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Zensurvorwürfe
"Spiegel"-Bestseller sind nicht die meistverkauften Bücher

Der "Spiegel" hat ein von einigen als antisemitisch eingeschätztes Buch von seiner Bestsellerliste genommen. Kritiker sprechen von Zensur. Dabei darf man die Bestsellerlisten nicht mit einer Verkaufsstatistik verwechseln - sie dienen vor allem dem Marketing.

Jan Drees im Gespräch mit Stefan Fries |
    Ausschnitt der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch
    Vorige Woche stand "Finis Germania" noch auf Platz 6, diese Woche findet man das Buch gar nicht mehr in der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch. (Deutschlandradio)
    Im Juni sorgte die Entscheidung eines Literaturkritikers für größeres Aufsehen. Es ging um die "Sachbücher des Monats". Für diese Liste vergeben Kritiker Punkte, um damit auf ihrer Meinung nach besonders wertvolle Bücher hinzuweisen. Ein Jurymitglied, der damals auch für das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" arbeitete, hatte all seine Punkte dem umstrittenen Sachbuch "Finis Germania" des im vorigen Jahr verstorbenen Historikers Rolf Peter Sieferle gegeben, woraufhin es auf der Liste auftauchte. Nach Kritik daran verließ er die Jury, der NDR beschloss, die Liste vorerst nicht auf seinen Seiten zu veröffentlichen.
    Möglicherweise war es diese Empfehlung, die das Buch zum Bestseller machte. In der vorigen Woche tauchte es auf Platz 6 der "Spiegel"-Bestsellerliste Sachbuch auf - und diese Woche war es nirgendwo in den Top 20 mehr zu finden. Nachdem das Portal Übermedien darauf aufmerksam wurde, teilte der "Spiegel" mit:
    "'Finis Germania' war einmal auf der 'Spiegel'-Bestsellerliste. Die Chefredaktion des 'Spiegel' hat daraufhin beschlossen, das Buch beim nächsten Mal von der Liste zu nehmen. Sie tut dies nur in absoluten Ausnahmefällen, aber sie hält das Buch für klar antisemitisch, hat dies auch bereits öffentlich geäußert und möchte die Verbreitung nicht unterstützen."
    Übermedien kritisierte vor allem, dass das Buch klammheimlich verschwand - ohne das zu kommunizieren. Das rufe Verschwörungstheoretiker auf den Plan.
    Verlage entscheiden, auf welcher Liste ein Buch steht
    Wer die Bestsellerliste allerdings für eine reine Verkaufsstatistik hält, liegt falsch. Zum einen werden gar nicht alle Verkaufszahlen erfasst, sondern lediglich die von rund 3.700 Läden, inklusive Online-Shops und Bahnhofsbuchhandlungen. Zum anderen tauchen nicht unbedingt die meistverkauften Bücher auf. Würden nämlich alle am häufigsten verkauften Sachbücher aufgeführt, würde es nur so wimmeln von Kochbüchern, Schulbüchern, dem Duden und dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Um das auszuschließen, hat sich der Harenberg-Verlag, eine "Spiegel"-Tochter, die die Liste erstellt, ein paar Regeln gegeben.
    Hinzu kommt der Einfluss der Verlage. Sie entscheiden nämlich, ob ein Buch auf die Sachbuch- oder die Belletristik-Liste kommt. Deutschlandfunk-Literaturredakteur Jan Drees erläutert das im @mediasres-Gespräch anhand der beiden Bücher "Panikherz" von Benjamin von Stuckrad-Barre und "Die Welt im Rücken" von Thomas Melle, die von der Machart ähnlich seien; in beiden Büchern erzählten die Autoren Autobiographisches.
    Beide Bücher standen im vergangenen Jahr in den Bestsellerlisten: "Panikherz" als Sachbuch, "Die Welt im Rücken" als Belletristik. Das lag an der Entscheidung ihrer Verlage, so Drees: "Manchmal wird etwas, was ein Roman ist, als Sachbuch verkauft, weil man leichter auf die Sachbuch-Bestsellerliste kommt als auf die Belletristik-Liste."
    Es handle sich um ein Marketinginstrument - aber für beide Seiten. Denn wenn in den Buchhandlungen die Listen hingen, sei das einerseits Werbung für den "Spiegel", andererseits Werbung für die Bücher, die Buchhandlungen und die Verlage.
    Nachtrag: Am Dienstag wollte sich "Der Spiegel" dem Deutschlandfunk gegenüber nicht persönlich äußern. Die stellvertretende Chefredakteurin Susanne Beyer hat sich dazu am Abend einen Beitrag bei "Spiegel online" veröffentlicht.