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Zellfabriken im Aufbau

Biologie.- Die synthetische Biologie ist ein Forschungszweig, in dem Wissenschaftler neue Organismen künstlich herstellen - zum Beispiel Viren. Die Forschung erhofft sich dadurch unter anderem Fortschritte in der Herstellung von Impfstoffen. Die Wissenschaftsjournalistin Marieke Degen im Gespräch mit Gerd Pasch.

    Gerd Pasch: Der amerikanische Biochemiker und Genforscher Craig Venter hatte mal das Erbgut eines Bakteriums nachgebaut und damit künstlich lebensfähige Organismen geschaffen. Synthetische Biologie heißt diese noch junge Forschungsdisziplin. In Berlin haben heute die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) und die Nationale Akademie der Wissenschaften (Leopoldina) eine gemeinsame Stellungnahme zu den Chancen und Risiken dazu vorgestellt. Marieke Degen, synthetische Biologie, was ist das überhaupt.

    Marieke Degen: Ja, die synthetische Biologie ist noch ein sehr junges Forschungsfeld. Es geht darum, neue biologische Systeme zu bauen. Also, neue Organismen sogar zu schaffen, die ganz bestimmte Eigenschaften haben. Also zum Beispiel können Forscher DNA-Stücke künstlich bauen oder auch ganze Genome, aus Genen, die sie vorher künstlich zusammengesetzt haben. Und diese Genome haben dann eben ganz bestimmte Eigenschaften. Und, die Forscher können auch künstliche DNA oder eben Eigenschaften der Genome in eine leere Zellhülle einschleusen, so dass ein komplett neuer einzelliger Organismus entsteht, der wiederum ganz bestimmte Eigenschaften hat, der zum Beispiel einen Wirkstoff produzieren kann oder ähnliches. Also die synthetische Biologie ist sozusagen die Weiterentwicklung der Gentechnik und der Biotechnologie. Und sie involviert ganz verschiedene Forschungsfelder, zum Beispiel Biowissenschaft natürlich, Chemie, aber auch die Ingenieurwissenschaften.

    Pasch: Was machen denn diese künstlichen DNA-Stücke und die künstlichen Zellen? Wofür sind sie gut?

    Degen: Diese synthetische Biologie, die kann in ganz vielen Bereichen eingesetzt werden. Selbstgebaute oder nachgebaute DNA zu Beispiel, die ist für Impfungen interessant, für DNA-Impfungen. Da geht es darum, dass ganz bestimmte Gene eines Krankheitserregers gespritzt werden und dann eine Immun-Antwort auslösen. Dabei handelt es sich aber nur um experimentelle Impfstoffe bislang. Diese kleinen neuartigen Zellfabriken, von denen ich eingangs schon gesprochen hatte, mit denen kann man zum Beispiel spezielle Medikamenten-Wirkstoffe herstellen oder man kann sie so designen, dass sie aus Pflanzenabfällen zum Beispiel Bio-Ethanol gewinnen, also Bio-Treibstoffe. Man kann sie natürlich auch so konstruieren, dass sie Gifte aus der Umwelt entfernen können. Und all das kann so viel billiger und schneller geschehen als wir das bislang geschafft haben. Und deswegen sind sich die Experten der DFG, der Leopoldina und von Acatech auch einig, dass die synthetische Biologie ein enormes Potenzial hat. Allerdings steckt der gesamte Forschungszweig nach wie vor in den Kinderschuhen. Im Moment sind wir über die Grundlagenforschung selbst noch nicht herausgekommen.

    Pasch: Sie haben, Frau Degen, schon ein paar Anwendungsbeispiele genannt: Impfstoff. Ist es nicht gefährlich, Krankheitserreger nachzubauen? Wie hoch sind denn die Missbrauchsrisiken generell?

    Degen: Forschern aus den USA ist es vor einigen Jahren tatsächlich gelungen, ein komplettes Polio-Virus nachzubauen. Also das Virus, das Kinderlähmung auslöst. Und dieses Polio-Virus konnte dann tatsächlich auch Mäuse krank machen. Es war allerdings nicht so überlebensfähig wie das natürliche Virus. Ich habe darüber auch heute mit Jörg Hinrich Hacker gesprochen, dem Präsidenten des Robert-Koch-Instituts, und er meint, es sei im Moment sehr unwahrscheinlich, dass Krankheitserreger nachgebaut würden oder sogar komplett neugebaut würden, weil das doch nach wie vor eine extrem komplexe Angelegenheit ist. Die Missbrauchsrisiken, die gibt es natürlich. Genauso wie auch mit gentechnisch veränderten Organismen oder generell mit ganz normalen Krankheitserregern im Labor. Und deswegen fordern die Forschungsorganisationen jetzt auch, dass man das gesamte Forschungsfeld der synthetischen Biologie, so jung es ist, jetzt von Anfang an wissenschaftlich begleitet. Und sie fordern auch, dass es eine Datenbank geben muss, für neue künstlich hergestellte DNA-Stränge, die die Funktion dieser DNA-Stränge auflistet, um den Überblick zu behalten.

    Pasch: Womit wollen denn die Forscher, die Sicherheit, die Nebenwirkungen, für Mensch und Umwelt in den Griff bekommen?

    Degen: Zurzeit gehen die Experten nicht davon aus, dass es mehr Risiken geben wird bei der synthetischen Biologie als zum Beispiel bei der Gentechnik. Es gilt für die neuen Organismen der synthetischen Biologie im Prinzip das gleiche, was auch für gentechnisch veränderte Organismen gilt: Das Gentechnik-Gesetz schreibt vor, dass solche Organismen erst sehr lange im Labor beobachtet werden müssen. Und dass sie nur unter ganz bestimmten Sicherheitsvorkehrungen in die Umwelt gelangen dürfen. Und dazu muss man sagen, dass diese Einzeller, um die es geht – es werden sehr wahrscheinlich nur neukreierte Einzeller sein – dass die genetisch ja auch so abgespeckt sind, dass sie unter Laborbedingungen überhaupt nur leben können. Also in der Umwelt würden die überhaupt nicht zurecht kommen. Davon gehen die Forscher zumindest im Moment aus. Aber man muss natürlich auch schauen, wie sich das ganze Feld in den nächsten 20, 30 Jahren entwickelt und dann die Gesetze auch bei Bedarf nachbessern.