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Zielscheibe Israel

Als Bomben fielen auf Bagdad und schon im Vorfeld des Irak-Krieges gingen Tausende auf die Straße - nicht nur hierzulande, sondern auch in der arabischen Welt. Da wurden US-Flaggen verbrannt, Puppen, die Präsident Bush darstellen sollten. Aber es waren auch Transparente zu sehen, Parolen zu hören, die sich gegen Israel richteten. Kritik an den USA wird in den arabischen Welt fast immer gleichgesetzt mit Kritik an Israel. Aus der Sicht der Araber ziehen Washington und Tel Aviv an einem Strang, stimmen sie ihre weltpolitischen Interessen eng aufeinander ab. Daher richtet sich der Zorn, richtet sich die Wut der Araber gleichermaßen gegen die Vereinigten Staaten von Amerika und gegen Israel, gleichermaßen gegen Bush und Scharon. Zu den Wurzeln der Proteste gegen den Staat der Juden gehört ein in Arabien weit verbreiteter Antisemitismus, der sich auch vor der altehrwürdigen Al-Azhar-Moschee in Kairo manifestiert.

Reinhard Baumgarten |
    Ein Demonstrant ist außer sich geraten.

    Die Juden sind verflucht! Sie sind Ungläubige. Wir werden uns diesen Verfluchten niemals ergeben.

    Die Zionisten sind die Feinde Gottes, verschwindet ihr Zionisten, haut ab ihr Hundesöhne!

    Die Führung in Kairo hat Mühe, den aufgestauten Volkszorn unter Kontrolle zu halten. Die eigene Wirtschaftskrise mit all den gewaltigen sozialen Problemen und Verwerfungen ergeben zusammen mit dem notorischen Hass auf den Staat der Juden ein gefährliches Gemenge.

    Wir werden Israel bekämpfen, einmal, zweimal, zehnmal. Entweder wir töten sie, oder sie töten uns. Wenn sie uns erlauben nach Jerusalem zu gehen, dann ziehen wir los, dann ziehen wir in den Jihad, in den Heiligen Krieg.

    Niemand wird von ägyptischem Boden zur Befreiung Jerusalems aufbrechen. Zwischen Ägypten und Israel besteht seit 1979 ein Friedensvertrag. Aber die Stimmung war seit dem Jom-Kippur-Krieg von 1973 nicht mehr so angespannt wie heute. Präsident Husni Mubarak verzichtet längst auf verbale Zurückhaltung. Mit Ariel Scharon, davon ist der 74-jährige Mubarak überzeugt, ist kein Frieden im Nahen Osten möglich. Der rechtsgerichtete israelische Regierungschef verstehe sich einzig und allein auf die Sprache der Gewalt. Mubarak denkt nicht im Entferntesten an einen neuen Waffengang gegen Israel. Ägypten will keinen Krieg, es kann sich ihn auch nicht leisten. Israel ist die unumstrittene Großmacht in Nahost, ausgerüstet mit modernstem Kriegsgerät und im Besitz von bis zu 200 Atomsprengköpfen.

    Hass auf Israel, Hass auf Juden und Zionisten. Ein Hass, der auf der Straße, aber mehr noch in den Massenmedien der arabischen Länder ständig neue Blüten treibt. Beispielsweise in den Karikaturen der arabischen Presse: Dickbäuchig und schwitzend strampelt Ariel Scharon auf einem Fahrrad durch die besetzten Palästinensergebiete in Richtung Frieden. Doch der israelische Regierungschef kommt nicht voran, weil seine Räder Hakenkreuze sind. Dickbäuchig und geifernd drischt Scharon mit einer Hakenkreuzaxt auf am Boden liegende blutüberströmte palästinensische Kinder ein. Gemein grinsend schneidet der gehörnte Scharon mit Teufelsschwanz, Drakulazähnen, einem Judenstern und einem Hakenkreuz auf der Brust einem mageren Palästinenser genüsslich die Kehle durch. "Noch nie," sagt Ayellet Yehiav von der israelischen Botschaft in Kairo, "noch nie hat es derart viele antisemitische und antijüdische Auswüchse in den arabischen Massenmedien gegeben wie in den vergangenen Monaten."

    Antisemitismus ist hier eine Kombination von Ideen, die direkt von der antijüdischen/antisemitischen Propaganda aus dem Nazideutschland der 30er Jahre übernommen worden sind und die jetzt gestärkt werden durch Ansichten, die willkürlich dem Islam entlehnt worden sind.

