und nachzuschauen, was darin los ist, meint Walter Tromm.
"Tatsächlich gibt es diese Überlegung. Im Rahmen der OECD diskutieren wir das auch. Aber das muss noch weiter diskutiert werden, weil es ja doch ein erheblicher Aufwand ist."
Zweifel an der Sicherheit der Zwischenlager-Hallen
Was die Sache noch verzwickter macht: Im Zuge des Atomausstiegs wollte die rot-grüne Regierung die umstrittenen Castor-Transporte vermeiden. Also fasste sie den Beschluss, den Atommüll nicht mehr in die Zwischenlager nach Ahaus und Gorleben zu verfrachten. Stattdessen bekam jeder Atommeiler sein eigenes Standort-Zwischenlager, insgesamt sind es zwölf. Die Folge: Heute gibt es in Deutschland 16 Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente. Und die sind nach Meinung von Kernkraftkritikern alles andere als sicher. Juliane Dickel vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND):
"Man ging lange davon aus, dass die Sicherheit durch die Transportbehälter und die Lagerbehälter gewährleistet sein muss. Das heißt, die Zwischenlager-Gebäude selbst spielen nur eine nachgeordnete Rolle. Und das darf natürlich nicht sein. Auch die Gebäude müssen den größtmöglichen Schutz bieten. Und das ist was, wo dringend nachgerüstet werden muss.
Dickel sorgt sich nicht nur um die Castoren und deren Innenleben, sondern auch um das Drumherum: Sind die Hallen der Zwischenlager sicher genug?
"Die Wände sind einfach nicht dick genug. Es gibt Naturkatastrophen. In Zeiten des Klimawandels nehmen Wetterextreme zu, man muss sich darauf einstellen. Und es gibt die Einwirkung Dritter, sprich Flugzeugabstürze, versehentlich oder beabsichtigt. Das sind alles Aspekte, auf die man sich einstellen muss."
Geheimhaltung erschwert Beurteilung der Sicherheit
Wie die Sicherheitsvorkehrungen in den Zwischenlagern heute im Detail aussehen, ist geheim. Aus gutem Grund, sagt David Knollmann von der BGZ:
"Die Geheimhaltung hat den Zweck, dass die sogenannten Last-Annahmen, die wir zugrunde legen, ad absurdum geführt würden, wenn sie in die Öffentlichkeit gelangen. Dann hätte man ja gewissermaßen die Szenarien veröffentlicht, die wir zugrunde legen für die Sicherung der Anlage."
Würden die Maßnahmen offengelegt, könnten Terroristen mögliche Schwachstellen identifizieren und ausnutzen, so die Argumentation. Mit dieser Geheimhaltung haben sogar die Gerichte zu kämpfen. 2013 entzog das Oberverwaltungsgericht Schleswig dem Zwischenlager in Brunsbüttel nach der Klage eines Anwohners die Genehmigung, eben weil es keinen Einblick in die geheimen Pläne erhielt und damit die Sicherheit nicht beurteilen konnte.
Zum Teil gehen die Betreiber der Zwischenlager die Thematik der Hallensicherung an: In Ahaus wurde vor einiger Zeit eine zweite Betonwand vor der Halle errichtet. In Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern wird sogar eine neue Halle gebaut. Eine sinnvolle Maßnahme, meint Juliane Dickel vom BUND.
"Um es wirklich vernünftig zu machen, braucht man einen Neubau. In Lubmin wird aktuell eine neue Halle gebaut. Das ist notwendig, weil die alte nicht genug gegen Terrorangriffe schützt. Und eine neue Halle bietet natürlich baulich einen viel besseren Schutz. So ist es generell bezogen auf Zwischenlagerung. Wir brauchen da den bestmöglichen Stand, den wir haben."
Die 16 Zwischenlager in zwei, drei neue zusammenlegen?
Nur: Jedes der insgesamt 16 Brennelemente-Zwischenlager neu zu bauen und zu einem Langzeit-Lager aufzurüsten, könnte schwierig werden: Es wäre kostspielig und dürfte die jeweiligen Anwohner auf die Barrikaden treiben. Deshalb steht eine Alternative im Raum. Juliane Dickel:
"Man kann ja auch gucken, ob es vielleicht sinnvoll wäre, weniger und dafür zentrale Lagerstätten zu bauen."
Konsolidierte Zwischenlager, so nennt sich das Konzept. Zwei oder drei moderne Hallen statt der aktuell 16 Atommüllhalden. Das aber würde neue Castor-Transporte bedeuten – Proteste von Kernkraftgegnern sind auch hier vorprogrammiert. Es gibt noch einen dritten Vorschlag: Sobald der Standort für das Endlager feststeht, solle man dort ein großes Zwischenlager errichten, ein sogenanntes Eingangslager, und in das ließen sich dann alle Castoren bringen. Doch auch dieses Konzept birgt Risiken: Was, wenn die Standort-Entscheidung für das Endlager von den Gerichten kassiert und ein neuer Standort gesucht werden muss? Dann müsste ein womöglich halbfertiges Eingangslager wieder eingestampft werden. Alle drei Varianten haben ihre Schattenseiten, das macht die Sache so verzwickt. Nicht einmal die Fachwelt ist sich einig. Volker Metz:
"Aus meiner persönlichen Ansicht bevorzuge ich den Bau von konsolidierten Zwischenlagern, die speziell für die verlängerte Zwischenlagerung optimiert sind."
Dagegen bevorzugt Walter Tromm Vorschlag drei: "Persönlich würde ich vorziehen, wenn es nur ein Standort wäre. Wenn wir einen Endlager-Standort ausgesucht haben und der wirklich akzeptiert ist, dann wäre es natürlich am einfachsten, dort alle Castoren hinzubringen. Einmal transportieren, dort hinbringen, wäre natürlich das Charmanteste."
Klare politische Linie erforderlich
Das künftige Zwischenlager-Konzept dürfte auch davon abhängen, wie Experimente wie die aus Karlsruhe und auch die Computersimulationen der GRS ausgehen: Werden die Brennstäbe in manchen Castoren tatsächlich früher verspröden als erwartet? Zumindest für diese Castoren böte sich dann folgende Strategie an, meint Maik Stuke:
"Sobald der Endlager-Standort feststeht, sollte man auch anfangen, die Behälter, die als gefährdet identifiziert sind für eine Versprödung des Materials, zügig dorthin zu transportieren."
Um sie möglichst zügig in die Endlager-Behälter umzuladen, falls das dann überhaupt noch möglich ist. Viel Arbeit also, aber nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch die Politik. Ab 2034 laufen die Genehmigungen für die Zwischenlager aus, ebenso für die Castoren. Über eine Neugenehmigung wird am Ende der Bundestag entscheiden. Spätestens dann sollte eine klare politische Linie vorliegen, wie es weitergeht mit der Zwischenlagerung in Deutschland. Juliane Dickel:
"Es ist ein unattraktives Thema. Atommüll ist nur gefährlich und bringt in dem Sinne keine Wählerstimmen. Insofern wird es immer weiter aufgeschoben. Aber natürlich bleibt das Problem bestehen. Wir möchten einen schnellen Diskussionsprozess, transparent, zusammen mit der Bevölkerung. Wir maßen uns nicht an, ein fertiges Konzept vorzuschlagen. Aber wir sehen eine dringende Notwendigkeit und drängen darauf, dass dies zeitnah passiert."