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Zeitgeschichte pur

Der renommierte Politikwissenschaftler und Historiker Hans-Peter Schwarz hat das Buch "Phantastische Wirklichkeit. Das 20. Jahrhundert im Spiegel des Polit-Thrillers" geschrieben. Die politischen Gestalten und Inhalte hätten ihn interessiert, sagt Schwarz.

Henning von Löwis im Gespräch mit dem Autor | 08.05.2006
    Henning von Löwis
    Hans-Peter Schwarz, Sie haben sich einen Namen gemacht als der führende Adenauer-Biograph. Sie haben die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland auf- und nachgezeichnet. Ihr Feld ist die Welt und die deutsche Außenpolitik. Wie sind sie ausgerechnet auf James Bond & Co. gekommen?

    Hans-Peter Schwarz
    Ab und zu was Neues, man liest ja zur Entspannung auch Krimis, oder eben Polit-Thriller. Adenauer selber war ja ein großer Krimi-Leser, und so habe ich eben dieses Sujet kennen gelernt und kam nach einiger Zeit darauf, da stecken politische Gehalte drin und die guten Polit-Thriller-Schreiber, die wollen auch eine politische Botschaft überbringen.

    Henning von Löwis
    Sie schreiben, das tiefere Bewegungsgesetz des Genres Polit-Thriller, das sei die Zeitgeschichte selbst, der Polit-Thriller, das sei "Zeitgeschichte pur".

    Hans-Peter Schwarz
    So ist das. Der Polit-Thriller beginnt in der Phase des Hochimperialismus. Vor dem Ersten Weltkrieg schon, als große Spionageskandale in Frankreich, in England und anderswo bekannt werden. Er hat seine große Zeit dann in der Zwischenkriegszeit und nach dem Zweiten Weltkrieg, und ein Hauptthema sind immer die politischen Schrecken und Gefahren, seien es Kriege oder drohende Kriege zwischen den Großmächten, sei es Terrorismus, der ja nicht erst vor zehn oder zwanzig Jahren beginnt, sondern sehr früh im 20. Jahrhundert. Er ist ein zeitgeschichtliches Genre, verpackt in Spannungsromane.

    Henning von Löwis
    Reden wir über die Macher, die Verfasser der Polit-Thriller. Zitat Hans-Peter Schwarz: "Sie ergreifen Partei und machen für jene Ziele, Mächte und Ordnungsvorstellungen Stimmung, die sie zu Recht oder zu Unrecht für die gerechten halten." Sind das politische Missionare, sind das Propagandisten, sind das Werkzeuge im Wettkampf der Systeme, im Kalten Krieg des 20. Jahrhunderts, diese Autoren?

    Hans-Peter Schwarz
    So verstehen sie sich, jedenfalls viele von ihnen. Wenn sie es auf einer Rechts-Links-Skala anordnen, so kann man sagen, viele der berühmten Autoren, John Le Carré etwa, oder Eric Ambler in seinen Anfängen, oder Graham Greene, das sind radikal linke Autoren. Und es gibt genauso radikal konservative Autoren. Forsyth etwa, oder Colin Forbes oder heute Tom Clancy. Die wollen zwar alle viel Geld verdienen mit ihren Thrillern, aber sie vermitteln über das Medium der Thriller, eine politische Botschaft, genau wie die Filmemacher das ja auch auf ihre Weise tun. Nur während der Film schon eine Vielzahl von wissenschaftlichen Studien hervorgerufen hat, war die Zeitgeschichtsforschung, auch die literatur-wissenschaftliche Forschung, bisher ziemlich uninteressiert an diesem sehr wirksamen Massenprodukt.

    Henning von Löwis
    Also ein Stück Pionierarbeit. Herr Schwarz, James Bond wurde geboren, die Figur James Bond, als Stalin starb, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Inwieweit wurde James Bond instrumentalisiert als Waffe im Kampf gegen das "Reich des Bösen", gegen die Sowjetunion?

    Hans-Peter Schwarz
    Ian Fleming, der diese Figur kreiert hat im Jahre 1953, war im Zweiten Weltkrieg die rechte Hand bei dem Chef der Navy-Intelligence, d.h. er kannte das Metier von innen her und er hat, wie viele im britischen Establishment, nachdem sie gemerkt hatten, dass nach der Bedrohung durch Deutschland noch eine sehr viel schlimmere Bedrohung aufwuchs, umgeschaltet. Die James-Bond-Thriller, die wir im Kino sehen, da ist der politische Stoff ja ziemlich ausgewaschen. Wenn sie die originalen Thriller lesen, die Fleming in den Jahren 1953 von Stalins Tod bis in die Chruschtschowsche Zeit hinein geschrieben hat, die sind extrem Totalitarismus-kritisch, anti-sowjetisch, natürlich zugleich gewaltig pro-britisch, er ist ein ausgesprochener Kalter Krieger gewesen.

