Adalbert Siniawski: Guten Tag.
Josef Spiegel: Guten Tag!
Siniawski: Im Bushido-Song "Osamaflow" kommt nach dem Namen Wowereit direkt das Wort Sprengsatz und später im Refrain, nicht direkt auf Wowi bezogen, heißt es, "wenn ich komme, bist du Schwuchtel so wie Moshammer tot". Was ist Ihr Eindruck als Zensurforscher unabhängig von der Auslegung des Gerichts? Ist das noch Freiheit der Kunst?
Spiegel: Also das ist wieder eine Frage, die ich nur sehr, sehr schwer beantworten kann. Ich kann da meine persönliche Meinung zu sagen, aber die ist eigentlich nicht relevant, und eine wissenschaftliche Meinung dazu gibt es meiner Ansicht nach nicht.
Man kann eine solche Auseinandersetzung juristisch führen, wie es ja jetzt vor Gericht passiert, und alles andere ist eigentlich eine Frage der Diskussionskultur.
Siniawski: Ja, denn Sie beschäftigen sich ja mit der Geschichte der Indizierung und können das vielleicht anhand der Fälle dann generell einschätzen – wie weit geht die Kunstfreiheit, wo sind die Grenzen. Das ist ja eine sehr heikle Frage in einem freiheitlich-demokratischen Land.
Spiegel: Und diese Grenze muss immer wieder neu verhandelt werden, und das zeigt eigentlich auch die Geschichte der Zensur, dass sie immer wieder auch neu verhandelt wurde. Meine Erfahrung damit ist einfach, dass sich Werte im Laufe der Zeit verschieben, und was so ein Bushido-Urteil anbelangt, als Historiker würde mich natürlich interessieren, dieselben Fragen, die Sie mir jetzt stellen, noch mal in 20 Jahren gestellt zu kriegen mit einem gewissen Abstand und eine Einordnung, wie sich vielleicht Werte auch verschoben haben.
Siniawski: Wie haben sich Werte verschoben, wenn Sie dann zurückblicken vielleicht?
Spiegel: Na, wenn man dran denkt, dass jetzt die Bundesprüfstelle für Medien sich in den Fall eingeschaltet hat und das Album indiziert hat – damals war es eben die Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Schriften, seit den 50er-Jahren, die verschiedene Medien auf den Index gesetzt hat mit denselben Folgen wie heute auch.
Damals waren es etwa Comics, viele Sigurd-Hefte, die auf dem Index gelandet sind, weil sie als gewaltverherrlichend galten. Wenn man die sich heute noch rückblickend anschaut, fällt es einem sicherlich schwer, diesen Urteilen noch folgen zu können. Da reichte es mitunter schon aus, dass jemand irgendwie ein Schwert in der Hand hielt und auf jemanden in der Kampfeshandlung damit verwickelt war, und rückblickend würde man sagen, solche Szenen gibt es heute Hunderttausendmal, und da wird sich niemand drüber aufregen.
"Bestimmte Werte und Maßstäbe verändern sich im Laufe der Zeit"
Siniawski: Ja, 1976 sang Reggae-Musiker Peter Tosh "Legalize it", das war eine Ode an Marihuana, ist auch zu finden als Eintrag in Ihrem Zensur-Wiki. Das Album wurde damals, also '76, sofort indiziert, der Bann wurde 2005 wieder aufgehoben. Ja, heute sprechen sogar CDU-Politiker über Legalisierung von Haschisch. Heißt das, wir müssen die Urteile dann auch irgendwann mal revidieren?
Spiegel: Das ist auf jeden Fall so, und das ist auch ein Bestandteil der Diskussionskultur, die ich da gerade angesprochen habe, dass sich bestimmte Werte und Maßstäbe im Laufe der Zeit verändern. Es sind auch bestimmte Themen, die sich auch im Laufe der Zeit verändert haben. In den 70er-Jahren waren mehrere Platten wegen Drogen, Marihuana und so weiter auf jeden Fall in der Diskussion und in der Kritik. Später sind es dann halt andere Themen gewesen.
