"Das ist 'ne regelrechte kleine Residenz gewesen. Dort ist der Marstall. Der war noch einigermaßen intakt, aber der ist dann ... - dadurch dass das Dach abgedeckt wurde, weil sie Ziegel brauchten nach '45, haben wir jetzt den Zustand in dem er sich jetzt befindet. Dahinten ist noch das Teehäusschen. Das ist jetzt durch Bäume verdeckt. So. Und dann hatten wir hier die Orangerie, das ist auch ein Prachtbau gewesen. Der ist auch da in Richtung – zum Teich hin – das war ja die Reithalle."
Joachim Dorn, 85, und Gudrun Kirchner, 79, stehen vor dem Ostflügel des Schlosses – und blicken über den Park. Er ist heute extra aus Berlin angereist, sie lebte immer in Zerbst.
Joachim Dorn, 85, und Gudrun Kirchner, 79, stehen vor dem Ostflügel des Schlosses – und blicken über den Park. Er ist heute extra aus Berlin angereist, sie lebte immer in Zerbst.
Geboren und aufgewachsen sind sie hier beide. Und beide können sich noch genau an die Bombardierung von Zerbst und der Schlossanlage am 16. April 1945 erinnern.
Er: "Da hörten wir dann die Geräusche der Flugzeuge, und man muss sich vorstellen ... Ich bin damals in den Keller gegangen ... da war die Umgebung noch intakt. Und wir haben uns also draußen wiedergefunden, in einer völlig veränderten Gegend. Und wir waren völlig ungeschützt. Wie wir da überhaupt aus dem Inferno rausgekommen sind? Keine Ahnung."
Er: "Da hörten wir dann die Geräusche der Flugzeuge, und man muss sich vorstellen ... Ich bin damals in den Keller gegangen ... da war die Umgebung noch intakt. Und wir haben uns also draußen wiedergefunden, in einer völlig veränderten Gegend. Und wir waren völlig ungeschützt. Wie wir da überhaupt aus dem Inferno rausgekommen sind? Keine Ahnung."
Sie: "Wir haben das von unserem Garten aus gesehen diese ... - das war so ein Wetter wie heute, wunderschöner Sonnenschein, und die Flammen, die kamen aus den Dächern, bei helllichtem Tage, bei bestem Sonnenschein."
Es verbrannten: Bestände des Staats- und des Stadtarchivs, Ausstellungsgegenstände des Schlossmuseums. Nichts Originales blieb erhalten. 1948 wies der damalige Oberbürgermeister die Sprengung großer Teile des Schloss-Areals an. Stehen blieb: der marode Ostflügel. Dessen – und der gesamten Historie der fürstlichen Anlage – nimmt sich schon als Kind und zu DDR-Zeiten der Zerbster Dirk Hermann an. Er suchte nach Dokumenten und Unterlagen, schreibt ein Buch zur Schlossgeschichte:
"Zu Beginn meiner Beschäftigung mit dem Haus war mir noch nicht klar, welche Bedeutung es ursprünglich hatte oder wie viele Europäer hier eigentlich beteiligt waren. Das sind Erkenntnisse, die ich erst nach 1990 gewonnen habe, als die Archive offen standen für solche Recherchen beziehungsweise als ich die Zeit hatte, mich damit intensiv zu befassen. Aber damals hat mich einfach nur dieser jämmerliche Zustand abgestoßen und ich war halt enttäuscht und bekümmert dass man dieses Objekt nicht erhält."
"Zu Beginn meiner Beschäftigung mit dem Haus war mir noch nicht klar, welche Bedeutung es ursprünglich hatte oder wie viele Europäer hier eigentlich beteiligt waren. Das sind Erkenntnisse, die ich erst nach 1990 gewonnen habe, als die Archive offen standen für solche Recherchen beziehungsweise als ich die Zeit hatte, mich damit intensiv zu befassen. Aber damals hat mich einfach nur dieser jämmerliche Zustand abgestoßen und ich war halt enttäuscht und bekümmert dass man dieses Objekt nicht erhält."
2003 wird ein Förderverein gegründet
Um es eben doch zu erhalten, wird 2003 ein Förderverein gegründet. Geld muss her, Fördermittelanträge werden verfasst, es braucht sachkundige Beratung – und zu Beginn vor allem körperlichen Einsatz. Zu den Vereinsmitgliedern stoßen freiwillige Zerbster hinzu, erinnert sich Gudrun Kirchner:
"Türen, Fenster das war ja alles offen, wir konnten ja in den Himmel gucken, die Decken waren alle nicht da. Berge von Schutt und Dreck. Und dann haben wir hier jedes Wochenende geschippt und getan und jeder hat Eimer und Schippen mitgebracht. War ja nix da kein Handwerkszeug. Und mit diesem Raum haben wir angefangen. "Raum für Raum, bis in die oberen Etagen."