    Henning von Löwis
    Zitat Hans-Peter Schwarz: "Wer die Faktoren Xenophobie und Rassismus im Verhältnis der modernen Gesellschaften studieren möchte, kann in den Thrillern seine Entdeckungen machen."

    Hans-Peter Schwarz
    So ist das.

    Henning von Löwis
    Ist das so ausgeprägt und so radikal und so massiv? Müssen diese Bücher zum Teil auf den Index, heute, nach unseren Vorstellungen?

    Hans-Peter Schwarz
    Also, Ian Fleming, von dem ja heute fast nur noch die Filme gesehen werden, während die Bücher eher schwer zu kriegen wären, würde zweifellos noch einmal bearbeitet werden in der deutschen Fassung, um die schlimmsten anti-japanischen, anti-koreanischen, anti-schwarzen Äußerungen irgendwie herauszuputzen. Das war eben noch Stil der fünfziger und der sechziger Jahre, und das war natürlich auch die ganze Arroganz, die man beim britischen Establishment damals Nicht-Briten gegenüber gepflegt hat.

    Henning von Löwis
    Die "Arroganz des todgeweihten Empire", wie Sie schreiben.

    Hans-Peter Schwarz
    Ja, das ist ein ganz wichtiges Thema. Der Thriller ist von Anfang an in England, jedenfalls von den berühmten Autoren, fixiert gewesen auf den Überlebenskampf des britischen Empire - die linken Thriller-Schreiber Anti-Imperialisten schon. Die Thematik, die spielt eine Rolle bis in unsere Tage.

    Henning von Löwis
    Geht es heute auch um den Überlebenskampf des amerikanischen Empire - Stichwort 11. September?

    Hans-Peter Schwarz
    Eigenartigerweise ist dieser Anschlag auf die Twin-Towers im Thriller vorweggenommen worden. Tom Clancy hat ein paar Jahre zuvor einen Thriller geschrieben, wo er eine große japanische
    JAL-Maschine voll getankt in das Capitol hineinsteuern lässt, um die ganze amerikanische Elite umzubringen - also in der Technik des Anschlages im Thriller vorhergesehen. Und gerade wenn Sie diesen rechtskonservativen Clancy lesen, das sind die selben Bedrohungsängste, wie Sie sie bei britischen Thriller-Schreibern vor dem Ersten Weltkrieg, nach dem Ersten Weltkrieg und im Zweiten Weltkrieg beobachten.

    Henning von Löwis
    Ihre Intention ist, "dem im 20. Jahrhundert wirkenden Zeitgeist" auf die Spur zu kommen. Lässt sich dieser Zeitgeist in zwei, drei Sätzen definieren, auf den Punkt bringen?

    Hans-Peter Schwarz
    Erstes Stichwort: das Jahrhundert der Angst. Zweites Stichwort: das Jahrhundert der entfesselten Technik und einer nicht mehr steuerbaren Naturwissenschaft. Drittes Stichwort: das Jahrhundert des gläsernen Menschen, der von Geheimdiensten der unterschiedlichsten Systeme durchleuchtet und dann gejagt wird. Und das vierte Stichwort: Zeitalter der kämpfenden Reiche.

    Henning von Löwis
    Der Polit-Thriller im 20. Jahrhundert, das war der Kampf um das untergehende Empire, der Kalte Krieg der Supermächte. Das ist ja Schnee von gestern. Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen. Neue Feindbilder braucht diese Welt, und der 11. September liefert sie - zumindest für Amerika. Sind das jetzt goldene Zeiten für Thriller-Autoren, oder gehört das Genre Polit-Thriller im Grunde in die Mottenkiste der Geschichte? Wie würden Sie das einschätzen?

    Hans-Peter Schwarz
    Also meine These ist ja, dass es der Polit-Thriller mit der politischen Kriminalität auf den höchsten Ebenen zu tun hat und zugleich mit der Gefährdung für das Individuum, die davon ausgeht, und hier fürchte ich, dass es auch im 21. Jahrhundert polit-kriminell weitergehen wird.

    Das Buch Phantastische Wirklichkeit. Das 20. Jahrhundert im Spiegel des Polit-Thrillers von Hans-Peter Schwarz ist bei DVA erschienen – in der Deutschen Verlags-Anstalt -, München 2006.