Der polnische Popmusiker Kazimierz Staszewski macht gerne Lieder, in denen er Politiker durch den Kakao zieht. Diesmal hatte er es auf den derzeit mächtigsten Mann in Polen abgesehen: auf Jaroslaw Kaczynski, den Vorsitzenden der Regierungspartei PiS.
Die Hörer haben es erst am Wochenende auf Platz eins der Hörer-Hitparade gewählt, so berichten polnische Medien. Dann verschwand die Hitliste plötzlich von der Internetseite des Senders Trojka, dem dritten Programm des öffentlichen Radios in Polen.
Ein Zensurmaßnahme der Programmdirektion, darin sind sich die Kommentatoren einig. Der langjährige Moderator der Hitparade nahm aus Protest seinen Hut. Immer mehr Künstler schlossen sich einem Boykottaufruf an. Einer der bekanntesten von ihnen: der Sänger Muniek Staszczyk. Der erklärte in seinem Kanal im Internet:
"Ich drücke meine Solidarität mit Kazik aus. Ich protestiere gegen Praktiken, die mich an die schlimmsten Zeiten des Kommunismus erinnern. Deswegen bitte ich auch darum, dass meine Stücke nicht mehr im Programm des Polnischen Radios laufen, bis auf Widerruf."
Kommentatoren meinen: Keine platte Kritik
Das Lied von Kazik, wie sich Kazimierz Staszewski nennt, kritisiert ein Ereignis vom 10. April. Jaroslaw Kaczynski besuchte das Grab seines Zwillingsbruders, an dessen Todestag. Allen anderen Polen jedoch war es in jenen Wochen untersagt, die Friedhöfe zu besuchen – wegen Corona. Daher der ironische Titel des Lieds, gerichtet an Kaczynski: "Dein Schmerz ist besser als meiner."
Kommentatoren halten das Stück für musikalisch nicht unbedingt gelungen. Der Text sei es aber sehr wohl, sagt der Kulturwissenschaftler Marcin Napiorkowski:
"Regierungskritische Medien haben das Lied als drastischen Protestsong bejubelt. Und es gibt ja auch einige Musiker, die sich als Anti-Kaczynski-Künstler profilieren wollen. Aber dieses Etikett wird Kazik nicht gerecht. Seine Lieder waren immer politisch, wie auch dieses, aber eben nicht platt, sondern tiefer schürfend."
Regierungspolitiker sind uneins
Der Vorfall beschäftigt auch die Regierung. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki stellte sich hinter den Vorsitzenden seiner Partei PiS, Jaroslaw Kaczynski. Es sei dessen Pflicht gewesen, an jenem Tag den Friedhof zu besuchen. Morawiecki wies darauf hin, dass dessen Zwillingsbruder bei der Katastrophe von Smolensk ums Leben kam, also als Staatspräsident bei einem Flugzeugabsturz.
Anders sieht den Vorfall Kulturminister Piotr Glinski, ebenfalls PiS. In einem freien Land habe ein Künstler das Recht zu seiner eigenen Interpretation der Ereignisse, schrieb er auf Twitter.
Debatte um öffentliche Medien
Der Skandal rund um das öffentliche Radio wird wohl auch eine Rolle im Wahlkampf vor der Parlamentswahl in wenigen Wochen spielen. Der Kandidat der rechtsliberalen Oppositionspartei PO schimpfte auf Twitter über Zensur wie in kommunistischen Zeiten. Rafal Trzaskowski will die öffentlichen Medien ohnehin zum Wahlkampfthema machen. Bei seiner ersten Pressekonferenz als Kandidat sagte er:
"Wir werden das öffentliche Fernsehen durch ein neues ersetzen, ohne Informationskanal, ohne Nachrichten, ohne politische Redaktion. Also ohne all das, was unser öffentliches Leben heute so vergiftet. Denn leider hat die Regierungspartei PiS die öffentlichen Medien komplett diskreditiert."
Eine Forderung, die auch in der Opposition umstritten ist. Die öffentlichen Medien sollten nicht beschnitten, sondern schlicht unabhängig werden, meinen auch viele aus Trzaskowskis Lager.
Zumal Manipulation ja auch bei der Musikauswahl möglich sei, wie das Beispiel des Radiosenders Trojka zeigt. Nachdem das ganze Land tagelang über den Vorfall diskutiert hat, stellte die Direktion des Senders heute alles als Missverständnis dar. Es habe wohl eine Computerpanne gegeben, hieß es. Inzwischen ist die Hitparade wieder online. Das Stück von Kazimierz Staszewski belegt nun Platz vier - und die Hörer können wieder für das Lied abstimmen.