The ECB is ready to do whatever it takes to preserve the Euro. And believe me, it will be enough."
Es war ein durchaus gewagtes Versprechen, das Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, im Juli 2012 gab, nämlich alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten. Ein Versprechen, das den vorläufigen Höhepunkt markiert einer noch nie da gewesenen geldpolitischen Kraftanstrengung rund um den Globus.
"Alle großen Zentralbanken waren im Kampf gegen die Finanzkrise weit über das hinausgegangen, was sie noch wenige Jahre vorher für möglich gehalten hätten. Die EZB hatte Anleihen der von der Schuldenkrise heimgesuchten Staaten der Eurozone aufgekauft, womit sie gegen den Geist ihres Gründungsvertrags verstoßen hatte. Die Federal Reserve hatte Investmentbanken und Versicherungsgesellschaften gerettet und hielt den Leitzins seit mittlerweile vier Jahren nahe null. Die Bank of England hatte sich wie die EZB sehr weit auf politisches Terrain vorgewagt und wie die Fed große Risiken in ihre Bücher genommen."
Der amerikanische Journalist und Kolumnist Neil Irwin, der seit 2007 für die Washington Post die US-Notenbank Fed beobachtet, zeichnet in seinem Buch die Finanz- und Schuldenkrise nach. Er konzentriert sich dabei auf die drei Männer, die plötzlich in stürmischen Zeiten in einem Boot saßen: den Chef der amerikanischen Notenbank Ben Bernanke, den ehemaligen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet und den Briten Mervyn King, der jahrelang an der Spitze der Bank of England stand. Drei Männer, die geschlossen vorgingen gegen die Verwerfungen auf den Finanzmärkten und wie moderne Alchemisten gemeinsam eine "Mauer aus Geld" errichteten, wie Irwin schreibt. Nur, dass für das Anwerfen der Notenpresse kein Zauberpulver nötig war, wie der Autor im amerikanischen Rundfunk erläuterte:
"Es läuft über die Finanzmärkte. Ich war tatsächlich mal in dem Raum, wo ein paar Mitarbeiter der New Yorker Zentralbank an Computern sitzen und dann sagen die: OK, unser Plan ist heute, Anleihen zu kaufen im Umfang von zwei Milliarden Dollar. Und dann nehmen sie Angebote von Händlern der großen Geschäftsbanken entgegen. Es werden ein paar Tasten gedrückt. Und so entstehen aus dem Nichts zwei Milliarden Dollar, die dann in den Bilanzen der Banken auftauchen, während die Anleihen in den Büchern der New Yorker Zentralbank stehen."
Es ist diese Fähigkeit des Gelddruckens, die den Zentralbanken vorbehalten ist und sie mit einer - so Irwin - "fantastischen" Macht ausstattet. Und das nicht nur in Zeiten größter Not. Der Autor beschreibt anhand vieler Anekdoten und historischer Zitate den Aufstieg der Zentralbank-Alchemisten vom 17. Jahrhundert bis heute.
"Die Demokratien gestehen diesen geheimnistuerischen Technokraten die Kontrolle über die Volkswirtschaft zu und verlangen als Gegenleistung lediglich eine stabile Währung und dauerhaften Wohlstand. Von den Zentralbanken hängt es ab, ob die Menschen Arbeit finden und ob ihre Ersparnisse sicher sind – und letzten Endes, ob ihre Nation gedeiht oder scheitert."
Eine Machtfülle, die mit der ultralockeren Geldpolitik der letzten Jahre zugenommen hat. Vor allem Jean-Claude Trichet, dem Irwin in Kapitel 16 kurzerhand den Titel "Präsident von Europa" verleiht, wandelt sich – als die Finanzkrise von der Euro-Schuldenkrise abgelöst wird – immer mehr zu einem Puppenspieler, der nicht nur die Regierungen der südeuropäischen Krisenkandidaten nach seiner Pfeife tanzen lässt, sondern auch die politische Führungselite in Brüssel.
"Die EZB würde aufhören, Staatsanleihen Irlands und Portugals zu kaufen. Trichet kannte das Muster: Die gewählten Führungen waren nur unter dem Druck der Märkte bereit, gemeinsam zu handeln. Also würde sich die EZB zurücklehnen und es den Märkten überlassen, ihre Arbeit zu machen – so schmerzhaft das für die betroffenen Länder sein mochte."
Während die politischen Entscheidungsträger in Europa aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage an die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit stoßen und am Ende zu Getriebenen der Märkte werden, wird die Europäische Zentralbank immer mächtiger, aber nicht unbedingt demokratischer und transparenter. Eine Entwicklung, die der US-Journalist mit Sorge betrachtet:
"Die Fed mag zum Teil undemokratisch sein, aber das trifft noch stärker auf die EZB in Frankfurt zu, die geführt wird von ernannten Spitzenbeamten, die Demokratien in Griechenland, Portugal, Spanien und Irland regelrecht diktieren, was sie tun sollen. Das ist eine problematische Umkehr der Machtverhältnisse zwischen Regierungen und Zentralbanken."
Gerade vor dem Hintergrund der Machtverschiebungen liest sich Irwins Buch wie ein Kriminalroman, zum Beispiel die Passage über den legendären Strandspaziergang in Deauville, als Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy eine weitreichende Entscheidung trafen über die Beteiligung privater Gläubiger an den Rettungspaketen, von der nicht nur die parallel tagenden Finanzminister in Luxemburg überrascht wurden, sondern auch EZB-Präsident Trichet. Neil Irwin beeindruckt nicht nur durch eine plastische und unterhaltsame Erzählweise, sondern auch durch umfassendes Insiderwissen. Eine abschließende Bilanz der Arbeit der drei Notenbanker, von denen nur noch Bernanke im Amt ist, und das auch nur wenige Monate, bleibt Irwin allerdings schuldig.
Überhaupt hält sich der Buchautor mit Urteilen und Analysen weitgehend zurück, lässt aber durchblicken, dass zumindest Bernanke und Trichet wahre Glücksfälle waren in den Stunden, in denen beherztes Krisenmanagement gefragt war. "Die Alchemisten" ist eine wertvolle Dokumentation der ereignisreichen Monate, zwischen 2007 und 2012, in denen die Geldschleusen bis zum Anschlag geöffnet wurden.
Und sie schreit nach einer Fortsetzung mit neuen Alchemisten, die vor der nicht weniger großen Herausforderung stehen, diese wieder zu schließen.