
Eine Mischung aus Bergwerk und Forschungslabor, so wirkt der Saal im Essener „Unperfekthaus“. Über zehn Meter lange Gänge laufen zickzackartig ineinander. Die Wände aus weißer Plastikfolie, der Boden aus weißem Milchkarton. Es ist düster. Der Besucher schlüpft in eine Doppelrolle aus Bergarbeiter und Proband. Nicht nur, weil ihm am Eingangstor von einer Performerin Kopflampe und Überziehschuhe ausgehändigt werden.
„Wie ihr gerade schon seht, kann es sein, dass ihr zwischendurch in die Situation kommt, dass es eher dunkel ist, deswegen geben wir euch die Twenty-first-century-Grubenlampe mit ... "
Auch Fragebogen gilt es auszufüllen. Mit Fragen wie „Ist die Zeit, die Sie im Ruhrgebiet leben, befristet?“ oder „Wie sollten frühere Industrieflächen im Ruhrgebiet Ihrer Meinung nach genutzt werden?“
Identität des Ruhrgebiets
„Zeitspielräume“ nennt das Bochumer Künstlerkollektiv Anna Kpok das Werk, eine performative Installation, die mit Musik, O-Tönen, Filmen, Spielformaten und Schauspiel aufwartet. Im Auftrag einer jungen Forschungsgruppe setzt sie sich anhand deren aktueller Studie mit der Identität des Ruhrgebiets auseinander, mit Zukunftsentwürfen für eine Region, die noch nicht so recht weiß, wie sie ihre postindustrielle Ära konkret gestalten soll. Ein idealer Nährboden für Zukunftssimulationen, die aus Lautsprechern erklingen:
„Es ist 2085 und die Kreativ- und Kulturwirtschaftsära des Ruhrgebiets neigt sich unaufhaltsam ihrem Ende zu. Politik und Gesellschaft stehen erneut vor einer Jahrhundertaufgabe.“
Anna Kpok entwirft eine apokalyptische Zukunftsvision vom Ruhrgebiet. Ein kritischer Kommentar auf ein scheinbar Heil bringendes wirtschaftliches Konzept, dessen Erfolg sehr fraglich ist, betont Performerin Kathrin Ebmeier:
„Dass eine Kreativwirtschaft im tertiären Sektor, die wirklich monetär nicht ganz so toll aufgestellt ist, in irgendeiner Weise den ressourcenabbauenden und verarbeitenden Sektor auffangen oder ersetzen könnte, das ist, finde ich, eine Entwicklung, da kann man schon daran zweifeln, ob das wirklich so eine kausal gute Idee ist.“
Nach dem Niedergang der Kreativwirtschaft – so das Szenario – muss für die 53 Pott-Städte also eine neue wirtschafts-kulturelle Ordnung gefunden werden. Der Besucher ist nun aufgefordert, als Planspieler zu agieren.
„Der Strukturwandel des Strukturwandels muss umgesetzt werden. Die einst umjubelten und staatlich hochsubventionierten Kultur- und Kreativstätten, die aufwendig aus den Industrieruinen geschaffen worden sind, stehen leer und verrotten.“
Fiktive Zukunftspläne
Es erstrahlen Vitrinen mit Kartografien des Ruhrgebiets. An den Wänden hängen Zettel mit fiktiven Zukunftsprojekten. Etwa die gesamte Erde des Ruhrgebiets an China zu verkaufen, um die dort verschmutzten Gebiete wieder fruchtbar zu machen. Oder eine neue Hauptstadt entstehen lassen – als Gegenentwurf zu Berlin, das nur „herumlungernde Kreative in den Cafés“ hervorgebracht habe. Der Besucher muss sich für eines der Zukunftsszenarien entscheiden, die allerdings ziemlich unernst daherkommen.
„Sehr geehrte Gäste, willkommen in der Zukunft, die Universitätsallianz Ruhr und der Rat der Wissenschaftsweisen freuen sich, Euch heute das weltweit erste Holodeck präsentieren zu dürfen. Durch einen implementierten Quantenprozessor ist das Holodeck Ihre Wünsche und Bedürfnisse berechnen, bevor Sie sie überhaupt selber kennen“
Anna Kpok wirft mit „Zeitspielräume“ wichtige Fragen auf. Dabei wirkt es so, als würde die Künstlergruppe ihre Auftraggeber parodieren. Aber als Kunstprojekt überzeugt es nicht. Dafür schwankt es zu unentschieden zwischen Installation und Spiel. Und gerade über das Spiel hätte Anna Kpok den Zuschauer viel stärker mit möglichen Zukunftsszenarien des Ruhrgebiets konfrontieren können. Somit wird „Zeitspielräume“ die Debatten um das neue postindustrielle Ruhrgebiet vermutlich nicht wesentlich beflügeln.