Beatrix Novy: 430 Bücher standen zur Auswahl. Bei einem Saisonausstoß von etwa 50.000 ist das ja gar nicht so viel. Es geht um den Literaturpreis der Leipziger Buchmesse, die im März stattfinden wird. Seit heute ist bekannt, wer für den Preis nominiert worden ist. In den Kategorien Belletristik, Sachbuch und Übersetzung. In der Sendung "Büchermarkt" heute Nachmittag im Deutschlandfunk äußerte sich dazu schon die Literaturkritikerin Sigrid Löffler. Hier ein Auszug:
Sigrid Löffler: "Natürlich ist es umstritten, wenn fünf Titel in jeder Kategorie übrig bleiben von mehreren Hundert, kann es nicht anders sein, als dass Literaturkritiker dann anderer Meinung sind. Positiv ist für den Preis der Leipziger Buchmesse zu sagen, dass er viel breiter aufgestellt ist als der Deutsche Buchpreis, der ja immer auf der Frankfurter Buchmesse vergeben wird, weil er in drei Kategorien vergeben wird und eben auch die Übersetzer und das Sachbuch berücksichtigt.
Wenn man die fünf belletristischen Titel anschaut, dann fällt mir seit einigen Jahren eine gewisse Tendenz auf, die die Jury in Leipzig hat, nämlich rückwirkend den Deutschen Buchpreis vom vergangenen Herbst zu korrigieren. Und das war im Vorjahr so, Wolfgang Herrndorf oder Ingo Schulze einige Jahre davor. Und dieser Hang ein bisschen zur Rückschau auf die Bücher vom vergangenen Herbst, und das natürlich zulasten der Neuerscheinungen des Frühjahrs, diesen Hang habe ich auch diesmal wieder bemerkt, indem zwei Bücher, die im vergangenen Herbst mehr oder weniger untergegangen sind, jetzt nun plötzlich wieder in den Vordergrund und in die Auslage gestellt werden."
Novy: Sigrid Löffler war das zum Preis der Leipziger Buchmesse heute Nachmittag in der Sendung "Büchermarkt". Und ja, dazu passt, was mein Kollege aus der Literaturredaktion und dieses Jahr Vorsitzender der Jury, Hubert Winkels, mir vor der Sendung über die Auswahl sagte. Ich habe ihn zunächst nach der Kategorie Belletristik gefragt.
Hubert Winkels: Ja, das ist ja doch erfahrungsgemäß dann der interessanteste Pool, auf den sich die meisten stürzen. Also, der große Moment der Bekanntgabe: Wir haben nominiert für die Auszeichnung vom Berliner David Wagner den Roman "Leben", was ein Dokumentarroman fast ist. Er schreibt über seine lebenslange schwerste Lebererkrankung und eine Lebertransplantation, die im Mittelpunkt steht. Das ist im Grunde ein Text aus dem Krankenhaus, aus einer tiefen, das Leben prägenden Krankheit heraus geschrieben, aber kein düsterer Text.
Wir haben einen großen familiengeschichtlichen 20.-Jahrhundert-Roman auf der Liste, nämlich von Ralph Dohrmann den Roman "Kronhardt", der ist im Herbst erschienen, hat aber 1000 Seiten, deswegen: Es setzt sich erst ganz langsam durch, auch im Feuilleton, was für ein guter Roman das ist.
Birk Meinhardt ist ein Journalist, der einen ebenfalls sehr umfangreichen 700 Seiten umfassenden quasi, man kann sagen, Familienroman überaus in der DDR geschrieben hat. Das erinnert natürlich an den "Turm" und andere Erfolgsbücher, Familiensagas, die die DDR-Geschichte spiegeln.
Dann haben wir wieder eine, wenn man so will, Newcomerin, ein sehr vielversprechendes Talent, Lisa Kränzler, 29 Jahre alt, ihren zweiten Roman "Nachhinein" im Verbrecher-Verlag, und, um bei den jüngeren Autoren zu bleiben – wir wollten auch ein bisschen eine Mischung haben zwischen jung und alt, sofern es sich anbietet von der Qualität –, die Österreicherin Anna Weidenholzer mit ihrem Roman "Der Winter tut den Fischen gut", ein Roman über eine arbeitslose Frau.
Novy: Zweimal das Stichwort Familienroman, heißt das, das diese Tendenz sich fortsetzt, wie aus den letzten Jahren ja schon überliefert ist, dieses Rückschauen in die fast noch Zeitgeschichte?
Winkels: Ja, das kann man sagen. Also das ist noch bei mehreren anderen Kandidaten aufgetaucht, Torsten Schulz-Nilowsky und Jenny Erpenbeck, "Alle Tage" – also es gibt sehr, sehr viele Bücher, die anhand in Familie eingebetteter individueller, existenziell aufgebrezelter Geschichten versuchen, die Geschichte des 20. Jahrhunderts zu erzählen, wo sich große historische Ereignisse in, sogar in Seelenregungen, in kleinkommunikativen Akten spiegeln. Das ist tatsächlich etwas, was sich etabliert hat, aber es ist tatsächlich manchmal auch wahnsinnig gut gemacht.
