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Zentralasien
Anwachsender Opium-Export aus Afghanistan

Unter den Augen der internationalen Truppen hat Afghanistan seine Position als weltgrößter Drogenproduzent ausgebaut und gefestigt. Nun geht in vielen Staaten die Angst vor einer neuen Opiumschwemme um, so auch in Russland und der EU.

Von Andrea Rehmsmeier |
    Neun Jahre lang hat Grischa Heroin gespritzt, heute ist er clean. Gerade verputzt der junge Mann aus Jekaterinburg die Wände einer Kirche für ein Sozialprojekt. Doch seine Gesundheit ist zerrüttet, Frau und Kind haben ihn verlassen. Wer die Schuld daran trägt, das weiß Grischa genau.
    "Sie schicken die Drogen zu uns nach Russland – und zwar sehr gezielt. Das ist meine Meinung. Sie wollen die junge Generation in Russland zerstören. Sie verfolgen ihre eigenen Interessen. Sie wollen unsere Rohstoffe: Alle, die dort im Kriegseinsatz sind. Die Amerikaner in erster Linie, aber auch die Europäer. Und jetzt sterben bei uns schon die Kinder."
    Afghanisches Heroin als perfide Waffe des Westens im Kampf um Rohstoffe: In Russland scheint das vielen plausibel.
    Das Staatsfernsehen nährt die Verschwörungstheorie: Russlands oberster Drogenbeauftragter, Viktor Ivanov, brüstet sich auf Pressekonferenzen gerne mit erfolgreichen Drogenrazzien. Dann zeigt er Päckchen mit einer braunen Masse in die Kamera. Besonders viel Stoff beschlagnahmen die Fahnder nahe der russisch-kasachischen Grenze.
    "Jedes dieser Päckchen hier enthält 200 Gramm Heroin. Fast 500 haben wir gefunden, versteckt in einem Fünf-Tonnen-Lkw. Das reicht für fünf Millionen Dosen, dem Organisierten Verbrechen würde eine solche Menge nicht weniger als 100 Millionen Dollar einbringen. Das ist eine direkte Investition in den Kampf gegen unsere Gesellschaft."
    Seit dem Einrücken der ISAF-Truppen in Afghanistan sei die produzierte Opium-Menge um das 40-fache gestiegen. Doch der Drogenbeauftragte verschweigt, dass der Ernteausfall in dem annähernd opiumfreien Referenzjahr 2001 ein einmaliges Ereignis war: Obwohl Schlafmohn für afghanische Bauern schon in den 90er-Jahren eine wichtige Einkommensquelle war, ließen sie 2001 ihre Ernte auf den Feldern verrotten, weil die Taliban die Drogenproduktion verboten hatten. Nach dem Einmarsch der ISAF-Truppen aber kehrten sie schnell in alter Größenordnung zum Opiumanbau zurück. Ivanovs Statistik-Trick ist Teil einer Propagandastrategie, die die Schuld an Russlands immensem Drogenproblem auf die am Afghanistan-Einsatz beteiligten Staaten abzuwälzen versucht.
    "Die gewaltigen Produktionsmengen in Afghanistan sind der Nährboden für das gesamte Spektrum des Verbrechens, das wir heute in Zentralasien beobachten können. Die Grenze zwischen Russland und Kasachstan ist offen, und sie ist 7000 Kilometer lang. Wir können nichts tun, als auf unserem eigenen Territorium nach den Drogen zu fahnden – hier, in dem größten Flächenland der Erde."
    Tatsächlich können die Drogen weitgehend ungehindert von den Mohnfeldern Afghanistans in die Millionenstädte Russlands gelangen. Bis heute gibt es keine gesicherten Grenzen zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken Russland, Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan.Und nicht nur Russland hat wegen der Rekordernte 2013 Grund zur Sorge: Auch der EU-Markt, die Türkei, Iran und weitere Länder werden vor der Drogenwelle voraussichtlich nicht verschont bleiben.
    In Wien, wo die UNO ihren Sitz hat, beobachtet die Italienerin Angela Me im Auftrag des Büros für Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung den Markt für afghanisches Opium und Cannabis. Für sie muss das Drogengeschäft als komplexes System aus Angebot und Nachfrage betrachtet werden.
    "Wir sagen: In der Drogenpolitik kann man nichts erreichen, wenn man nicht beide Seiten anspricht. Ein Staat wie Russland, der ja auf die Angebotsseite keinen Einfluss hat, könnte sehr viel erreichen, wenn er im eigenen Land die Nachfrage reduzieren würde. Russland sollte sich stärker um Prävention und Gesundheitsfürsorge kümmern. Denn beim Afghanistaneinsatz war die Drogenbekämpfung ja niemals ein wichtiges Ziel. Es reicht ja auch nicht aus, Opiumfelder niederzubrennen. Man braucht eine alternative Politik - und das ist nicht die Aufgabe von Soldaten."
    Drogenküchen, Schmuggelpfade und Dealer-Quartiere, sagt Angela Me, sind in Zentralasien längst zu einem engmaschigen Produktions- und Handelsnetzwerk zusammengewachsen. Es wird getragen von Millionen Menschen, die mit wachsender Verzweiflung um ihren Lebensunterhalt kämpfen, und sich irgendwie abzusichern versuchen gegen die unvorhersehbare Zeit nach dem Truppenabzug.
    Für die USA und ihre Afghanistan-Verbündeten ist der Anstieg der Produktion die Quittung für eine Politik, die über das selbstgesteckte Ziel der Terrorbekämpfung alles andere vernachlässigt hat: die Existenzsorgen der Afghanen und den Tod Abertausender junger Drogenabhängiger auf der ganzen Welt. Es wäre an der Zeit, sagt die UNO-Expertin, auch diese Probleme endlich anzugehen.
    "Die internationale Gemeinschaft hat in Afghanistan eine Infrastruktur aufgebaut, und dadurch eine Blase erzeugt. Was passiert mit dieser Blase, wenn die Truppen das Land verlassen? Das hängt nun vor allem von der afghanischen Regierung ab. Jetzt ist die internationale Gemeinschaft in der Pflicht, diese in ihrem Kampf gegen Korruption und Drogenschmuggel zu unterstützen. Sie muss den Menschen echte Alternativen bieten zu den illegalen Wirtschaftsbranchen. Dieses Problem darf sie nicht länger ignorieren."