    Wann immer Israel und seine Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten kritisiert werde, kontern arabische Medienschaffende, werde der Vorwurf des Antisemitismus erhoben. Israel benutze diesen Vorwurf wie eine moralische Keule, mit der jede Kritik zum Schweigen gebracht werden soll, sagt Amr Okasha, Chefkarikaturist der ägyptischen Oppositionszeitung al-Wafd. Seiner Feder entstammen zahlreiche Zeichnungen, die in Israel wie auch in den USA als antisemitisch angesehen werden. Okasha will derlei Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen.

    Es hat schon immer jüdisch finanzierte Kampagnen in der US-Presse gegeben, die uns Ägyptern Antisemitismus unterstellt haben. Die haben Zeichnungen von mir als antisemitische Beispiele in der Washington Post und in drei anderen Zeitungen abgedruckt, um mich als Antisemiten dar zu stellen. Aber ich bin kein Antisemit. Was mich zu solchen Zeichnungen veranlasst, das sind doch die täglichen gewalttätigen Praktiken gegen Palästinenser, die man auch in den westlichen Medien sehen kann.

    Es vergeht kaum ein Tag, an dem die israelische Besatzungspolitik in der arabischen Presse nicht mit den Verbrechen der Nazis im nationalsozialistischen Deutschland verglichen wird. Die halbamtliche Tageszeitung al-Ahram glaubt, eine geistige Verwandtschaft zwischen Zionismus und Nationalsozialismus feststellen zu können. Das Blatt bezeichnet Regierungschef Scharon als den Hitler des 21. Jahrhunderts. Die saudische Tageszeitung ar-Riyadh schreibt, Israel, das im Westen gerne als die angeblich einzige Demokratie im Nahen Osten beschrieben werde, lasse Nazi-Methoden wieder aufleben. Der Holocaust an den Juden wird in zahlreichen Blättern offen in Frage gestellt oder verneint. Die halbamtliche ägyptische Tageszeitung al-Akhbar bezeichnet den Massenmord an den europäischen Juden ebenso als Lüge und Betrug wie das saudische Blatt ar-Riyadh.

    Ein Wort von Präsident Mubarak würde genügen, sagt Ayellet Yehiav, um alle verunglimpfenden Vergleiche aus den staatlich kontrollierten Medien zu verbannen. Der ägyptische Präsident, Kronprinz Abdullah von Saudi Arabien, Präsident Bashar al-Assad von Syrien – sie alle weisen Kritik aus dem Ausland stets mit dem Hinweis zurück, in ihren Ländern gelte Meinungsfreiheit.

    Kinder in Sana’a, der Hauptstadt Jemens. Ihr harmlos klingender Reim handelt von den "israelischen Hunden”, denen der Tod gewünscht wird. Er handelt von der Befreiung Palästinas und der Verschlagenheit der Juden.

    Kinder in Sana’a. Den Reim haben sie im Fernsehen gehört. Im Kindergarten oder in der Schule haben sie ihn immer wieder gesungen. Kinder, denen der Hass auf einen Staat, ein Volk, eine Weltreligion in frühen Jahren eingeimpft wird. Die schauerlichsten Geschichten zirkulieren in den Gazetten und Magazinen der arabischen Welt. Geschichten, die in Europa seit Jahrhunderten hinlänglich bekannt sind und unter dem Begriff Antisemitismus zusammengefasst werden, wie ja generell Antisemitismus, rassisch basierter Judenhass, ein Exportartikel des Okzidents in den Orient ist. Antisemitismus ist ein Begriff, der in der arabischen Welt rundweg abgelehnt wird. Der ägyptische Schriftsteller Gamal al-Ghitani:

    Antisemitismus ist so eine Vokabel, die Israel ständig wiederholt, um die Araber einerseits einzuschüchtern und um andererseits einen bestimmten intellektuellen Druck auf sie auszuüben, obwohl wir ja auch Semiten sind. Wir sind Semiten und haben den gleichen Ursprung. Wie können wir da Antisemiten sein?

