Archiv


Zeitenwende in der britischen Politik

Das Establishment hat sie geschmäht und verspottet. Nun hat die britische Unabhängigkeitspartei UKIP aus dem Stand heraus ein Viertel der Wählerstimmen bei den Regionalwahlen gewonnen - auf Kosten der Parteien, die sie vor den Wahlen belächelt hatten.

Von Jochen Spengler | 03.05.2013
    UKIP – das ist doch ein Haufen Spinner, Irrer und heimlicher Rassisten, spottete vor Jahren der heutige Premierminister David Cameron über die rechtspopulistische Unabhängigkeitspartei und sein konservativer Parteifreund Ken Clarke schimpfte über sie erst vor wenigen Tagen: Clowns und aufgebrachte Typen.
    "”Clowns and other indignant angry people”"

    Die Verbalinjurien haben wenig genutzt. UKIP ist der Wahlsieger. Die Unabhängigen eroberten bei den Grafschaftswahlen ein vorher nicht für möglich gehaltenes Viertel der Wählerstimmen – vor allem auf Kosten der Konservativen. UKIP-Chef Nigel Farage genoß es:

    "Nun lasst die Clowns ran. Wir sind von allen geschmäht worden – vom gesamten Establishment und nun sind sie geschockt und fassungslos, weil wir überall wo wir im Land kandidiert haben mehr als 25 Prozent der Stimmen gewonnen haben. Das ist eine wirkliche Zeitenwende in der britischen Politik."

    Die Partei hat Wurzeln an der Basis geschlagen
    Eine Zeitenwende, die so von den Wahlforschern nicht vorhergesehen wurde. Ihren Erkenntnissen zufolge sind die typischen UKIP-Wähler eher älter, weniger gut ausgebildet und mit konservativem Weltbild. Sie seien gegen die gleichgeschlechtliche Ehe und vor allem gegen Einwanderung und die Mitgliedschaft in der EU, sagt Politikprofessor John Curtice aus Glasgow

    "Die Mitgliedschaft im Brüsseler Klub heißt für sie, dass zu viele Einwanderer nach Großbritannien kommen, was sie besorgt in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Die einzig folgerichtige Antwort darauf ist, die EU zu verlassen, weil die Niederlassungsfreiheit allen EU-Bürgern das Recht gibt hierher zu kommen und Arbeit zu suchen."

    Die County-Wahlen haben das politische Pendel in Großbritannien deutlich nach rechts verschoben und UKIP hat erstmals an der Basis Wurzeln geschlagen. Gäbe es im Land ein Verhältniswahlrecht und würde man das Ergebnis auf die Nation projizieren so landete UKIP mit einem Stimmenanteil von 23 Prozent auf Platz drei, hinter der oppositionellen Labour-Partei, die 29 Prozent erhielte, und den Konservativen, die auf 25 Prozent kämen. Vierter wären die Liberaldemokraten mit 14 Prozent.

    Im britischen System der Mehrheitswahl aber wachsen die Bäume für UKIP nicht in den Himmel. Trotz der Zugewinne werden sie keinen einzigen Landkreis regieren und liegen bei der Anzahl der Landräte deutlich hinter den drei großen Parteien. Die Konservativen bleiben mit großem Abstand stärkste Kraft in Englands Grafschaften, verlieren aber wie erwartet einige Hundert Landräte. Premierminister David Cameron hat seine Lektion gelernt:

    "Es ist nicht gut, eine politische Partei zu beleidigen, der die Menschen ihre Stimme gegeben haben. Wir müssen diese Wähler respektieren und wir werden uns sehr anstrengen, sie zurückzugewinnen."

    Weil sie in Westminster mitregieren, haben die Liberaldemokraten ihre traditionelle Funktion als Protestpartei an UKIP verloren und büßen einige Dutzend Landräte ein, halten sich aber besser als gedacht. Wenig überraschend, dass die oppositionelle Labour-Partei mehrere Hundert Mandate hinzugewinnt und auch bei einer Nachwahl zum Unterhaus den Sitz des früheren Außenministers David Miliband verteidigt.