"Der Turm" ist eben nicht geschrieben wie jedes x-beliebige Buch zu diesem Thema, und das gilt für "Kronhardt" in ganz besonderem Maße. Das ist ein – wie soll man das vergleichen – es ist nicht Joyce, aber es hat einen Sprachfuror Joyce'schen Ausmaßes. Das ist nicht einfach und bieder erzählt, obwohl es die Geschichte einer Firma ist, in diesem Fall allerdings nicht DDR, sondern in Westdeutschland, einer Stickereifabrik in Bremen.
Novy: Wie steht es mit den anderen Kategorien, Übersetzung und Sachbuch?
Winkels: Ich bin ganz begeistert von der Leistung von Claudia Ott, die ja nicht nur diese Hundert-und-eine-Nacht-Geschichten übersetzt hat, sondern sie hat sie ja entdeckt, sie hat die ja zum ersten Mal identifiziert als mit Abstand älteste Geschichten aus dem Umkreis von "Tausendundeine Nacht", die sind ja 400 Jahre älter als die uns bekannten Geschichten. Also sie hat sie identifiziert, die Erlaubnis bekommen, sie zu übersetzen. Die sind zuerst auf Deutsch erschienen, das ist eine Weltpremiere, das ist so sensationell, da war ich ganz erstaunt, dass wir so was unter den Auszuzeichnenden oder zu Nominierenden haben.
Oder ein anderes Beispiel, Eva Hesse, die seit 50 Jahren Ezra Pound übersetzt und mit ihm zusammen, als er noch lebte, schon angefangen hat, ihn zu übersetzen, natürlich eine großartige alte Dame, die dabei ist.
Novy: Noch ein Wort zum Sachbuch vielleicht, wer stünde an der Spitze?
Winkels: Ja, das Sachbuch ist uns etwas streng geraten, also sehr akademisch, was aber einfach daran liegt, dass offenbar einige Akademiker, Anthropologen, Philosophen, Kunstgeschichtler gute Bücher schreiben, weil das so ist, wie Hans Belting, Kurt Bayertz. Aber wir haben auch unseren Kollegen, was mich freut, Helmut Böttiger, auch ein Literaturjournalist, der auch für den Deutschlandfunk viel arbeitet, dabei.
Er hat einfach das beste und bisher eigentlich einzige wirklich ernst zu nehmende Buch über die Gruppe 47, also eine prägende literarische Gruppe, kann man sagen, aber man muss eigentlich sagen, Epoche geschrieben. Und er ist mit auf der Liste, und das freut mich jetzt auch ein wenig aus persönlichen Gründen. Natürlich ist das Buch auch herausragend gut.
Novy: Hubert Winkels zur Nominierung zum Preis der Leipziger Buchmesse war das.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Sigrid Löffler: "Natürlich ist es umstritten, wenn fünf Titel in jeder Kategorie übrig bleiben von mehreren Hundert, kann es nicht anders sein, als dass Literaturkritiker dann anderer Meinung sind. Positiv ist für den Preis der Leipziger Buchmesse zu sagen, dass er viel breiter aufgestellt ist als der Deutsche Buchpreis, der ja immer auf der Frankfurter Buchmesse vergeben wird, weil er in drei Kategorien vergeben wird und eben auch die Übersetzer und das Sachbuch berücksichtigt.
Wenn man die fünf belletristischen Titel anschaut, dann fällt mir seit einigen Jahren eine gewisse Tendenz auf, die die Jury in Leipzig hat, nämlich rückwirkend den Deutschen Buchpreis vom vergangenen Herbst zu korrigieren. Und das war im Vorjahr so, Wolfgang Herrndorf oder Ingo Schulze einige Jahre davor. Und dieser Hang ein bisschen zur Rückschau auf die Bücher vom vergangenen Herbst, und das natürlich zulasten der Neuerscheinungen des Frühjahrs, diesen Hang habe ich auch diesmal wieder bemerkt, indem zwei Bücher, die im vergangenen Herbst mehr oder weniger untergegangen sind, jetzt nun plötzlich wieder in den Vordergrund und in die Auslage gestellt werden."
Novy: Sigrid Löffler war das zum Preis der Leipziger Buchmesse heute Nachmittag in der Sendung "Büchermarkt". Und ja, dazu passt, was mein Kollege aus der Literaturredaktion und dieses Jahr Vorsitzender der Jury, Hubert Winkels, mir vor der Sendung über die Auswahl sagte. Ich habe ihn zunächst nach der Kategorie Belletristik gefragt.
Hubert Winkels: Ja, das ist ja doch erfahrungsgemäß dann der interessanteste Pool, auf den sich die meisten stürzen. Also, der große Moment der Bekanntgabe: Wir haben nominiert für die Auszeichnung vom Berliner David Wagner den Roman "Leben", was ein Dokumentarroman fast ist. Er schreibt über seine lebenslange schwerste Lebererkrankung und eine Lebertransplantation, die im Mittelpunkt steht. Das ist im Grunde ein Text aus dem Krankenhaus, aus einer tiefen, das Leben prägenden Krankheit heraus geschrieben, aber kein düsterer Text.