"Türen, Fenster das war ja alles offen, wir konnten ja in den Himmel gucken, die Decken waren alle nicht da. Berge von Schutt und Dreck. Und dann haben wir hier jedes Wochenende geschippt und getan und jeder hat Eimer und Schippen mitgebracht. War ja nix da kein Handwerkszeug. Und mit diesem Raum haben wir angefangen. "Raum für Raum, bis in die oberen Etagen."
Die Schloss-Liebhaber wollen den Erhalt des noch übriggebliebenen und denkmalgeschützten Ostflügels sowie eines Teil des noch vorhandenen Haupttraktes. Und sie wollten für die jungen und älteren Besucher rekonstruieren, wie es innen ausgesehen hat.
Decken werden eingezogen, Dächer aufgebracht. Der Aufwand ist enorm. Ein Beispiel für das Innere: das Zedernkabinett. Einst von der Mutter Katharinas der II., der Fürstin Johanna Elisabeth, als Schreibkabinett für ihre tägliche Korrespondenz genutzt:
"Und sie hat diesen Raum teilweise auch als Frühstücksraum genutzt, das heißt sie hat hier Tee, Kaffee, Schokolade genossen, die Luxusgetränke des 18. Jahrhunderts, weil dieser relativ kleine Raum drei Fenster hatte. Und die lagen nach Süd-Osten beziehungsweise liegen heute noch im Süd-Osten. Und wenn die Sonne scheint, ist es der wärmste Raum, den ihr Appartement zu bieten hat, und deswegen hat sie ihn sich absichtlich ausgesucht als Frühstücksraum."
"Und sie hat diesen Raum teilweise auch als Frühstücksraum genutzt, das heißt sie hat hier Tee, Kaffee, Schokolade genossen, die Luxusgetränke des 18. Jahrhunderts, weil dieser relativ kleine Raum drei Fenster hatte. Und die lagen nach Süd-Osten beziehungsweise liegen heute noch im Süd-Osten. Und wenn die Sonne scheint, ist es der wärmste Raum, den ihr Appartement zu bieten hat, und deswegen hat sie ihn sich absichtlich ausgesucht als Frühstücksraum."
Eine bewachsene Öffnung führte zum Zedernkabinett
Dirk Herrmann, der Förderverein-Vorsitzende, zeigt ein Foto:
"Man sieht nur noch eine Kaminplatte und eine bewachsene Öffnung einer Tür. Und das ist alles was vom Zedernkabinett übrig war. Und wir haben halt versucht, anhand historischer Bilder, das Zedernkabinett zu visualisieren, und in seiner ursprünglichen Lage und Größe dem Besucher heute anschaulich zu vermitteln, wie es tatsächlich aussah."
"Man sieht nur noch eine Kaminplatte und eine bewachsene Öffnung einer Tür. Und das ist alles was vom Zedernkabinett übrig war. Und wir haben halt versucht, anhand historischer Bilder, das Zedernkabinett zu visualisieren, und in seiner ursprünglichen Lage und Größe dem Besucher heute anschaulich zu vermitteln, wie es tatsächlich aussah."
Heute sieht man den Wandschrank mit japanischem Porzellan, den Kamin, und die Türen als Eins-zu-eins-Bilder, nachkoloriert, um die Maserung des Zedernholzes sichtbar zu machen, auf Folie gedruckt und an den Wänden angebracht. Dauer der Rekonstruktion: gut anderthalb Jahre. Alle Vereinsmitglieder arbeiten ehrenamtlich.
"Wir gehen jetzt vom Vorzimmer ins Schlafzimmer, ins Schlafzimmer der Fürstin, der Mutter Katharinas der II. von Russland, Fürstin Johanna Elisabeth. Und das Schlafzimmer war im Jahre 2011 als solches nicht mehr fassbar, weil man vom Erdgeschoss einfach in den Himmel gucken konnte. Das heißt hier gab es: Nichts. Nur noch die Umfassungsmauern."
Auch das fürstliche Schlafzimmer wird rekonstruiert:
"Nach einem Jahr Arbeit entstand ein Rokoko-Bett, nach dem alten Inventar des 18. Jahrhunderts, das haben wir zusammen mit dem VHS Bildungswerk nachgebaut. Das heißt, ich habe Zeichnungen gemacht, habe Parallelen gesucht, weil das alte Bett ist fotografisch nicht dokumentiert."
"Wir gehen jetzt vom Vorzimmer ins Schlafzimmer, ins Schlafzimmer der Fürstin, der Mutter Katharinas der II. von Russland, Fürstin Johanna Elisabeth. Und das Schlafzimmer war im Jahre 2011 als solches nicht mehr fassbar, weil man vom Erdgeschoss einfach in den Himmel gucken konnte. Das heißt hier gab es: Nichts. Nur noch die Umfassungsmauern."
