Juliane Reil: Das Image von Pop: Das ist sicherlich wandelbar. "Lange Zeit war es mit dem Schmutzigen, gewollt Nachlässigen und Rebellischen assoziiert" - so formuliert es die Kunstwissenschaftlerin, Autorin und Bloggerin Annekathrin Kohout. Guten Tag!
Annekathrin Kohout: Guten Tag, Frau Reil.
Reil: Seit Längerem zeichnet sich allerdings ein neuer Trend ab: Clean Pop. Und der hat seine ganz eigene Ästhetik: unschuldig, sauber, pastellfarben, Weichzeichner. Wenn man Pech hat, schwebt vielleicht auch noch ein Einhorn vorüber. Popstars Miley Cyrus oder Katy Perry, die spielen mit dieser Ästhetik, die als rosa Fantasiewelt irgendwie sehr kindlich, sehr träumerisch wirkt. Ist das mehr als reiner Eskapismus?
Kohout: Lange Zeit war diese Kritik - würde ich sagen - nicht mehr so ein großes Thema. Das liegt natürlich daran, dass seit den 80er-Jahren Pop positiv bewertet wird, beispielsweise im Feuilleton. Aber jetzt, aktuell wird das wieder thematisiert. Und zwar vor dem Hintergrund der Diskussion um Filter-Bubbles, der sehr überraschenden Wahl von Donald Trump, dem Brexit und so weiter und so fort, wird wieder das Ausblenden, auch einer politischen Realität, zum Thema. Und ich würde eben sagen, dass tatsächlich Clean Pop eine ästhetische Erscheinungsform von diesem Eskapismus ist.
Reil: Also Sie denken, dass das in einem direkten Zusammenhang steht. Dass das im Prinzip ein Spiegel unserer Gesellschaft ist, so wie wir im Moment leben.
Kohout: Also natürlich ist das ein Spiegel der Gesellschaft, zuallererst würde ich einmal sagen, dass es ein ästhetischer Code ist. Ich würde erst einmal feststellen, dass es das gibt und insbesondere in der Konsum- und Popkultur sehr häufig anzutreffen ist: zum Beispiel in dem Einhorn-Kult, den Sie eben erwähnt haben, der wirklich sehr weit um sich greift. Aber ich bezeichne damit auch zum Beispiel eine Farbe, diese Pastelltöne. Ich würde ganz gerne noch einmal so ein bisschen beschreiben, was ich vielleicht damit meine, weil -d as haben Sie auch schon angedeutet, aber es ist mir eigentlich ganz wichtig - dass nämlich clean und Pop erst einmal in einem Gegensatz stehen, so von der Grundkonstitution her. Was ist clean? Clean ist, was sauber ist auf der einen Seite und ordentlich, auf der anderen Seite ist clean aber auch das Jungfräuliche, das Unberührte. Und damit hat es eben auch einen moralischen Impetus. Und dazu steht natürlich Pop erst einmal im Gegensatz, insofern er eben häufiger eigentlich mit dem Schmutzigen, dem Nachlässigen, dem Rebellisch-Provokativen assoziiert wurde - und eben nicht mit Cleanness und Reinheit. Denken Sie an Madonna zum Beispiel - die hat an so etwas wie "Like a Prayer" gegen Unberührtheitsvorstellungen gekämpft.
Einhorn, Regenbogen, Pastellfarben
Reil: Allerdings relativ glatt und sauber. Dieses Saubermann-Image, das ist ja auch eine Konstante in der Popmusik, denkt man zum Beispiel an Britney Spears, an "Not a Girl, not yet a Woman".
Kohout: Das ist richtig. Ich würde auch sagen, dass Cleanness nicht unbedingt etwas Neues ist. Also ich würde jetzt nicht sagen: Es gab noch nie Cleanness. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Cleanheit in der Produktion, in der Oberfläche - also in der Vorstellung von einem cleanen Pop, einem Mainstream-Pop - im Vergleich zum Beispiel mit einem subkulturellen, schmutzigeren Pop. Gerade, wenn Sie jetzt Madonna ansprechen, würde ich schon sagen, dass sie nicht clean in Erscheinung tritt. Also eben wirklich nur in der Produktion, aber sich natürlich zum Beispiel freizügig hinstellt und gegen Vorstellungen von Jungfräulichkeit von Frauen, etc., dagegen kämpft. Ich würde schon sagen, da ist erst einmal so ein Gegensatz zwischen Pop und Cleanness auf einer inhaltlichen Ebene. Cleanness, wie ich schon sagte, im Kontext von Jungfräulichkeit, im Kontext vielleicht auch von Moralvorstellungen, im Kontext von Frieden - Weiß, die Farbe des Friedens - und so weiter.
Reil: Also Clean Pop ist nicht sexualisiert oder sexuell aufgeladen, so verstehe ich Sie.