Wir haben einen großen familiengeschichtlichen 20.-Jahrhundert-Roman auf der Liste, nämlich von Ralph Dohrmann den Roman "Kronhardt", der ist im Herbst erschienen, hat aber 1000 Seiten, deswegen: Es setzt sich erst ganz langsam durch, auch im Feuilleton, was für ein guter Roman das ist.
Birk Meinhardt ist ein Journalist, der einen ebenfalls sehr umfangreichen 700 Seiten umfassenden quasi, man kann sagen, Familienroman überaus in der DDR geschrieben hat. Das erinnert natürlich an den "Turm" und andere Erfolgsbücher, Familiensagas, die die DDR-Geschichte spiegeln.
Dann haben wir wieder eine, wenn man so will, Newcomerin, ein sehr vielversprechendes Talent, Lisa Kränzler, 29 Jahre alt, ihren zweiten Roman "Nachhinein" im Verbrecher-Verlag, und, um bei den jüngeren Autoren zu bleiben – wir wollten auch ein bisschen eine Mischung haben zwischen jung und alt, sofern es sich anbietet von der Qualität –, die Österreicherin Anna Weidenholzer mit ihrem Roman "Der Winter tut den Fischen gut", ein Roman über eine arbeitslose Frau.
Novy: Zweimal das Stichwort Familienroman, heißt das, das diese Tendenz sich fortsetzt, wie aus den letzten Jahren ja schon überliefert ist, dieses Rückschauen in die fast noch Zeitgeschichte?
Winkels: Ja, das kann man sagen. Also das ist noch bei mehreren anderen Kandidaten aufgetaucht, Torsten Schulz-Nilowsky und Jenny Erpenbeck, "Alle Tage" – also es gibt sehr, sehr viele Bücher, die anhand in Familie eingebetteter individueller, existenziell aufgebrezelter Geschichten versuchen, die Geschichte des 20. Jahrhunderts zu erzählen, wo sich große historische Ereignisse in, sogar in Seelenregungen, in kleinkommunikativen Akten spiegeln. Das ist tatsächlich etwas, was sich etabliert hat, aber es ist tatsächlich manchmal auch wahnsinnig gut gemacht.
"Der Turm" ist eben nicht geschrieben wie jedes x-beliebige Buch zu diesem Thema, und das gilt für "Kronhardt" in ganz besonderem Maße. Das ist ein – wie soll man das vergleichen – es ist nicht Joyce, aber es hat einen Sprachfuror Joyce'schen Ausmaßes. Das ist nicht einfach und bieder erzählt, obwohl es die Geschichte einer Firma ist, in diesem Fall allerdings nicht DDR, sondern in Westdeutschland, einer Stickereifabrik in Bremen.
Novy: Wie steht es mit den anderen Kategorien, Übersetzung und Sachbuch?
Winkels: Ich bin ganz begeistert von der Leistung von Claudia Ott, die ja nicht nur diese Hundert-und-eine-Nacht-Geschichten übersetzt hat, sondern sie hat sie ja entdeckt, sie hat die ja zum ersten Mal identifiziert als mit Abstand älteste Geschichten aus dem Umkreis von "Tausendundeine Nacht", die sind ja 400 Jahre älter als die uns bekannten Geschichten. Also sie hat sie identifiziert, die Erlaubnis bekommen, sie zu übersetzen. Die sind zuerst auf Deutsch erschienen, das ist eine Weltpremiere, das ist so sensationell, da war ich ganz erstaunt, dass wir so was unter den Auszuzeichnenden oder zu Nominierenden haben.
Oder ein anderes Beispiel, Eva Hesse, die seit 50 Jahren Ezra Pound übersetzt und mit ihm zusammen, als er noch lebte, schon angefangen hat, ihn zu übersetzen, natürlich eine großartige alte Dame, die dabei ist.
Novy: Noch ein Wort zum Sachbuch vielleicht, wer stünde an der Spitze?
Winkels: Ja, das Sachbuch ist uns etwas streng geraten, also sehr akademisch, was aber einfach daran liegt, dass offenbar einige Akademiker, Anthropologen, Philosophen, Kunstgeschichtler gute Bücher schreiben, weil das so ist, wie Hans Belting, Kurt Bayertz. Aber wir haben auch unseren Kollegen, was mich freut, Helmut Böttiger, auch ein Literaturjournalist, der auch für den Deutschlandfunk viel arbeitet, dabei.
Er hat einfach das beste und bisher eigentlich einzige wirklich ernst zu nehmende Buch über die Gruppe 47, also eine prägende literarische Gruppe, kann man sagen, aber man muss eigentlich sagen, Epoche geschrieben. Und er ist mit auf der Liste, und das freut mich jetzt auch ein wenig aus persönlichen Gründen. Natürlich ist das Buch auch herausragend gut.
Novy: Hubert Winkels zur Nominierung zum Preis der Leipziger Buchmesse war das.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.