    Das Gefühl, vom Westen gründlich missverstanden und ungerecht behandelt zu werden, hat seit dem elften September 2001 in der gesamten arabischen Welt noch zugenommen. Der Krieg gegen den weltweiten Terror –: viele Muslime sind davon überzeugt, dass er in Wirklichkeit ein Krieg gegen den Islam, gegen muslimische Werte und gegen die muslimische Kultur ist. Als die Speerspitze dieses Krieges gilt vielen Israel. Allen voran der in den arabischen Medien als Kriegsverbrecher titulierte Ariel Sharon.

    Immer wieder taucht in der arabischen Presse die bösartige Verleumdung auf, zum Purimfest stellten Juden Gebäck her, dem Menschenblut beigemischt werde. Im vergangenen Frühjahr ist in der halbamtlichen saudischen Tageszeitung al-Riyadh ein umfangreicher Artikel darüber erschienen, für den sich der verantwortliche Chefredakteur nach heftigen Protesten aus Israel und den USA schließlich entschuldigt hat.

    Diese Art von Antisemitismus ist vergleichsweise neu in der islamischen Welt, und er ist vom Ausland übernommen worden. Tatsächlich, sagt der in den USA lehrende jüdische Islamwissenschaftler Bernard Lewis, ist Antisemitismus erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch Christen und Europäer in der islamischen Welt eingeführt worden.

    Dokumente, gefunden in den Ruinen einer hochmittelalterlichen Synagoge in Kairo, belegen: Anders als in Europa gab es im muslimisch regierten Ägypten keine Ghettos, keine Beschränkung auf bestimmte Berufe, kein Verbot von Landbesitz für Juden. Juden und Muslime haben enge Geschäftsbeziehungen und Freundschaften gepflegt, jüdische Ärzte haben muslimische Patienten behandelt, jüdische Handwerker haben für muslimische Kunden gearbeitet.

    Mit dem Verlust der kulturellen und militärischen Vormachtstellung islamischer Reiche gegenüber christlichen Reichen ist der Toleranzverlust gegenüber Andersgläubigen einhergegangen. Toleranz ist zumeist eine Tugend der Starken. Die islamische Welt aber befindet sich heute in einer Position der Schwäche. Anstatt Selbstanalyse und Selbstkritik zu betreiben, was in den vergangenen Jahrhunderten zu diesem Zustand der Schwäche geführt hat, werden die Ursachen im Wesentlichen bei äußeren Einflüssen gesucht. Im Zentrum stehen dabei die europäische Kolonialisierung, die Aufteilung der arabischen Erbmasse des Osmanischen Reiches am Ende des Ersten Weltkrieges nach europäischem Gutdünken sowie die Gründung des Staates Israel. Israel gilt vielen Menschen in den islamischen Ländern als Stachel im Fleisch der Umma – der Gemeinschaft der Gläubigen. Israel ist zum Symbol für die Schwäche der arabischen und der islamischen Welt hochstilisiert worden.

    Es gibt hier keine Unterscheidung zwischen Judentum, Zionismus, Semitismus und Israel. Wenn kritisiert wird, dann gleich durch einen Großangriff. Jede verfügbare Macht wird eingesetzt, um Israel oder die Juden auf der ganzen Welt anzugreifen.

    Antisemitismus ist unvereinbar mit Koexistenz. Wenn du Zusammenleben möchtest, dann darfst du keine antisemitischen Gefühle zulassen. Wenn du aber in keiner Weise die Erfahrung von Zusammenleben machen möchtest, wenn du nicht bereit bist, die Existenz des anderen zu akzeptieren, dann hast du ein Interesse daran, antisemitische Gefühle zu wecken.

    In den westlichen Demokratien gelten die Medien als die Vierte Gewalt, als ein öffentliches Korrektiv der Herrschenden. In den meisten arabischen Ländern hingegen sind sie ein Machtmittel der sich keiner Rechenschaft unterwerfenden Herrscher.

    Der Nahostkonflikt ist längst auch zu einem Medienkrieg geworden, in dem mit Tricks und Schlichen sowie mit Schlägen unter die Gürtellinie gekämpft wird. Für zwei Völker – Israelis und Palästinenser – geht’s ums nackte Überleben. Selbst wenn die Waffen eines Tages schweigen sollten, sagt Ayellet Yehiav, Frieden muss in den Köpfen und Herzen vorbereitet werden.

    Wenn du den anderen als eine Person mit Hörnern und Schwanz beschreibst, als Drakula, dann schließt du vollkommen die Möglichkeit aus, dass es eines Tages eine Art Dialog mit dieser Person geben kann.

