Edna O’Brien, die Große Dame der irischen Literatur, lebt seit den sechziger Jahren in London. Trotzdem kehrt sie mit ihren Figuren und Stoffen immer wieder nach Irland zurück. Sie bevorzugt wahre Begebenheiten, und sie hat einmal erklärt: Ich kann über nichts anderes schreiben als über das Land, dem ich in Liebe verbunden bin.
Edna O’Brien schreibt über die Schattenseiten der irischen Gesellschaft. Sie hat sich die IRA vorgenommen und den spektakulären Fall eines 14jährigen Mädchens, das durch Inzest schwanger geworden war, und der man die Abtreibung verweigern wollte. Der vorliegende Roman beruht auf einer Serie von Morden, die 1994 in der irischen Grafschaft Galway stattfand. Der Täter hatte eine Laufbahn in verschiedenen Heimen hinter sich. Er war auf Bewährung draußen, als er erst eine junge Frau und ihren Sohn erschoss, dann einen Priester. Nach sechs Tagen wurde der Mann gefasst und zu lebenslanger Haft verurteilt. Drei Jahre später starb er in einer psychiatrischen Anstalt.
In ihrer Version der Ereignisse kümmert Edna O’Brien sich zwar um die Fakten, aber nicht um eine realistische Erzählweise. Ihr liegt genau so wenig am Spannungsbogen eines Kriminalromans: Man weiß von Anfang an, was geschehen wird, und auch die Akteure stehen fest. Trotzdem bleibt man atemlos bei der Lektüre, die Autorin ist nämlich eine Meisterin im Fach der psychologischen Spannung. Sie löst das Verbrechen in viele kleine Begebenheiten und Begegnungen auf. Die Opfer genießen ihre Aufmerksamkeit, genau so der Täter. Randfiguren kommen mit scheinbar nebensächlichen Betrachtungen zu Wort, was die Atmosphäre verdichtet. Dabei ist der Blick der Erzählerin nie voyeuristsich, sondern eben: liebevoll. Im Moment der Tat fährt sie wie mit einem Zoom dicht an das Verbrechen heran und stellt dann langsam wieder auf Weitwinkel.
Die Erde, die Luft, der Wald ist angefüllt von Maddies Schreien, er ruft nach ihr, kommt angerannt, kniet sich neben sie, Kind uns Krieger in einem, schleudert fäusteweise Lehm auf ihren Angreifer, Lehm, der in dicken Medaillons herunterplatscht, eine sich bekriegende, wild um sich schlagende Dreiheit, ihr Körper ins Joch gezwungen, Maddie an sie geklammert, und beider verzweifelte Schreie steigen wie einer die Baumkrone empor, sinken hinab in die letzten feinen Tautröpfchen, die den Morgen überlebt haben, schwellen an und vergehen, ersterben und werden bewahrt in jener grünen Katakombe dort oben am Rand der Welt, kurz vor der Opferung.
Edna O’Brien erzählt immer in der dritten Person, das hält die Figuren auf armlangem Abstand, auch wenn ihre Gefühle und Gedanken offenbart werden. So entsteht eine Art unparteiischer Empathie, die Erzählerin versteht ohne übertreibenes Wohlwollen, sie erklärt, ohne zu richten. Eine weitere Besonderheit ist ihre makellose Prosa, wegen der Edna O’Brien in der angelsächsischen Welt in hohem Ansehen steht. Sie sei die begabteste Autorin, die heute in englischer Sprache schreibt, hat Philip Roth einmal gesagt. Anzumerken ist, dass ihr deutscher Verleger mit der Übersetzerin Kathrin Razum einen Glücksgriff getan hat, denn ihr gelingt es, das eigenartige Flirren dieser Prosa ins Deutsche zu übertragen.
Im Waldesinnern rauscht der gefangene Wind wie ein fernes Meer, und die hohen, schlanken Stämme der Fichten stehen so dicht beieinander, dass ihre Rinde Zobelbraun erscheint, das Licht immer dunkler, je tiefer es in die Kammern der Lichtlosigkeit geht.
Die Verbrechen, die Edna O’Brien beschreibt, sind von viel Schönheit gesäumt, der Schönheit der Sprache und der Schönheit der irischen Landschaft. Die kann düster sein oder hell, bedrohend oder betörend. Sie erscheint als stummer Beobachter und schweigende Hauptfgur der Romane von Edna O’Brien.
In meinen Romanen spielt die Landschaft eine wichtige Rolle. Sie ist genau so wichtig wie meine Figuren.
Das Irland dieser Romane erscheint eher als ein mythischer denn als ein realer Ort, und auch die Verbrechen wirken zeitlos. So ist Edna O’Brien eine höchst eigenwillige Chronistin des modernen Irlands. Ihre Aufmerksamkeit gilt den Außenseitern, wie hier der jungen Frau, einer alleinstehenden Mutter, die von der Landbevölkerung argwöhnisch beäugt wird. Diese Figur trägt durchaus autobiographische Züge. In ihrer Jugend war Edna O’Brien selbst eine Ausgestoßene, wegen der angeblich anstößigen Inhalte standen ihre frühesten Erzählungen auf dem Index der Kirche, in ihrem Heimatort fand sogar eine Verbrennung ihrer Bücher statt. Macht nichts, sagt Edna O’Brien heute, so bin ich erst zur Schriftstellerin geworden. Ich habe gelernt, trotz allem, und nicht wegen allem zu schreiben.