Auch das fürstliche Schlafzimmer wird rekonstruiert:
"Nach einem Jahr Arbeit entstand ein Rokoko-Bett, nach dem alten Inventar des 18. Jahrhunderts, das haben wir zusammen mit dem VHS Bildungswerk nachgebaut. Das heißt, ich habe Zeichnungen gemacht, habe Parallelen gesucht, weil das alte Bett ist fotografisch nicht dokumentiert."
Jetzt thront im Raum: ein französisches Bett, mit grünen Damast-Vorhängen und goldenen Tressen. So ist es, sagt Dirk Herrmann, im Inventarverzeichnis von 1797 beschrieben. Den Stoff und die Tressen besorgen die Schloss-Liebhaber aus Italien. Dirk Herrmann läuft weiter durch das riesige Gebäude.
Um 1750 ließen die Zerbster Fürsten in Brüssel Tapisserien herstellen, eine Auftragsarbeit für das zweite fürstliche Vorzimmer. Thema: der Triumph der Göttinnen und Götter. Bis 1943 hingen die kostbaren Bildteppiche im Schloss – dann lagerte man sie aus, in einen Kali-Schacht bei Stassfurt.
"Die sind dann aber von der Trophäen-Kommission der Sowjetarmee dort entdeckt worden und waren dann im Herbst 1945 im damaligen Leningrad. 1958 kehrten die Stücke dann zurück, allerdings nach Berlin. Man wusste nicht mehr, wo sie hingehören, es gab auch niemanden, der irgendwelche Ansprüche stellte – und erst im Rahmen meiner Forschungen habe ich diese Objekte im Deutschen Historischen Museum im Depot, 1994 war das bereits, entdecken können. Und jetzt zeigen wir die Objekte als Nachdruck in Originalgröße hier im Zerbster Schloss."
"Wir haben das Problem, dass wir nicht Weltkulturerbe sind"
Die Arbeit hier ist endlos. Und man fragt sich, je länger man sich durch die Räume bewegt, ob das Projekt Wiederaufbau nicht vielleicht doch ein wenig zu groß ist für den Verein. Dirk Herrmann ist berufstätig und zusätzlich in der Saison von Frühling bis Herbst circa 30 Stunden pro Woche für sein Schloss im Einsatz. Er sagt, dass er sich mehr Unterstützung vom Land wünscht:
"Wir haben das Problem in Sachsen-Anhalt, dass wir nicht Weltkulturerbe sind. Und wir liegen nicht im Harz, was die besondere Region für den Tourismus ist laut dem Land Sachsen Anhalt. Und das macht es halt sehr schwierig."
"Wir haben das Problem in Sachsen-Anhalt, dass wir nicht Weltkulturerbe sind. Und wir liegen nicht im Harz, was die besondere Region für den Tourismus ist laut dem Land Sachsen Anhalt. Und das macht es halt sehr schwierig."
Petra Fruth bietet in Zerbst Stadtführungen an, gut 20 im Jahr. Und sie stammt selbst aus Zerbst:
"Man kann sagen dass auch jedes Jahr die Zerbster, ein Großteil der Zerbster, wenn es auch umstritten ist, darauf wartet, dass was Neues im Schloss passiert ist. Ob ein neues Zimmer fertig ist, wie das Zedernzimmer."
"Man kann sagen dass auch jedes Jahr die Zerbster, ein Großteil der Zerbster, wenn es auch umstritten ist, darauf wartet, dass was Neues im Schloss passiert ist. Ob ein neues Zimmer fertig ist, wie das Zedernzimmer."
Für Joachim Dorn und Gudrun Kirchner, die beiden Zerbster Zeitzeugen vom Anfang, ist der Anblick der Ruine jedes Mal wieder neu schmerzhaft:
"Wenn ich jetzt in dem alten Zerbst bin, dann hab' ich so zwei Gesichter. Einmal sehe ich, was jetzt da steht, und dann das alte Bild. Das ist wahrscheinlich auch ein Trauma, das man wahrscheinlich nie verliert, diese ...- ja das ist nun vorbei, man muss sich eben damit abfinden. Aber schlimm genug ist es schon, die Sinnlosigkeit zu sehen."
"Wenn ich jetzt in dem alten Zerbst bin, dann hab' ich so zwei Gesichter. Einmal sehe ich, was jetzt da steht, und dann das alte Bild. Das ist wahrscheinlich auch ein Trauma, das man wahrscheinlich nie verliert, diese ...- ja das ist nun vorbei, man muss sich eben damit abfinden. Aber schlimm genug ist es schon, die Sinnlosigkeit zu sehen."
"Ja, das geht mir heute noch so, wenn ich die Sirenengeräusch höre, dann kriege ich 'ne Gänsehaut am ganzen Körper. Ich bin nicht fähig, auch nur einen Schritt zu tun. Das ist so in Erinnerung, diese Geräusche dieser Sirenen vor den Angriffen – das mich das heute noch bewegt. Ich komme da heute noch nicht mit klar."