Bisher seien die Symptome von Zika leichter Ausschlag und Fieber gewesen, sie seien nach wenigen Tagen von selbst verschwunden. Erst seit wenigen Monaten habe es einen enormer Anstieg von Fällen in Brasilien und Lateinamerika gegeben, gemeinsam mit Anomalien bei der Schädelbildung von Babys und der Unterentwicklung des Gehirns. Der Zusammenhang sei noch nicht geklärt, "und das macht das Ganze so beunruhigend".
Mikroenzephalie, die Schädelfehlbildung bei Babys, könne durch eine ganze Liste von Einflüssen ausgelöst werden: Umwelteinflüsse, Drogen, HIV, Denguefieber und das Downsyndrom gehörten dazu, sagte Lindmeier. Das Zika-Virus bleibe für einige Wochen im Blut und sei gegebenenfalls auch bei Bluttransfusionen übertragbar.
Gesundheitsnotstand auch "politisches Signal"
Mit dem Gesundheitsnotstand solle nun die Forschung angestrengt werden. Er sei zugleich ein politisches Signal, damit Gelder freigegeben werden, mit Hilfe derer der Sache auf den Grund gegangen werden soll.
Zika sei "schon einmal über den Globus gegangen", jetzt aber "schlicht nicht auf dem Radar gewesen". Das sei aber kein Versäumnis: Es gebe viele Krankheiten, die von der Tigermücke übertragen werden, wie Dengue und Gelbfieber, und deren Verlauf bislang schlimmer war. Bei etlichen Ausbrüchen wie in Afrika in den 90ern und in Polynesien seien keine Mikrozephalie-Fälle in Kombination mit Zika vorgekommen.
Auch in Südeuropa gibt es Tigermücken, zum Beispiel in Italien und Spanien. Dazu sagte Lindmeier, man müsse damit rechnen, dass überall dort wo die Tigermücke beheimatet ist, auf kurz oder lang auch Zika auftrete.
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Die Tigermücke stammt aus Asien und Nordafrika, fühlt sich aber inzwischen auch anderswo heimisch, in Südamerika zum Beispiel, auch in Südeuropa fliegt und sticht sie auf der Suche nach Nahrung, auf der Suche nach Blut. Sie gilt als Überträgerin des sich rasant ausbreitenden Zika-Virus. Allein in Brasilien gibt es inzwischen mehr als 1,5 Millionen Verdachtsfälle. Soldaten versprühen auf den Straßen Gift gegen die Mücken, auf den Fernsehschirmen sehen wir Bilder von fehlgebildeten Babys, offenbar die Folge einer Zika-Infektion bei schwangeren Frauen. Experten erklären uns seit Tagen, die Auswirkungen und Gefahren seien eher gering, und dennoch hat die Weltgesundheitsorganisation, die WHO, den weltweiten Gesundheitsnotstand ausgerufen. Wie passt das zusammen? Das wollen wir klären gemeinsam mit Christian Lindmeier von der WHO in Genf. Guten Morgen, Herr Lindmeier!
Christian Lindmeier: Grüß Sie Gott, guten Morgen!
Dobovisek: Inzwischen lernen wir, Zika ist auch per Sexualkontakt übertragbar. Wie gefährlich ist das Virus?
