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Zeitungszeugen, Anti-Nazi-Symbole, "Mein Kampf"

Wenn das Verfassungsgericht ein Strafgesetz mit dem Wortlaut verteidigen muss, es sei "ausnahmsweise gerechtfertigt", dann klingt das, gelinde gesagt, ziemlich unrund.

Von Arno Orzessek |
    Seit vier Jahren stellt der verschärfte Volksverhetzungsparagraph 130 Billigung, Verherrlichung und Rechtfertigung der "nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft" unter Strafe.

    Tatsächlich hätte allein der Begriff ‚Gewalt- und Willkürherrschaft’ jedem Richter die nötige Handhabe gegeben – sowohl gegen aufmarschierende Nazis als auch gegen Vergehen von Alt-Stalinisten, Mao-Verehrern, Pol Pot-Fans und Idi Amin-Freunden.

    Die Präzisierung ‚nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft’ weist überdeutlich auf die innere Substanz und Schlagrichtung des Gesetzes: eben gegen Rechtsradikalismus und Neo-Nazismus.

    Das wäre eigentlich verfassungswidrig, weil die Meinungsfreiheit nur durch allgemeine, aber nicht bestimmte Gesetze eingeschränkt werden darf –, jedoch nur eigentlich. Denn Neonazis sind nicht beliebige, sondern besondere Dummköpfe, die nach Meinung der Richter Sonderbehandlung per Sonderrecht verdienen, ohne das jedoch ein Konflikt mit der Verfassung entsteht.

    Und warum? Weil der Nationalsozialismus für die Bundesrepublik Deutschland – jetzt wört¬lich – eine "gegenbildlich identitätsprägende Bedeutung hat".

    Aber wollten wir nicht längst souveräner sein? Wollten wir nicht ein liberaler Rechtsstaat sein, der sich auf den Geist der Freiheit gründet – statt auf die Gegenbildlichkeit zum NS-Regime?

    Ja, doch, muss man sagen: Das wollten wir! Indem die Verfassungsrichter die Nie-wieder-Nationalsozialismus-Intention der Verfassungsväter betonen – es gab 1948/49 auch andere Intentionen –, fixieren sie die Bundesrepublik im Kern als Anti-NS- und Anti-Hitler-Staat. So plausibel die historische Ableitung ist, so unzureichend wirkt dieses Selbstverständnis für die Gegenwart.

    Klar, mit dem verschärften Paragraphen 130 bekommt Wunsiedel und jeder andere Ort die Neonazis von der Straße.

    Aber richtet man etwas gegen die braune Gesinnung in den Köpfen aus, indem man den Staat als obersten Antifaschisten in Dienst nimmt? Erzeugt man nicht eher heroisches Bewusstsein bei den Rechtsextremen – nach dem Motto ‚Un¬sere schwarz-weiß-roten Fahnen fordern die Bundesrepublik im innersten Kern heraus’?

    Das hat im Zweifel ein Pathos, das den Falschen gefällt und Doping für ihr Selbstbewusstsein ist.

    So oder so bleibt der gesetzliche Umgang mit Neonazis widersprüchlich.

    Das Landgericht Stuttgart verurteilte 2006 einen Versandhändler zu 3600 Euro Strafe, weil es in den von ihm vertriebenen Anti-Nazi-Logos vor allem die Nazi-Logos sah. Konkret: Es sah in dem Hakenkreuz, das von einer Faust zerschlagen wird, das verfassungswidrige Symbol Hakenkreuz. Der Faust, die das Symbol präzise ins Gegenteil verkehrt, maß das Gericht keinen entscheidenden Wert bei.

    Im krassen Gegensatz dazu erlaubte das Münchener Landgericht kürzlich dem britischen Verleger Peter McGee, Faksimiles von Nazi-Blättern wie dem Völkischen Beobachter und dem Angriff nachzudrucken. Dabei stellten die Richter jedoch nicht die Aufklärungsabsichten des Verlegers in den Vordergrund, sondern das Urheberrecht. Oder anders: die Richter duckten sich bequem weg.

    Das Bundesverfassungsgericht hat sich nicht weggeduckt. Aufgrund der ungeschickten Formulierung des Zusatzes zum Volksverhetzungsparagraphen 130 musste es jedoch semantisch derart stark lavieren, dass eine Neuformulierung des Paragraphen durch den Gesetzgeber angemessen erscheint.