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Ziehen Rechtsparteien in die Länderparlamente Sachsens und Brandenburgs ein?

Stefan Heinlein: Ein Gespenst geht um in den neuen Ländern, verschreckt waren die Volksparteien vor der braunen Gefahr, doch allen Appellen zum Trotz - sowohl in Sachsen als auch in Brandenburg stehen die Rechtsparteien vor dem Einzug in die Landtage. Laut Umfragen liegt die NPD in Sachsen zwischen sieben und neun Prozent, die DVU kann in Brandenburg auf sechs Prozent der Stimmen hoffen. Einfache Parolen für die Enttäuschten, Schnauze voll, Quittung für die Bonzen - die Protestwahl wird gesellschaftsfähig in den neuen Ländern. Der braune Sumpf ist offensichtlich tiefer geworden. Fast hilflos die Warnungen vor einem Investitionsschock für den Osten nach dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens regiert die Ratlosigkeit in Berlin. Warum das so ist, darüber will ich jetzt reden mit dem Politikwissenschaftler Professor Werner Patzelt von der TU Dresden. Wie braun ist der Osten, Herr Patzelt?

Moderation: Stefan Heinlein |
    Werner Patzelt: Es ist der Osten durchaus ein stückweit brauner als der Westen, wie es auf den ersten Blick scheinen will. Man muss sehen, dass sich eben in Ostdeutschland seit der Wiedervereinigung eine gewisse rechte Szene entfaltet hat, dazu trug auch das Fortwirken von autoritären Mustern in der DDR bei. Nachdem der wirtschaftliche Umbau in den neuen Bundesländern auch nicht ohne Reibungen abgelaufen ist, breitete sich im Osten auch große Enttäuschung aus, und wer seine Enttäuschung artikulieren will und findet, dass im Bund die SPD, im Land die CDU regiert, wo soll der dann seinen Protest ausdrücken, wenn nicht am rechten Lager?

    Heinlein: Ist es im Osten mittlerweile auch eine Art Gesellschaftsfähigkeit geworden, sich offen als Rechtswähler zu bekennen, ist das kein Tabubruch mehr, unterscheidet dies auch die Situation vom Westen?

    Patzelt: Es ist tatsächlich so, dass in den neuen Bundesländern die NPD, auch die DVU, als eine Partei wie im Grunde jede andere gilt. Dazu mag auch beigetragen haben, dass die im Westen strikt durchgesetzte Trennung zwischen Parteien, die voll auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und solchen, die radikal und extrem sind aufgrund der Popularität der PDS sich nie so richtig durchgesetzt hat, so dass das Protestpotential mit gewisser Selbstverständlichkeit entweder am linken oder am rechten Rand protestiert.

    Heinlein: Welche Rolle spielt denn das klägliche Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens für den Aufschwung der rechten Parteien, gibt es dort einen Zusammenhang?

    Patzelt: Wir haben darüber keine demoskopischen Befunde, was aus Alltagsgesprächen zu rekonstruieren ist, läuft darauf hinaus, dass das Scheitern des NPD-Verbotes doch bewiesen habe, die NPD sei eine ganz normale Partei, was natürlich so nicht stimmt, aber in einer bestimmten geistigen Schlichtheit von vielen Menschen so gesehen wird.

    Heinlein: Gibt es so ein Gefühl, so eine Art "Ich wähle NPD, das ist ja nicht verboten"?

    Patzelt: In der Tat, außerdem plakatiert die NPD "Wahltag ist Zahltag", und es ist noch gut der Satz von Gysi im Ohr: in der Wahlzelle würde einem niemand über die Schulter schauen, folglich könne man sein Kreuz wirklich machen, wo man es denn hinsetzen wolle.

    Heinlein: Wer macht denn sein Kreuz bei den Rechten, gibt es da einen bestimmten Typus, kann man das darstellen?

    Patzelt: Umfragen und Wähleranalysen zeigen, dass es insbesondere junge Arbeiter mit mittlerem Bildungsstand sind, teils in Arbeit, teils arbeitslos. Männlich, jung und unterschichtig sind wohl die wichtigsten Elemente des Wählens rechter Parteien.

    Heinlein: Hartz IV und die Unzufriedenheit mit den Reformen, das wird ja häufig als Grund genannt für die Popularität der rechten und linken Parteien. Ist das tatsächlich ein zusätzlicher Nährboden für das rechte Gedankengut?

