Singen, Landkreis Konstanz: Dort hat der umstrittene baden-württembergische Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon seinen Wahlkreissitz. Doch genau dort weiß man wenig über den grauhaarigen, hager daher kommenden Mann im Trachtenjanker.
"Herr Gedeon? Ich weiß nichts über Herrn Gedeon."
"Für mich ist die AfD kein Thema. Deshalb setze ich mich auch nicht mit ihnen auseinander."
"Ach Du liebe Güte, ist mir unbekannt, vielleicht weil er für mich so unwichtig ist. Alles was mit Antisemitismus und AfD zusammenhängt, lehne ich ganz strikt ab."
"Ich weiß nur, dass er Arzt ist, dass er aus Singen kommt und dass er antisemitisch war."
Mit diesen Vorwürfen sieht sich der 70-jährige Wolfgang Gedeon seit Wochen konfrontiert – und sie kommen nicht von ungefähr: Die Aufarbeitung des Holocausts bezeichnete er in seinen Schriften als Kampagne eines "Wahrheitsministerium im orwellschen Sinn". Das Judentum sei der innere und der Islam der äußere Feind des christlichen Abendlandes. Holocost-Leugner setzte Gedeon, Autor mehrer Bücher, mit verfolgten Dissidenten gleich. All das führte in den vergangenen Wochen zu großer Empörung weit über Baden-Württemberg hinaus – und daran änderte auch eine Stellungnahme Wolfgang Gedeons im Stuttgarter Landtag nichts – im Gegenteil: Damit goss er erst Recht Öl ins Feuer der Kritik.
"Hüten wir uns davor, den Begriff Antisemitismus inflationär zu gebrauchen. Hüten wir uns davor, ihn damit zu verschleißen, denn wir brauchen ihn noch. Wir haben die Situation, dass gerade heute ein neuer Antisemitismus nicht zuletzt über die muslimische Zuwanderung in unsere Gesellschaft eindringt."
Folge: Heftige Kritik nicht nur an Gedeon selbst, sondern auf an der gesamten AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag. Fraktionschef Jörg Meuthen, den viele auch das bürgerliche Gesicht der Südwest-AfD nennen, sah sich gezwungen, zu reagieren:
"Wir dulden keinen Antisemitismus in unseren Reihen. Wenn die Fraktion mit darin folgt, und ich bin zuversichtlich, dass sie das tut, wird Wolfgang Gedeon aus unserer Fraktion ausgeschlossen. Wenn sie das nicht tut, ziehe ich die Konsequenz, zurückzutreten."
AfD-Fraktion im Landtag berät über Ausschluss
Im Klartext meint der Fraktionschef damit: Er oder ich – Gedeon oder Meuthen. Sollten die 23 AfD-Abgeordneten auf ihrer Fraktionssitzung heute Vormittag nicht mit der dafür notwendigen Zweidrittelmehrheit Gedeons Ausschluss beschließen, will Meuthen als Fraktionschef zurücktreten. Aber: Sicher ist diese Zweidrittelmehrheit nicht. Bei seiner Rechtfertigungsrede im Landtag bekam Gedeon jedenfalls von zahlreichen seiner Fraktionskollegen anhaltenden Applaus. Und die, die nicht applaudierten, verweisen gerne darauf, dass sie von Gedeons anstößigen und antisemitischen Texten regelrecht überfahren worden seien: Kein Sterbenswörtchen habe man davon vor der Landtagswahl gekannt. Das allerdings findet Jörg Braun unglaubwürdig. Er ist Lokalredakteur der Tageszeitung "Südkurier" an Gedeons Wahlkreissitz Singen.
"Das war natürlich keine Geheimsache. Wir hatten vor der Wahl einige Passagen aus seinen Büchern veröffentlicht, wo genau diese Sachen schon drin standen."
Will heißen: Wer über Gedeon und seine Äußerungen Bescheid wissen wollte, brauchte nur Zeitung lesen. Ansonsten allerdings, so Jörg Braun, sei Wolfgang Gedeon im Landtagswahlkampf eher damit aufgefallen, gerade nicht auffallen zu wollen.
"Vor seiner Nominierung für den Landtag ist er in keiner Weise aufgetreten politisch hierin der Region."
Heute allerdings wird der AfD-Landtagsabgeordnete aus Singen, ob er will oder nicht, im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen. Ab 11 Uhr berät die AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag über seinen Ausschluss. Am frühen Nachmittag soll ein Ergebnis bekannt gegeben werden. Immerhin hat der AfD-Landesvorstand bereits am Wochenende, wie es hieß, "gravierende Schritte gegen Gedeon bis hin zum Parteiausschluss" beschlossen.