Wenn Wolff Kasse aus dem Fenster seines neuen Büros in Barsinghausen schaut, dann ist immer auch ein wenig Wehmut dabei. Denn schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite hat er jahrzehntelang gearbeitet. In das rote Backsteingebäude, in dem mehr als 100 Jahre lang die "Deister-Leine-Zeitung" ihren Sitz hatte, ist jetzt ein Versicherungsunternehmen eingezogen. Für Sentimentalität hat Kasse aber eigentlich keine Zeit. Er muss mehr oder weniger alleine eine Wochen-Zeitung auf die Beine stellen. Und das in einer Stadt, in der es ordentlich Konkurrenz gibt. Das Büro der "Calenberger Zeitung" liegt nur rund 100 Meter entfernt. Und die hat den großen Madsack-Konzern im Rücken. Zudem werden in dem kleinen Ort zwei Anzeigenblätter herausgegeben. Kasse glaubt trotzdem an seine Chance.
"Wir haben ein Modell gefunden, das anders ist, wir sind kein Anzeigenblatt, wo die Berichte immer kleiner und die Anzeigen immer größer werden, wir sind auch kein Blatt, wo die Bilder immer größer werden. Wir versuchen, einmal in der Woche das alte DLZ-Gefühl zurückzugeben. Und die Resonanz ist durchaus positiv. Wir haben Stimmen gehört: 'Herzlichen Dank für die Zeitung. Mein Mann liest seit zwei Stunden Zeitung. Das ist noch nie passiert'."
Trotz der positiven Rückmeldungen ist Wolf Kasse kein Träumer. Schließlich hat er das Zeitungssterben am eigenen Leib miterlebt. Und Barsinghausen ist beileibe kein Einzelfall. Aber das "Deister Journal" hat etwas, was viele andere Blätter nicht haben, glaubt Wolf Kasse: Im Fachjargon nennt sich das Lokalkolorit.
"Praktisch ist es so, dass sich die großen Zeitungen immer mehr aus dem Lokalen zurückziehen, konzentrieren sich aufs Regionale, aber vernachlässigen eben das Lokale. Wir bieten deshalb den gesamten Platz fürs Lokale und das wird richtig gut angenommen."
Auf lange Sicht muss aber auch Geld reinkommen. Die Wochenzeitung ist kostenlos, muss sich also über Anzeigen finanzieren. Und so steht der Lokaljournalist vor einem schwierigen Spagat. Artikel recherchieren und schreiben, Layout gestalten und nebenbei Anzeigenkunden akquirieren. So ganz allein ist er dabei aber nicht. Erk Bratke ist für den Sport verantwortlich. Wie Kasse ist auch er ein Kind der DLZ und glaubt ans wirtschaftliche Überleben.
"Wenn man hier zur Schule gegangen ist, wenn man hier in zahlreichen Sportvereinen ist, dann sind die Kontakte natürlich da, alle älter geworden, aber sie sind da und kommen so langsam alle wieder."
Und noch etwas spielt dem "Deister Journal" in die Karten. Der Lokalpatriotismus der Menschen in Barsinghausen. In der Fußgängerzone wird viel über das Blatt gesprochen. Nahezu jeder hat schon mal reingeguckt und hofft, dass die neue Zeitung eine Zukunft hat.
Ob das "Deister Journal" tatsächlich eine Chance hat, sich auf dem umkämpften Zeitungsmarkt zu etablieren, wird sich wohl erst in einigen Monaten zeigen. Auf Wolf Kasse wartet in diese Zeit reichlich Arbeit. Ein Scheitern wäre für den 54-Jährigen fatal. Schließlich hat er nach der Vertragsauflösung bei der "Deister-Leine-Zeitung" seine komplette Abfindung in die Finanzierung des neuen Wochenblatts investiert. Und ein Blick aus seinem Bürofenster auf das rote Backsteingebäude seines ehemaligen Arbeitgebers auf der anderen Straßenseite erinnert ihn täglich daran, dass es nicht einfach werden wird.