Edna O’Brien
Im Wald
Hoffmann und Campe, 320 S., EUR 21,90
Edna O’Brien schreibt über die Schattenseiten der irischen Gesellschaft. Sie hat sich die IRA vorgenommen und den spektakulären Fall eines 14jährigen Mädchens, das durch Inzest schwanger geworden war, und der man die Abtreibung verweigern wollte. Der vorliegende Roman beruht auf einer Serie von Morden, die 1994 in der irischen Grafschaft Galway stattfand. Der Täter hatte eine Laufbahn in verschiedenen Heimen hinter sich. Er war auf Bewährung draußen, als er erst eine junge Frau und ihren Sohn erschoss, dann einen Priester. Nach sechs Tagen wurde der Mann gefasst und zu lebenslanger Haft verurteilt. Drei Jahre später starb er in einer psychiatrischen Anstalt.
In ihrer Version der Ereignisse kümmert Edna O’Brien sich zwar um die Fakten, aber nicht um eine realistische Erzählweise. Ihr liegt genau so wenig am Spannungsbogen eines Kriminalromans: Man weiß von Anfang an, was geschehen wird, und auch die Akteure stehen fest. Trotzdem bleibt man atemlos bei der Lektüre, die Autorin ist nämlich eine Meisterin im Fach der psychologischen Spannung. Sie löst das Verbrechen in viele kleine Begebenheiten und Begegnungen auf. Die Opfer genießen ihre Aufmerksamkeit, genau so der Täter. Randfiguren kommen mit scheinbar nebensächlichen Betrachtungen zu Wort, was die Atmosphäre verdichtet. Dabei ist der Blick der Erzählerin nie voyeuristsich, sondern eben: liebevoll. Im Moment der Tat fährt sie wie mit einem Zoom dicht an das Verbrechen heran und stellt dann langsam wieder auf Weitwinkel.
Die Erde, die Luft, der Wald ist angefüllt von Maddies Schreien, er ruft nach ihr, kommt angerannt, kniet sich neben sie, Kind uns Krieger in einem, schleudert fäusteweise Lehm auf ihren Angreifer, Lehm, der in dicken Medaillons herunterplatscht, eine sich bekriegende, wild um sich schlagende Dreiheit, ihr Körper ins Joch gezwungen, Maddie an sie geklammert, und beider verzweifelte Schreie steigen wie einer die Baumkrone empor, sinken hinab in die letzten feinen Tautröpfchen, die den Morgen überlebt haben, schwellen an und vergehen, ersterben und werden bewahrt in jener grünen Katakombe dort oben am Rand der Welt, kurz vor der Opferung.
Edna O’Brien erzählt immer in der dritten Person, das hält die Figuren auf armlangem Abstand, auch wenn ihre Gefühle und Gedanken offenbart werden. So entsteht eine Art unparteiischer Empathie, die Erzählerin versteht ohne übertreibenes Wohlwollen, sie erklärt, ohne zu richten. Eine weitere Besonderheit ist ihre makellose Prosa, wegen der Edna O’Brien in der angelsächsischen Welt in hohem Ansehen steht. Sie sei die begabteste Autorin, die heute in englischer Sprache schreibt, hat Philip Roth einmal gesagt. Anzumerken ist, dass ihr deutscher Verleger mit der Übersetzerin Kathrin Razum einen Glücksgriff getan hat, denn ihr gelingt es, das eigenartige Flirren dieser Prosa ins Deutsche zu übertragen.
Im Waldesinnern rauscht der gefangene Wind wie ein fernes Meer, und die hohen, schlanken Stämme der Fichten stehen so dicht beieinander, dass ihre Rinde Zobelbraun erscheint, das Licht immer dunkler, je tiefer es in die Kammern der Lichtlosigkeit geht.
Die Verbrechen, die Edna O’Brien beschreibt, sind von viel Schönheit gesäumt, der Schönheit der Sprache und der Schönheit der irischen Landschaft. Die kann düster sein oder hell, bedrohend oder betörend. Sie erscheint als stummer Beobachter und schweigende Hauptfgur der Romane von Edna O’Brien.
In meinen Romanen spielt die Landschaft eine wichtige Rolle. Sie ist genau so wichtig wie meine Figuren.
Das Irland dieser Romane erscheint eher als ein mythischer denn als ein realer Ort, und auch die Verbrechen wirken zeitlos. So ist Edna O’Brien eine höchst eigenwillige Chronistin des modernen Irlands. Ihre Aufmerksamkeit gilt den Außenseitern, wie hier der jungen Frau, einer alleinstehenden Mutter, die von der Landbevölkerung argwöhnisch beäugt wird. Diese Figur trägt durchaus autobiographische Züge. In ihrer Jugend war Edna O’Brien selbst eine Ausgestoßene, wegen der angeblich anstößigen Inhalte standen ihre frühesten Erzählungen auf dem Index der Kirche, in ihrem Heimatort fand sogar eine Verbrennung ihrer Bücher statt. Macht nichts, sagt Edna O’Brien heute, so bin ich erst zur Schriftstellerin geworden. Ich habe gelernt, trotz allem, und nicht wegen allem zu schreiben.
Edna O’Brien
Im Wald
Hoffmann und Campe, 320 S., EUR 21,90