    Ein Dialog wird nur dann Früchte tragen, sagt Naguib Mahfouz, wenn er zwischen gleichberechtigten Partnern stattfindet. Der ägyptische Literaturnobelpreisträger des Jahres 1988, lässt den Vorwurf nicht gelten, die arabischen Medien verbreiteten antisemitische Vorurteile und leisteten dem Hass auf Juden Vorschub. Er kenne viele Juden persönlich und habe in seinen 91 Lebensjahren noch keinen getroffen, der deswegen angegriffen worden sei, weil er Jude war.

    Die ganze Feindseligkeit und der Hass richten sich doch gegen jüdische Aggressoren, die Zionisten genannt werden. Und Zionismus wird doch selbst von den orthodoxen Juden abgelehnt.

    Die ersten antisemitischen Pamphlete tauchen mit den europäischen Kolonialisten gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der islamischen Welt auf. Sie werden zumeist von arabischen Katholiken und libanesischen Maroniten aus dem Französischen übersetzt und sollen nicht zuletzt der Diskreditierung der Juden dienen.

    Zum offenen Hass, zu anhaltenden antijüdischen und antisemitischen Tiraden kommt es schließlich im Zusammenhang mit dem Konflikt um Palästina. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wandern europäische Zionisten verstärkt nach Palästina ein. Die britische Regierung verspricht dem Scherifen Hussein von Mekka 1915 die Schaffung eines arabischen Nationalstaates, wenn die Araber sich gegen die Osmanen erheben, was sie auch tun. 1916 vereinbaren Paris und London im geheimen Sykes-Picot-Abkommen, die arabische Erbmasse des Osmanischen Reiches untereinander aufzuteilen. Im November 1917 spricht sich die britische Regierung in der Balfour-Erklärung für die Schaffung einer nationalen Heimstätte in Palästina für das jüdische Volk aus. 1919 unterzeichnen König Faisal von Syrien und Chaim Weizmann, Führer der zionistischen Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz, eine Übereinkunft, die die engstmögliche Zusammenarbeit bei der Entwicklung des Arabischen Staates und Palästina zum Ziel hat. Wichtigste Voraussetzung: die Unabhängigkeit der Araber, zu der es aufgrund gebrochener Versprechen seitens der europäischen Siegermächte nicht kommt. Das ist der Beginn dieses bis heute anhaltenden Jahrhundertkonflikts. Naguib Mahfouz:

    Kinder in Sana’a, der Hauptstadt Jemens. Sie wissen nichts vom Nahostkonflikt. Sie wissen nichts über frühe zionistische Siedler in Palästina, über den Völkermord an den Juden und die damit verbundene verstärkte Einwanderung von europäischen Juden nach Israel. Sie lernen Reime und Verse, die voller Hass und Ablehnung sind. Antisemitismus, sagt Abdullah Schleiffer von der American University of Cairo, dient wie früher in Europa der Ablenkung von eigenen Fehlern und Versäumnissen. In den meisten arabischen Ländern stehts nicht gut um die Wirtschaft, die Bildung, den Arbeitsmarkt, die politische Kultur. Die Massenmedien, sagt Abdullah Schleiffer, kommen in den arabischen Ländern nicht ihren wichtigsten Pflichten nach: Information und Aufklärung.

    In dieser prinzipienlosen Umgebung ist Antisemitismus ein leicht zugänglicher Verein, in dem in zynischer Weise auf die Israelis eingedroschen wird, weil sie nichts anderes zu sagen haben. Das würde innerhalb von nur sechs Monaten alles verschwinden, wenn der Friedensprozess wieder beginnen würde und wenn Israel aufhören würde, Ägypten zu beleidigen. Das alles hat es vor fünf Jahren nicht gegeben.

    Aber wer streckt in diesen Tagen der "Auge um Auge, Zahn um Zahn”-Politik die Hand zum Frieden aus? Solange Israel nicht in Frieden leben kann, solange die Palästinenser keinen eigenen Staat und damit eine Zukunftsperspektive haben, so lange können die arabischen Herrscher Israel, die ehemaligen Kolonialmächte und die Supermacht USA für deren Politik der Versäumnisse verantwortlich machen, und so lange wird das Töten mit Waffen und Worten auch ungebremst weiter gehen.