Kohout: Das ist meine Beobachtung. Und ich würde auch sagen, es ist ein Internetphänomen, unter anderem. Es haben dort viel mehr junge Menschen ein Sprachrohr gefunden, wo sie sich selbst inszenieren und wo Sexualität vielleicht auch erst einmal gar nicht so eine große Rolle spielt. Auf der anderen Seite sind viele Motive, die ich jetzt auch als Clean Pop bezeichnen würde, zum Beispiel der Regenbogen oder auch das Einhorn, Motive der LGBT-Bewegung, also die Lesbian-Gay-Bisexuellen-Transgender-Bewegung, die diese Motive wiederum verwendet, weil sie entweder mit Individualität assoziiert werden …
Reil: Sie sagten ja schon: Das ist im Prinzip entpolitisierter Pop, aber in sehr politischen Zeiten. Und teilweise wird dieser Pop ja auch für politische Zwecke benutzt, beziehungsweise sogar missbraucht. Also Taylor Swift, eine Pop-Country-Queen, die vielleicht auch als Ikone des Clean Pop durchgehen würde, wird ja zum Beispiel auch von den Rechten in den USA zur Ikone erhoben. Auch wenn sie das gar nicht möchte.
Kohout: Also ich würde jetzt zum Beispiel Taylor Swift gar nicht so sehr mit Clean Pop in Verbindung bringen, weil Clean Pop für mich, wie gesagt, erst einmal ein visuelles Phänomen ist. Also eine Ästhetik, der sich Swift, meiner Meinung nach, nicht bedient. Im Gegensatz: Ich finde, sie spielt sogar oft mit älteren Pop-Themen, zum Beispiel dem Hip-Hop und so weiter, die auch irgendwie gegenkulturelle Themen sind. Auf der anderen Seite kann man natürlich sagen: Okay, wenn Clean Pop etwas ist, das - wie Sie schon sagten - vor allem unpolitisch ist, dann würde ich sagen: Ja, Taylor Swift ist irgendwie auch Clean Pop. Wobei ich mir auch da, ehrlich gesagt, nicht so sicher bin. Also wenn man jetzt den Medienberichten folgt, dann heißt es ja, dass sie vor allem eine Ikone der Rechten ist, weil sie A) sich nicht politisch äußert, auf der anderen Seite, weil sie blond und blauäugig ist. Aber ich würde sagen: Vielleicht ist beides der Fall, vielleicht ist nichts davon der Fall. Aber in erster Linie ist sie einfach eine starke Pop-Kultur-Figur. Clean Pop kann eben ausgedrückt in diesen Einhörnern, Regenbögen und dem Millennial Pink eine Art visueller Safespace sein, weil man sich damit eben nicht festlegt. Also mit solchen Fantasiefiguren, mit Farben, die man in der Realität nicht findet, legt man sich nicht fest auf eine Haarfarbe, man legt sich nicht fest, ob man blond, brünett, schwarz, weiß, etc. ist.
Katy Perry: Das Unpolitische wird Politisch
!!Reil!:! Miley Cyrus würden Sie die zum Clean Pop dazurechnen?
Kohout: Neuerdings ja. Ich hätte das vielleicht vor einem Jahr nicht gesagt, weil Miley Cyrus sich ja von Hannah Montana in die Zungenrausstreck-Miley, die nackt auf einer Abrissbirne sitzt und sich mit klebrigen Flüssigkeiten begießt, geworden ist. Aber seit ihrem neuen Video "Malibu" würde ich sagen: Ja, sie ist tatsächlich eine Clean-Pop-Ikone.
Reil: Da sieht man sie nämlich vor einem Wasserfall in einem weißen Rüschenkleid, sehr unschuldig. Aber wie kommt das zustande? Also diese 180-Grad-Wende von der Abrissbirne hin zu diesem Unschuldslamm?
Kohout: Das frage ich mich ehrlich gesagt auch. Und ich bin auch sehr überrascht, dass das so klammheimlich passiert ist und es keiner thematisiert hat, dass Miley Cyrus eigentlich eine Rückverwandlung vorgenommen hat.
Reil: Katy Perry genauso?
Kohout: Naja, Katy Perry - also im Unterschied zu Miley Cyrus, die nicht politisch ist in ihrem Video, würde ich sagen, ist Katy Perry schon politisch. Also in dem aktuellen Video zu "Chained to the Rhythm" verwendet sie Clean Pop, und stellvertretend für die zeitgenössische Kultur, um sie eben mit den Vorstellungen und Werten der 50er-Jahre in Amerika zu vergleichen - einer Zeit, in der beispielsweise Rock'n'Roll als moralische Gefahr wahrgenommen wurde. Und ihre Diagnose ist dann, dass wir uns gegenwärtig wieder in so einer politisch heiklen Lage befinden, aber es eben keine musikalische oder modische Gegenkultur mehr gibt. Und dass wir diese Realität … Sie singt ja immer: So komfortabel wir es uns in unserer Blase gemütlich gemacht haben, sieht man gar nicht mehr die troubles, also die Probleme - wo wir ja auch wieder bei dem Eskapismus-Thema wären, was sie in ihrem Video öffentlich kritisiert.
Reil: Dann ist das Unpolitische auf einmal doch sehr politisch. Annekathrin Kohout über das Phänomen Clean Pop. Danke Ihnen für das Gespräch.
Kohout: Vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Der Blog von Annekathrin Kohout heißt sofrischsogut.