Kurz nach Mitternacht auf einem Imbiss-Markt in der Stadt Xishuangbanna, ganz im Südwesen von China. Entlang einer kleinen Straße verkaufen Händler Fleischspieße und gegrilltes Gemüse. Drumherum sitzen gutgelaunte Menschen auf bunten Plastikhockern und trinken Bier. Morgen ist zwar ein Werktag, aber das macht den Menschen hier im Südzipfel der chinesischen Provinz Yunnan ganz offensichtlich nichts aus. "Wir stehen hier mit unserem Stand Abends und Nachts," erzählt eine Verkäuferin. "Mein Mann und ich machen sehr spät Feierabend, um vier Uhr Morgens. Oft stehen wir erst am Mittag auf. Die Leute hier lieben das Nachtleben."
Was auch daran liegt, dass es hier im Vergleich zu anderen Landesteilen Chinas abends erst relativ spät dunkel und kalt wird. Rein geografisch gesehen müssten Yunnan und andere Teile Westchinas eigentlich in einer ganz anderen Zeitzone liegen als der Osten des Landes. "Wir sind hier ganz im Südwesten. Oben, im Nordosten Chinas ist es eben andersherum: Im Winter wirds dort schon um drei Uhr Nachmittags dunkel. Wir führen hier natürlich ein komplett anderes Leben."
Zeitzonen-Problematik im Westen Chinas
Nur ein paar Dutzend Kilometer entfernt vom Nachtmarkt im chinesischen Xishuangbanna liegt Myanmar. Im Nachbarland ist es anderthalb Stunden früher, auch Indien ist nicht weit entfernt, nach dorthin beträgt der Zeitunterschied sogar zweieinhalb Stunden.
So hört es sich an, wenn man um 8 Uhr morgens irgendwo in China das Radio in China einschaltet: "Acht Uhr Peking-Zeit," sagt die Sprecherin. Und diese Zeit gilt im ganzen Land. Nicht nur in Peking, sondern auch in den Tausende Kilometer weit entfernten westchinesischen Regionen wie Yunnan, Tibet und Xinjiang. Dort macht sich die Zeitzonen-Problematik besonders krass bemerkbar: Wer von Xinjiang aus die Landesgrenze ins Nachbarland Afghanistan überquert, muss seine Uhr auf einen Schlag um dreieinhalb Stunden zurückstellen. Daran sieht man: Chinas Westen verdient eigentlich eine eigene Zeitzone.
Zentralistischer Allmachtsanspruch der Partei
"In unserer Schule richteten wir uns früher immer nach der offiziellen Peking-Zeit," erinnert sich Xu Jianling, der heute in Shanghai lebt, aber in Xinjiang zur Schule gegangen ist. "Eigentlich hatten wir aber immer zwei Zeiten im Kopf: Schulbeginn für uns war immer 10 Uhr 30 Pekinger Zeit. Unter uns sprachen wir aber von 8 Uhr 30 ‚echte Zeit‘. Nicht nur Schüler machen das in Xinjiang so, sondern auch Arbeiter und Angestellte."
Dass das Riesenland China nur eine Zeitzone hat, hat historische Gründe: "Früher, während der Kulturrevolution in den 60er und 70er Jahren, hatte in China kaum jemand eine Uhr," erklärt Zhang Hong, Soziologe an der Shanghaier Tongji-Universität. "Die übers Radio angesagte Zeit war damals entscheidend. Und dieser eine Satz: "So und so viel Uhr Peking-Zeit" – das war ein symbolisch enorm wichtiger Satz für den zentralistischen Allmachtsanspruch der Staats- und Parteiführung. Egal ob im Osten, Westen, Süden oder Norden: Ganz China tickt wie Peking."