    Patzelt: In der Tat, an die sehr populäre Anti-Hartz-IV-Kampagne haben sich die Rechten angehängt. Hier wird sozusagen Sturm geerntet, wo seit langem Wind gesät wurde. Es ist ja seit der Wiedervereinigung so, dass im Osten die Sichtweise gehegt und gepflegt wurde, im Grunde laufe alles mit dem wirtschaftlichen Umbau falsch, soziale Gerechtigkeit sei im Osten nichts, worum sich die etablierten Parteien kümmerten und dieses Argumentationsmuster, das bislang eine Domäne der PDS und vor ihrer Regierungsbeteiligung auch der SPD gewesen ist, hat sich nun auch das rechte Lager zueigen gemacht, und weil es unter der Bevölkerung ein weit verbreitetes ist, mit dem jetzt leider festzustellenden Erfolg.

    Heinlein: Ist vor diesem Hintergrund die Stimme für NPD oder DVU einfach nur Protest oder glaubt man wirklich, die Rechtsparteien seien in der Lage, besser als die etablierten Parteien die Lage im Osten in den Griff zu bekommen?

    Patzelt: Das erstere ist der Fall. Denn Vertrauen an die Problemlösungskompetenz von Parteien hat ein Großteil der Ostdeutschen verloren, im Übrigen kokettieren gar nicht wenige damit, dass im Grunde man ohnehin jede Partei wählen könne, keine könne die Probleme lösen, warum solle man es dann nicht mit einer bislang sozusagen unbelasteten Partei versuchen und genau hier zeigt sich die Unaufgeklärtheit eines Großteils der Bevölkerung, dass die NPD, dass überhaupt eine rechte Partei in Deutschland niemals unbelastet sein kann, will einfach in viele Köpfe nicht hinein.

    Heinlein: Fehlt es im Osten auch an über Generationen gewachsenen Parteibindungen, wie es ja in manchen Milieus hier im Westen der Fall ist?

    Patzelt: In der Tat beobachten wir das seit der Wiedervereinigung. Es gibt nur eine einzige Partei mit einer klaren Wähler- und Milieubindung, das ist die PDS, sie ist deswegen auch sehr stabil und profitiert zeitweise dann vom Protestpotential dadurch, dass sie nach oben geht. Alle anderen Parteien sind quasi wie fremde Parteien über den Osten gekommen. Es haben auch in den Jahren nach der Wiedervereinigung die Landtagsabgeordneten, die häufig auch Parteiführer auf mittlerer Ebene sind, es versäumt, enge Kontaktnetze zu ihren Wählerschaften herzustellen. Dieses Schweben des Parteiensystems über der Bevölkerung äußert sich dann bei Wahlen eben in der großen Flatterhaftigkeit des ostdeutschen Wahlverhaltens.

    Heinlein: Haben die beiden großen Volksparteien diese Stimmungslage unterschätzt und nicht rechtzeitig darauf reagiert?

    Patzelt: Genau das will mir scheinen. Die CDU Sachsens, die ja alle Chancen gehabt hätte, den rechten Rand sauber zu halten, fühlte sich so sicher bezüglich ihrer Alternativlosigkeit, dass sie hier eher auf Abstand zum rechten Rand ging, als ihn offensiv zu bekämpfen und sich die Gewinnbaren einzuverleiben. Ansonsten gilt natürlich auch in den neuen Bundesländern die Sichtweise, dass man Rechte am liebsten ignoriert oder schneidet, statt wach dafür zu sein, welche Themen zugunsten der Rechten hochkommen können.


    Heinlein: Kann man diese Entwicklung auf den letzten Metern dieses Wahlkampfes noch korrigieren oder ist der Einzug von DVU und NPD in die beiden Landtage bereits ausgemachte Sache aus Ihrer Sicht?

    Patzelt: Zum einen wird man sagen können, dass jeder, der nicht wählen geht, seine Stimme genau dadurch den Rechten gibt, so dass man durch eine Erhöhung der Wahlbeteiligung möglicherweise in Brandenburg den Einzug der Rechten aufhalten könnte, andernfalls muss man sagen, hier ist langfristig manches versäumt worden und da lässt sich kurzfristig nicht sehr viel heilen.