Es war eine Rolle rückwärts, als das Internationale Paralympische Komitee sich innerhalb von 24 Stunden doch umentschieden hat und Teams aus Russland und Belarus von den Paralympics in Peking ausgeschlossen hat. Der Druck durch Boykottdrohungen der paralympischen Athleten und Athletinnen war zu groß geworden. ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt, der den russischen Staatsdopingskandal aufdeckte, sieht darin durchaus eine Zeitenwende:
„Ich bemerke das ja auch, wie viele Athletenvertretungen weltweit - nicht die, die unter dem Regenschirm, quasi unter dem Umbrella des IOC sind, sondern die unabhängig sind, dass sie sich zu Wort melden und sagen, so geht das nicht weiter,“ so Seppelt im Deutschlandfunk-Sportgespräch.
„Wenn der Sport weiter so regiert wird, dann wird irgendwann der Tag kommen, an dem Sportverbände, wie wir sie bisher kennen, in diesen Strukturen nicht mehr überlebensfähig sind.“
Athleten im Zwiespalt
Rollstuhlbasketballerin Mareike Miller engagiert sich als Athletensprecherin seit Jahren für mündige Athleten. Gleichzeitig sieht sie aber auch einen Konflikt zwischen kollektiver Bestrafung und individueller Mitschuld:
„Grundsätzlich ist es natürlich ein Zwiespalt, dass hier letztendlich Sportler für etwas bestraft werden, worauf sie nicht direkten Einfluss haben. Letztendlich muss man aber auch sagen, dass man sich davon nicht vollständig distanzieren kann.“
Staatsdoping reichte nicht für einen Ausschluss Russlands
Nach der IOC-Empfehlung vor wenigen Tagen haben viele Sportverbände weltweit Russland und Belarus binnen weniger Stunden oder Tage ausgeschlossen. Bemerkenswert findet Dopingexperte Hajo Seppelt. Vor ein paar Jahren in der Staatsdopingaffäre war das nämlich noch nicht möglich:
„Da hat es doch immer geheißen, dass man die jungen russischen Athleten und Athletinnen dafür nicht verantwortlich machen könne, was dort im Sport ansonsten von Hintermännern und anderen Drahtziehern passiert ist. Und jetzt plötzlich gibt es eine Empfehlung, dass russische Sportler und Sportlerinnen und auch belarussische eben nicht mehr teilnehmen sollen.“
Das sei ein Zeichen des Sports, erklärt der ehemalige DOSB-Funktionär Michael Vesper, das wie Sanktionen aus anderen Bereichen gesetzt wird:
„Im Moment stellt sich die ganze Welt gegen Russland und gegen diesen Angriffskrieg. Und in einer solchen Situation kann der Sport und will er auch nicht abseits stehen. In einer solchen Situation muss auch der Sport eine klare Kante zeigen.“
Aber genau deswegen sei das keine echte Handlung, erwidert Seppelt:
„Dass das IOC jetzt in dieser Situation, wo es ein bisschen aus meiner Sicht wohlfeil ist, in den Chor aller in der Welt einzustimmen und zu sagen, dass wir das verurteilen - das ist nicht sonderlich schwer. Aber in Situationen, in denen die Welt vielleicht nicht so genau hinschaut, das IOC es aber sehr wohl weiß. Dass da über die ganzen Jahre hinweg geschwiegen worden ist, das ist für mich der eigentliche Skandal.“
Vesper: "IOC keine Weltregierung"
Seppelt verurteilt das Schweigen des IOC zu beispielweise den Menschenrechtsverletzungen in China. Das IOC mache sich mitverantwortlich, wenn es seine Möglichkeiten durch die Vergabe der Spiele nicht nutze. Das IOC könne aber auch nicht die ganze Welt retten, hält Vesper dagegen:
„Das IOC ist nicht und kann nicht sein und hat auch nicht den Anspruch, das zu sein: eine Weltregierung. Das IOC kann sicherlich politische Dinge beeinflussen. Aber er kann sich natürlich nicht in die üblichen Konflikte in der Welt reinhängen.“
Veränderungen innerhalb der Austragungsländer während der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele gebe es sehr wohl. Das reicht aber nicht. Athletensprecherin Mareike Miller wünscht sich im Deutschlandfunk Veränderungen im Selbstbild und in den Strukturen des IOC selbst:
„Das allererste wäre es, zumindest diese gesellschaftliche Verantwortung anzuerkennen und sich selbst irgendwo mit den Integritätswerten und eben entsprechender Verantwortung eines internationalen agierenden Unternehmens zu vergleichen. Gewisse Mindeststandards einzuführen, was eben Menschenrechte bei Sponsoren zum Beispiel angeht, und darüber nach und nach auch entsprechend bei der Vergabe von Veranstaltungen. Und eben nicht alles stillschweigend, sich gefallen zu lassen.“