Lindmeier: Das Problem sind wirklich die vielen offenen Fragen, die wir im Moment haben. Und genau diese waren ja eigentlich auch der Grund für diese Ausrufung des internationalen Gesundheitsnotstands. Wir wissen unter anderem sehr wenig über Zika, weil das bisher als sehr milder Virus galt, der erst mal von drei Vierteln der Leute - drei Viertel zeigen ja überhaupt keine Symptome oder wenige. Und die, die Symptome zeigen, haben ein bisschen Kopfweh, also leichte grippeähnliche Symptome mit Fieber, Kopfweh, Gliederschmerzen und einem Ausschlag. Der Ausschlag ist meist das Signifikanteste für Zika. Das geht aber normalerweise innerhalb von zwei bis zehn Tagen selber weg ohne irgendwelche große Medikamente, höchstens mal vielleicht für das Kopfweh. Was wir jetzt im Moment, seit einigen Wochen und Monaten beobachten, ist dieser enorme Anstieg von Zika-Fällen in Brasilien vor allem oder in Lateinamerika, und damit einhergehend dieser große Anstieg von Anomalien bei der Schädelbildung bei Babys und damit der Fehlbildung oder Unterentwicklung des Gehirns, diese Mikrozephalie. Dieser Zusammenhang ist noch nicht völlig geklärt, und das ist, was das Ganze so beunruhigend macht, dass wir nicht wissen, ist es wirklich genau das Zika-Virus, ist es das Zika mit etwas zusammen? Denn Mikrozephalie könnte durch einige, eine ganze Liste von Ursachen ausgelöst werden, von Umwelteinflüssen, über Drogen, über Alkohol, Toxine, andere Infektionen wie Chikungunya oder Dengue, sogar HIV oder das Downsyndrom könnten Auslöser sein. Die Liste ist wirklich sehr lang, deswegen muss jetzt sehr genau untersucht werden, was da genau zusammenspielt, ob es das eine oder andere oder eine Kombination von Sachen ist.
"Hier muss etwas getan werden"
Dobovisek: Die WHO wird klar kritisiert für die Entscheidung, den Gesundheitsnotstand ausgerufen zu haben. Sie beschreiben jetzt diese ganzen offenen Fragen, dass nichts nachgewiesen sei. Ist die WHO da übervorsichtig?
Lindmeier: Ich denke, wir müssen da schon schauen, es gibt einige Länder, die wollen schon seit Wochen und Monaten, dass dieser Gesundheitsnotstand ausgerufen wird. Es sind natürlich eher die betroffenen Länder. Also, die Meinungen gehen da wirklich sehr auseinander. Aber es war eine Gruppe von Experten, die keine WHO-Mitarbeiter waren, sondern es waren Laboratorien von der ganzen Welt, es waren betroffene Länder, es waren Länder, die schon Zika-Ausbrüche hatten, vertreten, also eine große Runde von Experten, die sich mit diesem Thema seit Langem oder Längerem beschäftigen, die der WHO empfohlen haben, diesen Gesundheitsnotstand auszurufen. Und da wir, gerade, was Sie vorhin angesprochen haben, diese im Moment zum zweiten Mal aufgetretene mögliche sexuelle Übertragung des Zika-Virus, und die Tatsache, dass wir wissen, dass Zika ja auch im Blut für einige Wochen bleibt und damit auch bei Bluttransfusionen rein theoretisch übertragbar wäre, macht die Sache natürlich noch dringender. Und das war auch die Hauptursache, diesen Notstand auszurufen. Die Tatsache einfach, die Forschung anzustrengen und das politische Signal zu geben, hier muss etwas getan werden, hier müssen Gelder freigemacht werden, dass wir der Sache auf den Grund gehen und wissen, womit wir es hier zu tun haben.
Dobovisek: Das Virus ist ja keine neue Erscheinung. 1952 wurde es erstmals beim Menschen nachgewiesen. Das ist über 60 Jahre her. Warum hat man dann offenbar die Dringlichkeit bisher nicht erkannt?
Lindmeier: Vermutlich genau, weil es so mild normalerweise ist. Wenn Sie oder ich vor zwei, drei Monaten zum Arzt gegangen wären, zurückgekommen aus einer tropischen oder subtropischen Gegend, und eben über diese Symptome Kopfweh, Gliederschmerzen, Fieber geklagt hätten - ich wage zu behaupten, dass alles Mögliche unternommen worden wäre, aber auf Zika wäre wahrscheinlich keiner gekommen. Das ist eben genau das Problem. Das Virus ist, wie Sie sagen, seit den 50er-Jahren einmal schon um den Globus gegangen, von Afrika über Asien, den Pazifik und jetzt in Latein- und Südamerika. Also, er ist wahrlich nicht neu, aber war schlicht nicht auf unserem Radar, da er so leicht ausging. Es gibt wesentlich andere Krankheiten, –
"Ein Hauptgrund der großen Sorge ist auch das große Unwissen"
Dobovisek: Ist das ein Versäumnis, Herr Lindmeier?
