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Zentrum für verfolgte Künste
Bundesweiter Erinnerungsort

In Solingen wird das Zentrum für verfolgte Künste eröffnet. Direktor Rolf Jessewitsch wünscht sich, dass diese Einrichtung zu einem bundesweiten Erinnerungsort wird, der verfolgten Künstlern und ihren verbotenen Werken gewidmet ist.

Rolf Jessewitsch im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 03.12.2015
    Museumsleiter Rolf Jessewitsch steht am 16.12.2013 im Kunstmuseum in Solingen (Nordrhein-Westfalen) vor dem Kunstwerk "Israelische Schauspielerin" von Eric Isenburger.
    Rolf Jessewitsch, Direktor des Zentrums für verfolgte Künste. (dpa / picture-alliance / Jan-Philipp Strobel)
    Maja Ellmenreich: Aufatmen bei der Forschungsstelle für entartete Kunst in Berlin. Nachdem bereits die Schließung drohte, weil die finanzielle Förderung auslief, hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters angekündigt, der Bund stellt die Fortführung der Forschungsstelle sicher. Wir haben in "Kultur heute" darüber berichtet. Dieses Engagement wollte die Kulturstaatsministerin verstanden wissen als ein deutliches Signal dafür, dass Deutschland seiner Verantwortung für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Kunstpolitik gerecht werden und auch werden müsse.
    Mit einer Million Euro unterstützt der Bund auch eine Einrichtung, die am kommenden Dienstag in Solingen eröffnet wird: das Zentrum für verfolgte Künste. In der Ankündigung heißt es, dieses Zentrum sei Europas erste Institution, die ihre Arbeit auf Grundlage der vorhandenen Sammlungen ausschließlich verfolgten Künstlern und ihren verbotenen Werken widme. Frage an den Direktor, an Dr. Rolf Jessewitsch: Das Zentrum soll ein Erinnerungsort sein. Haben Sie das Wort Museum ganz bewusst vermieden?
    Rolf Jessewitsch: Nein. Wir haben auch eine Ortsangabe gemacht. Es heißt "Zentrum für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen" und der Museumsbegriff ist mir sehr wichtig dabei, weil ein Museum sammelt und wir sammeln diese Sachzeugen. Es bewahrt sie auf, wir dokumentieren das, wir erforschen das und vermitteln. Das sind die klassischen Museumsaufgaben und die sind ganz wichtig.
    Ellmenreich: Die vorhandenen Sammlungen gelten der Literatur und der bildenden Kunst. Lassen Sie die verfolgten Komponisten, die Schauspieler, die Musiker außen vor, oder kommen die auch noch eines Tages bei Ihnen zu ihrem Recht?
    Jessewitsch: Die kamen schon zum Recht und kommen weiterhin zu ihrem Recht. Es ist so, dass wir die Sammlungen haben zur verfolgten Literatur und zur verfolgten Kunst, aber wir haben schon zum Beispiel ein Musikfestival gemacht über mehrere Wochen, "Verwehte Töne", und haben uns da ausgiebig diesem Thema gewidmet. Es besteht Kontakt zu Albert Dümling, der die Ausstellung zur entarteten Musik - diese Ausstellung gab es ja 1938 - gemacht hat, und die werden wir auch übernehmen. Und wir haben auch jetzt ein nächstes Festival in Vorbereitung zu Film und Theater. Darum kümmern wir uns. Aber ich muss sagen, jetzt kümmern wir uns nicht nur um die bestehenden Sammlungen, sondern wir beziehen in die Sammlungen immer auch Künstler ein von Kooperationspartnern aus dem Ausland und auch junge Künstler. Das ist auch mit drin.
    Ellmenreich: Unter der Überschrift "Verfolgung" stehen bei Ihnen ja die Jahre 1933 bis 1945 und die Zeit der DDR. Werfen Sie da nicht politische Systeme beziehungsweise Verfolgungsapparate in einen Topf, die vielleicht nicht unbedingt verglichen werden können miteinander?
    Ausstellungsverbote für Künstler
    Jessewitsch: Nein, wir setzen sie auch nicht gleich. Sehen Sie, wir haben eine andere Perspektive und dadurch vermeiden wir das, weil wir haben eine Opferperspektive. Wenn man die Tätergeschichte schreibt, dann gerät man vielleicht da in Versuchung, das gleichzusetzen. Das tun wir nicht. Es waren sicherlich ganz unterschiedliche Systeme, da haben Sie Recht. Wir gehen von den Künstlern, von den Schriftstellern aus und sehen, was ist ihnen passiert, und da gibt es natürlich unterschiedliche Handlungsweisen. Künstlern im Nationalsozialismus, denen wurde die Arbeit verboten, sie wurden inhaftiert, sie wurden ermordet, ins Exil getrieben, aber in der DDR gab es auch Ausstellungsverbote, man hat Personen ihres Amtes enthoben, wenn sie nicht willfährig waren, und manche sind auch ins Exil getrieben worden.
    Ellmenreich: Sie haben jetzt gerade schon die Möglichkeiten der Verfolgung aufgezählt. Die persönlichen Schicksale der Künstler, die stehen außer Frage. Wie gehen Sie mit der künstlerischen Qualität um, denn verfolgt heißt ja nicht immer zwangsläufig auch künstlerisch gut?
    Jessewitsch: Ja, das ist richtig. Da haben wir auch einen Teil unserer Bilder, das nennen wir "Zeitdokumente von Künstlern". Aber eins muss ich Ihnen sagen, weil Sie haben natürlich vollkommen Recht, dass das Niveau unterschiedlich ist. Nur: Viele der Künstler, die wir ausstellen, die waren schon in Museen vertreten, die hatten internationale Ausstellungen. Vielleicht ganz kurz zwei Beispiele: Die Zeitschriften in den 20er-Jahren schrieben, dass Milly Steger die bedeutendste deutsche Bildhauerin ist. Sie war in den Lexika von Friedenstal und Knaus Lexikon, stand da neben Barlach und Lehmbruck für deutsche Bildhauerei. Dann hat man angeordnet, dass man sie da rausnimmt, damit sie vergessen wird. Das funktioniert noch heute und das war sicherlich keine schlechte Qualität. Oder beispielsweise Oskar Zügel, der mit Picasso befreundet war, mit Braque, mit Léger, der mit diesen zusammen ausstellte, die ihn zur Ausstellung einluden und der heute vergessen ist. Sie sehen: Es sind natürlich solche hervorragenden Künstler dabei. Aber es sind natürlich auch Künstler dabei, die nur in ihrer Region eine Rolle gespielt haben.
    Ellmenreich: Das war Rolf Jessewitsch vom Zentrum für verfolgte Künste, das nächste Woche in Solingen eröffnet wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.