In den 60er-Jahren waren vorwiegend erotische oder pornografische Texte oder Plattencover, die auf dem Index gelandet sind oder über die offensiv eine Diskussion geführt worden ist, auch da würde man heute ganz andere Maßstäbe setzen. Ich bin mir jetzt bei Bushido da einfach nicht sicher, wie man in der Zukunft darüber urteilen wird, aber für mein persönliches Empfinden ist es für mich weniger eine Frage der Indizierung und des Vom-Markt-Nehmens, als einfach eine bestimmte symbolische Aussage, wenn die Bundesprüfstelle für Medien sich da eingeschaltet hat, denn wir brauchen uns ja da nichts vormachen: Durch das Internet sind fast alle Sachen, auch, die von der Bundesprüfstelle auf den Index gesetzt worden sind, erreichbar und verfügbar, auch für Jugendliche, und nach den Maßstäben bei Bushido angelegt, müsste man Hunderttausende andere Songs und CDs auch verbieten.
"Provokation ist auch ein Marketinginstrument"
Siniawski: Genau, das Album "Sonny Black" ist ja bei YouTube leicht zu finden und dann zu hören. So eine Indizierung kann heute ganz leicht umgangen werden. Müsste da also die Bundesprüfstelle nicht härter durchgreifen oder geht das kaum mehr?
Spiegel: Das ist eine ganz schwierige Frage. Die müsste man eigentlich an die Bundesprüfstelle stellen. Ich habe da keine Antwort drauf. Ich stelle einfach nur fest, dass alles verfügbar ist, und von daher stellt sich eher die Frage, was kann die Bundesprüfstelle überhaupt noch bewirken.
Die Geschichte, die zeigt ja einfach auch, dass so viele Sachen, die indiziert worden sind oder aus dem Verkehr gezogen sind, nicht nur im Preis gewaltig gestiegen sind, sondern auch eine Aufmerksamkeit hervorgerufen haben, die wahrscheinlich sonst gar nicht gekommen wäre. Die Provokation ist mit Sicherheit auch ein Marketinginstrument und auch ein Ausloten. Das, was viel relevanter war und wirklich auch wehgetan hat, das waren dann zum Teil Zivilklagen, die gegenüber Gruppen oder Künstlern geführt worden sind. Denken Sie nur mal an "Die angefahrenen Schulkinder" mit "I wanna make love to Steffi Graf" – das hat denen finanziell einen solchen Schaden reingebracht – die Zivilklage, nicht die strafrechtliche Klage, dass das Gruppenende war. Vielleicht ist es auch ein Zeitpunkt, mal darüber nachzudenken, wie man über Aufklärungsarbeit vielleicht da besser vorankommt als über Verbote, die in der Realität de facto eigentlich keine Wirkung mehr haben können, weil die technischen Möglichkeiten sich so verändert haben.
Siniawski: Die Bundesprüfstelle gibt es seit dem Jahr 1954. Wie waren die Anfänge der Indizierung? Waren die Behörden früher einfach strenger?
Spiegel: Nach meinem Wissen ist im Musikbereich relativ wenig indiziert worden. Das schon zitierte Beispiel der Comics oder auch der Romanhefte oder der Leihbücher, das war viel virulenter in den 50er-Jahren, und da ging es insbesondere eben um das Thema auch Gewaltverherrlichung.
Ich hatte so den Eindruck, dass ich das Ganze auch historisch verstehen muss mit der Geschichte des Dritten Reiches, dass da auch eine Art von Versuch gestartet wurde, Kinder und Jugendliche nicht mit Gewaltdarstellungen in Kontakt kommen zu lassen, wie so eine Art erzieherische Maßnahme, wo man meinte, das könnte auch eine politische Wirkung haben mit Blick auf ein besseres, anderes Demokratieverständnis.
