Batschari, Sulima, Manoli, Salem Maleikum - Zigarettennamen, die wie aus "Tausend und einer Nacht" klingen. Man rauchte nicht einfach, sondern atmete den fernen Orient ein.
Schindelbeck: "Man hat da Marken gehabt, die haben für unsere heutigen Begriffe unendlich viele und schöne Bilder gehabt auf den Packungen, da sah man Kamele, da sah man Pyramiden, Haremsdamen, Basare, also der ganze Orientkomplex, der ist sehr intensiv von der Zigarettenindustrie verwertet worden."
Die kleine Papier-Zigarre, wie der Duden damals die Zigarette nannte, war ein durch und durch transnationales Produkt, sagt der Kulturwissenschaftler Dirk Schindelbeck aus Freiburg.
Die Tabakpflanze kam schon für die Zigarre aus Amerika nach Spanien und schließlich über den Orient nach Nordeuropa. Die ersten Zigaretten-Produzenten saßen in Griechenland, der Türkei und Russland. Papier und Maschinen kamen aus Frankreich, England oder Amerika und die damals modisch begehrten Gold oder Pappmundstücke lieferten England und Russland.
"Man hat sehr früh gemerkt, die Zigarette ist schick. Man hat auch versucht, sie aufzuwerten mit gewissen Applikationen, zum Beispiel verschiedene Mundstücke. Nehmen wir mal Oskar Wilde, der schon sehr früh ausschließlich Zigaretten mit Goldmundstück geraucht hat. Das war eine Mode, die kam aus England. Hat natürlich den Frauen sehr gut gefallen."
Überhaupt die Frauen - sie liebten diese schlanke, elegante Rauchware.
"In Deutschland gibt es Zigarettenproduktionen ab 1862 erst. Das ist also ein relativ junges Produkt. Und die Zigarette hat in diesen 50 Jahren bis zum Ersten Weltkrieg einen enormen Aufstieg erlebt. Sie ist eine Raucherware gewesen, die auch Frauen angesprochen hat. Also es war eine leichte Raucherware von der man glaubte, dass sie quasi unschädlich ist, weil es ja damals alles Orienttabake waren, die sehr leicht waren im Gegensatz zur Zigarre. Und sie hat den Frauen auch Gelegenheit gegeben ihre Gestensprache deutlich auszuweiten."
Im Rauch der neuen Zeit
Klein, leicht und schnell am Ziel, hatte die Zigarette das Image eines eleganten Sportwagens. Entsprechend lief sie der behäbigen Zigarre und der umständlichen Pfeife flott den Rang ab. Sie war schick und hatte Tempo wie die Zeit selbst. Die Zigarette wurde zum Sinnbild der Moderne, meint der Kulturwissenschaftler Schindelbeck. Vor dem Ersten Weltkrieg hielten sich etwa 8000 Marken auf dem Kolonialwarenmarkt.
"Und 1906 ist ein entscheidendes Datum, da hat der Staat gemerkt, oh, da passiert etwas, das ist auf dem Vormarsch, da können wir auch Steuern erheben und hat die sogenannte Banderolensteuer erhoben."
Bis dahin hatten die Raucher ihr Genussmittel lose in Tüten gekauft, nun gab es Packungen. Je nach Selbstdarstellung orientalisch verziert, mit Dandy am Tennisplatz, auf der Pferderennbahn oder einem Abbild von Schlössern und Adels-Höfen. Mit den Jahren fand sich der Aufdruck "Trustfrei" auf Packungen und Werbeplakaten. Das signalisierte, diese Zigaretten seien nicht von angloamerikanischem Kapital unterwandert. Mit Eintritt in den Krieg war das weltoffene Flair dann ganz zu Ende. Das Transnationale schrumpfte auf die Grenzen des Kaiserreichs. Aus Café Piccadilly wurde Café Vaterland und auch die beliebte amerikanische Marke Gibbson Girl mit dem Bild einer üppigen Schauspielerin wurde heim ins Reich geholt, sagt Schindelbeck:
"Man hat auf diese Packung eine Banderole geklebt mit einem schwarz-weiß-roten Rand, den damaligen Nationalfarben und hat dann drauf geschrieben Wimpel. Also Gibbson Girl wurde zu Wimpel. Und viele andere Marken haben das eben auch nachvollzogen."
Überleben mit Tabak
Im Krieg entwickelte sich die Zigarette vom Luxusprodukt zum Überlebensmittel.
"Sie war in den Schützengräben zuerst einmal die Währung. Das Geld war nichts mehr wert. Dann natürlich ganz existenziell Hunger vertreiben, Müdigkeit bekämpfen. Oft waren die in den Schützengräben und dann kamen die Essenszuträger nicht durch, weil der Feind sie dauernd mit Granaten beschoss. Das Einzige, was sie bei sich hatten, waren eben die Zigaretten."
Die Zigarette raucht der allzeit Bewegliche. Angezündet, ein paar Züge des köstlichen Aromas, und die gute Stimmung ist da. Kommt ein Befehl, so ist´s nicht schade und der Stummel wird leichten Herzens geopfert. Bei einer halbwegs guten Zigarre fällt das schwer.
So warb ein Zigarettenhersteller in der auch im Feld verbreiteten Manoli-Post 1916 für seine Kriegszigarette. Es ist eines von vielen Beispielen der sehr sorgfältig und aufwendig gestalten Dokumentation "Zigaretten-Fronten - Die politischen Kulturen des Rauchens in der Zeit des Ersten Weltkriegs." Der Kulturwissenschaftler Dirk Schindelbeck hatte die Federführung für dieses erste Ergebnis der Forschungsreihe "PolitCigs - Zur Sprache der Objekte am Beispiel der Zigarette", finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Das Buch zeigt in eindrucksvoller Materialfülle wie diese kleinen, weißen Papierstangen zu Propagandaträgern, Brückenpfeilern zwischen Heimat und Front, manchmal auch zwischen den Fronten und sogar zu Symbolen der Menschenwürde mitten im Krieg wurden.
"Ganz wichtig, die letzten Dinge: Die Zigarette wird oft zum letzten Ding in fast religiöser Qualität. Wenn einer so schwer verwundet ist, dass klar ist, dass er stirbt. Da gibt es unendliche Szenen und Tagebuchaufzeichnungen, die sagen, wir teilen die letzte Zigarette."
Zum Ende des Krieges war auch die Zigarette auf den Hund gekommen: Sie enthielt zu 80 Prozent Buchenlaub. In den Kommentaren der Soldaten über die sinkende Qualität ihrer qualmenden Feldkost mischte sich unversehens Konsumkultur mit Politik:
"Marke Handgranate. Anzünden und wegwerfen!"