Im Frühjahr 1944 stand Josef Klein ihm gegenüber. Damals lief die Deportation der Juden aus Ungarn in die Vernichtungslager. Josef Klein wurde in Levice in der heutigen Slowakei mit seiner Familie in die Viehwaggons getrieben. Und er schaute zu - Adolf Eichmann:
"Und dann kann ich mich noch gut erinnern, wie Eichmann gesagt hat: 'Wer ist der Junge dort?' Und mein Vater hat gesagt: Er wartet auf mich, er ist mein Sohn."
Josef Klein hat überlebt. Und es sollte nicht das letzte Mal sein, dass er Adolf Eichmann gegenüberstand.
73 Jahre später. Über den Golfplatz von Ga'ash nördlich von Tel Aviv wölbt sich ein strahlend blauer Himmel, Windböen kommen vom Meer herüber. Joe Klein hebt am dritten Loch seinen Ball auf, macht zwei Probeschwünge und schlägt dann ab.
Kein schlechter Schlag, aber auch kein wirklich guter, stapelt er tief. Der kleine Ball fliegt 120 Meter schnurgeradeaus und landet mitten auf dem Fairway. Ein tadelloser Schlag. Jeden Sonntag um elf spiele ich eine Runde mit Joe, wie Josef sich nennt, seit er 1948 nach Israel gekommen ist. Im Laufe unserer Golfrunden erzählt er immer wieder beiläufig Details aus seinem Leben. Um vorsichtig herauszufinden, ob ich wohl die ganze Geschichte hören will.
Deportation nach Auschwitz
"Ich bin geboren als Josef Klein in der Tschechoslowakei in 1929."
Der Vater - ein Holzhändler. Mit seiner Mutter und zwei jüngeren Geschwistern lebt er in jenem Teil der Süd-Slowakei, die nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Prag Ungarn zugeschlagen wird. Erst leben die Kleins im Ghetto, dann organisiert Eichmann den Abtransport in die Gaskammern.
"Wir kamen an die Reihe Anfang Juni 1944", sagt Joe.
An der Rampe in Auschwitz springen die Kleins aus dem Waggon. Josefs Vater begreift innerhalb weniger Minuten, was dort passiert. Die Trennung der Familien, die Selektion:
"Glücklicherweise hat mein Vater mich im letzten Moment weggezogen von meiner Mutter. Wir waren einige Reihen vor Mengele. Mein Vater sagte: 'Du bist 17 Jahre alt!' Ich war eigentlich 14, 14 1/2 Jahre alt. Wir waren drei Kinder, und er hat mich gezogen."
Seine Mutter, seine Schwester, seinen Bruder hat er nie wiedergesehen.
"Wer umfiel, war tot. Fertig."
Mit dem nächsten Abschlag ist Joe überhaupt nicht zufrieden. Ich hab die Palme getroffen, sagt er. Wenigstens ist sie nicht beschädigt, schiebt er ironisch hinterher. Am besten wir gehen ins Clubhaus und trinken ein Bier, schlägt er vor.
Zwei Wochen, nachdem sie von Josef Mengele als arbeitsfähig befunden worden waren, werden Joe und sein Vater nach Süddeutschland transportiert. Dort werden sie getrennt. Joe landet in Mühldorf am Inn, in einem Arbeitslager, dem die Nazis einen beschönigenden Tarnnamen gegeben hatten.
"Dort hatte man angefangen eine Fabrik zu bauen. Später haben wir verstanden: Das war 'Weingut 1'. Der Zweck war, Fabriken aufzustellen für die ME 262. Das war das erste Düsenflugzeug."
Und eine der vermeintlichen Wunderwaffen, die das Deutsche Reich vor dem Untergang bewahren sollten.
"Wir waren dort auf der Baustelle und wir mussten Zementsäcke zwei Stockwerke hochschleppen und in die Maschine schütten. Und die Leute sind dabei einfach umgefallen. Jeden Tag 50 oder 100, es spielte keine Rolle. Wer umfiel, war tot. Fertig."