Lindmeier: Nein, ich denke nicht. Sie müssen einfach sehen, es gibt viele andere Krankheiten, die von dieser selben Mücke, der Aedes aegypti übertragen werden, die wesentlich gravierender sind, Dengue zum Beispiel. Da kennen wir Todesfälle. Chikungunya hat mit enormen Schmerzen zu tun. Gelbfieber führt auch zu Todesfällen. Alles wird von derselben Mücke übertragen. Es ist schlicht etwas, was im Krankheitsverlauf auch so klein und gering war, dass es schlicht nicht beachtet wurde. Wenn natürlich sich nun herausstellt, dass hier irgendwelche Zusammenhänge auftreten, die wirklich von großer Besorgnis sind, dann natürlich, dann muss die Wissenschaft und die Forschung hier ganz enorm mit Hochdruck daran arbeiten. Aber wir haben etliche Ausbrüche von Zika bis jetzt in der Geschichte gehabt, in Afrika in den 90er-Jahren, in Polynesien noch gar nicht so lange her. Und wir kennen von dort keine Mikrozephalie-Fälle, zum Beispiel.
Dobovisek: Was bedeutet der aktuelle Ausbruch gerade in Brasilien für die Olympischen Sommerspiele, die dort jetzt diesen Sommer stattfinden.
Lindmeier: Ich denke, das ist sogar eher ein positives Signal, weil nun natürlich alles versucht wird, der Sache auf den Grund zu gehen, inklusive Entwicklung von Medikamenten oder eventuellen Impfstoffen. Impfstoffentwicklung, ganz klar, natürlich für Olympische Spiele wesentlich zu spät, da müssen wir mit einem Verzug von Jahren vielleicht sogar rechnen. Und was ganz wichtig ist, ist einfach das Wissen der Bevölkerung. Ein Hauptgrund der großen Sorge im Moment ist sicher auch das große Unwissen auf allen Ebenen, was diesen Virus und die Zusammenhänge betrifft. Da müssen wir wesentlich mehr Klarheit haben. Und dann, lassen Sie uns nicht vergessen, Mückenstiche oder Infektionen durch Mücken sind nun mal am einfachsten oder mit am effektivsten auch noch durch die traditionellen Methoden zu bekämpfen, das heißt, Insektenschutzmittel, sich mit längerer Kleidung, morgens und abends zu bedenken, unter Mückenschutznetzen zu schlafen, so vorhanden, und natürlich auch seine Wohnung zu schützen mit Moskitonetzen und sonstigem.
"Wichtig ist, dass richtig weiter versorgt wird"
Dobovisek: Besteht eine Gefahr, Herr Lindmeier, auch für Europa, auch hier, zum Beispiel in Südeuropa, in Italien, in Spanien gibt es die Tigermücke.
Lindmeier: Es ist tatsächlich so, dass wir im Großen und Ganzen damit rechnen müssen, dass überall dort, wo die Tigermücke, diese Aedes Aegypti beheimatet ist, auf kurz oder lang auch dieser Virus auftritt. Vielleicht war er ja auch schon länger da, wurde aber eben aus den genannten Gründen einfach noch nicht entdeckt. Denn wenn wir Chikungunya und Dengue und Gelbfieber von derselben Mücke haben, dann wird das normalerweise wesentlich eher entdeckt. Also dort können wir zum einen Mal eventuell raten, das ist wichtig, auch dort sind Vorsichtsmaßnahmen dann geboten, und einfach das Wissen ist wichtig, denn noch mal, der Krankheitsverlauf allein ist mild. Und was wir natürlich auch sehen werden, ist, dass der eine oder andere Reisende von einer tropischen, subtropischen Reise mit einer Infektion zurückkommen wird. Erstens sehen wir das schon, und zweitens ist das aber auch nicht weiter besorgniserregend, da auch heute schon täglich Reisende mit Malaria oder Dengue und so weiter zurückkommen. Wichtig ist hier, dass richtig weiter versorgt wird und dass das Wissen vor allem da ist.
Dobovisek: Christian Lindmeier ist Sprecher der Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen in Genf. Vielen Dank für das Interview.
Lindmeier: Danke Ihnen!
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