Siniawski: Auf Ihrer Seite Zensur-Wiki [Anmerkung der Redaktion: Es handelt sich um die Seite Zensur-Archiv] versammeln Sie viele Beispiele nicht nur in der Musik. Was sind heute Genres, die am häufigsten ins Visier der Zensoren geraten? Zeichnet sich da was ab?
Spiegel: Zu verschiedenen Zeiten sind bestimmte Genres stärker im Visier als in anderen. Heute ist es sicherlich eine sehr starke Fokussierung etwa auf den rechten, faschistoiden Bereich, auch in der Musik. Alles, was sich im Bereich mit Kinderpornografie oder nur eben in dem Kontext da drin bewegt, ist im Visier, auch eine bestimmte Form der Political Correctness, was Minderheiten anbelangt. Das hat zum Beispiel so in den 60er- oder 70er-Jahren überhaupt nicht so eine Rolle gespielt. Da waren eben ganz andere Themen dabei, wie 70er-Jahre etwa Drogen, 60er-Jahre Erotik und so weiter.
"Die Zensur wird im Westen anders angewendet"
Siniawski: Sind wir im vermeintlich freien Westen weniger von Zensur betroffen als Künstler in autokratischen Systemen, zum Beispiel Asien oder Afrika oder ist das eine reine Illusion?
Spiegel: Das ist bis zu einem gewissen Grad eine reine Illusion, nur wird diese Zensur – und da müsste man sich eigentlich vorab über den Begriff unterhalten – anders angewendet. Es ist ja in den westlichen Demokratien, und das war unser Schwerpunkt auch der Untersuchung, weniger eine staatliche Zensur, die ausgeübt wird, das ist eher eigentlich die Ausnahme, sondern im Sinne von so einem, ich sage mal, kommunikationstheoretischen Modell, das bestimmte Botschaften, die von Künstlern oder von Musikern, Comiczeichnern, Literaten und so weiter, Künstlern ausgesendet worden sind, dass die vorab schon gestoppt worden sind etwa von den Vertriebsfirmen, dass eine Art von Schere im Kopf auch stattgefunden hat, dass über den öffentlichen Druck dann doch eine Rücknahme von dem ursprünglichen Werk stattgefunden hat.
Der ganze Vorgang, wie Zensur ausgeübt wird, ist eher nicht von oben nach unten, also von staatlicher Seite auf die Macher der Werke, sondern sie findet in einem Diskursfeld statt, das viel komplexer ist, aber an den vielen Beispielen, die wir zusammengetragen haben – und da geht es primär um die westlichen Demokratien –, kann man sehen, dass diese Form von Zensur – es war eine ursprüngliche Botschaft da, und die wurde verändert –, dass das seit den 50er-Jahren, seitdem wir das untersucht haben, hinreichend belegbar ist.
"Wir versuchen die Fälle möglichst neutral darzustellen"
Siniawski: Wie stellen Sie auf Ihrer Plattform sicher, dass ein Fall von Zensur neutral beziehungsweise ausgewogen erfasst wird, ohne sich selbst dann auf eine Seite zu schlagen?
Spiegel: Hundertprozentig lässt sich das nicht vermeiden, aber wir als Macher dieser Seite empfinden uns schon so, dass wir versuchen, möglichst neutral die Fälle darzustellen, es sei denn, es sind wirklich Fälle, wo es uns so lächerlich und merkwürdig vorkam, dass man vielleicht den einen oder anderen Kommentar dann doch noch dazu abgegeben hat.
Siniawski: Zensurforscher Josef Spiegel über die Grenzen der Freiheit der Kunst, den Wertewandel und die aktuelle Diskussion um die Indizierung von Bushidos Album "Sonny Black". Vielen Dank Ihnen für das Gespräch!
aÄußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.