"Am nächsten Morgen waren alle deutschen Soldaten verschwunden"
Kurz vor der Kapitulation landet Joe wieder in einem Zug. Diesmal soll er nach Tirol deportiert und dort ermordet werden. Doch der Zug kommt nicht mehr weit, in Tutzing am Starnberger See ist seine Reise ins Verderben zu Ende:
"Dort stand der Zug vielleicht einen Tag und am nächsten Morgen waren alle Soldaten verschwunden und die Türen waren geöffnet. Und ich kann mich gut erinnern, der Zug war etwas in der Höhe und unten war die Straße. Und da habe ich Panzer mit einem weißen Stern gesehen."
Die Panzer der amerikanischen Befreier. Seinen Vater findet Joe nach dem Krieg wieder, beide gehen zurück in die Tschechoslowakei, doch nach kurzer Zeit wissen sie: Hier haben wir keine Zukunft. Joe meldet sich als Freiwilliger für den israelischen Unabhängigkeitskrieg. Er beschließt:
"Wenn es einen jüdischen Staat gibt, dann will ich dabei sein."
Heute ist Joe mit seinem Golfspiel wirklich nicht zufrieden. Und das wurmt ihn gewaltig - auch mit 87 Jahren noch. Nach unseren Golfrunden verabschieden wir uns immer ganz formlos, mit einem Klaps auf die Schulter. Nur einmal reicht er mir ganz förmlich die Hand. Ungewöhnlich. Dann schmunzelt er. Und sagt: "Eichmann habe ich damals nicht die Hand gegeben". Kleiner Wink: Er will mir von ihrer zweiten Begegnung berichten.
Israelische Geheimagenten entführen Eichmann nach Israel
Joe Klein landet nach der Staatsgründung bei El Al, der neuen israelischen Fluglinie. Erst als Meteorologe, dann leitet er verschiedene Auslandsbüros. 1960 ist er in den USA stationiert:
"Ich habe ein Telegramm bekommen, ich war da in New York: 'Du sollst morgen nach Buenos Aires!'"
Erst in Argentinien erfährt er, worum es geht. Israelische Geheimagenten wollen sich Eichmann schnappen und ihn nach Israel schaffen. In einem Flugzeug der El Al, die zu dem Zeitpunkt Buenos Aires aber gar nicht anfliegt. Also wird ein Besuch einer israelischen Regierungsdelegation zum 150. Staatsgeburtstag Argentiniens arrangiert. Während der israelische Tourismus-Minister feiert und der Mossad Eichmann kidnappt, muss Joe Klein das Flugzeug für den Rückflug vorbereiten:
"Das Flugzeug ist angekommen mit dem Minister und seiner Gruppe zu diesem Jubiläum. Das Flugzeug stand da 24 Stunden und in der Zwischenzeit habe ich arrangiert, was man normalerweise arrangiert: Benzin haben, parkieren und sauber machen."
Währenddessen wird Eichmann auf den Flug nach Israel vorbereitet. Die argentinische Polizei darf davon nichts mitbekommen. Deshalb wird der Organisator der Judentransporte für den Weg zum Flughafen mit einer Spritze ruhiggestellt:
"Man hat ihm im Hotel eine Mannschaftsuniform der EL Al gegeben. Es lief alles nach Plan. Eichmann ist mit der Mannschaft ins Flugzeug hinauf gekommen und ich wollte ihm unbedingt noch mal Auge in Auge gegenüberstehen, aber er war nicht ganz wach. Aber da habe ich ihn zum zweiten Mal gesehen, drinnen im Flugzeug."
"Fast wie ein Wunder"
Am neunten Loch platzt endlich der Knoten. Joe findet zu seiner üblichen Form zurück. In einem langen Bogen, der dem Gefälle des Greens folgt, setzt er einen Putt aus sagenhaften fünf Metern ins Loch: "In the hole! What a finish! This should be in the radio!"
Seit 50 Jahren spielt Joe Klein Golf. In einem Land, das seit noch nicht ganz 70 Jahren existiert.
"Die Entwicklung in diesen 70 Jahren war fast ein Wunder. Wo damals 500.000 oder 600.000 lebten, sind wir heute sechs Millionen."
Einer von ihnen ist Joe Klein, mein Golfpartner, der zweimal Eichmann gegenübergestanden hat. Und überlebt hat.