Archiv


Zille: Der ANC hat keine Führungspersönlichkeiten

Von Nelson Mandelas Erbschaft sei im ANC herzlich wenig übrig geblieben, sagt Helen Zille, Vorsitzende der Democratic Alliance und Premierministerin der Provinz Western Cape. Unter Jacob Zuma werde der Niedergang des ANC eintreten.

Helen Zille im Gespräch mit Peter Kapern | 17.12.2012
    Peter Kapern: In der Nähe von Bloemfontein in Südafrika hält der ANC, der African National Congress, seit gestern seinen Parteitag ab. heute wird der neue Vorsitzende gewählt, und der wird für die Partei dann im Jahr 2014 auch in die Präsidentschaftswahlen ziehen. Amtsinhaber Jacob Zuma bekommt es heute mit einem Herausforderer zu tun, mit dem Vizepräsidenten Kgalema Motlanthe. Der Machtkampf zwischen beiden ist Ausdruck der Situation, in der sich das Land befindet: die Arbeitslosigkeit bei 25 Prozent, die Armut gigantisch, die Korruption grassiert, auch Jacob Zuma hat beim Bau seiner Privatvilla tief in die Staatskasse gegriffen. Und trotzdem regiert der ANC noch immer ganz Südafrika – na ja: nicht ganz. Ministerpräsidentin der Provinz Western Cape ist Helen Zille. Sie ist die Vorsitzende der liberalen Partei Democratic Alliance und sie ist die Großnichte des Berliner Milieuzeichners Heinrich Zille. Sie habe ich vor der Sendung gefragt, in welcher Situation sie Südafrika sieht.

    Helen Zille: Nun, wir sehen uns zweifellos einer ganzen Fülle an Problemen gegenüber. Darüber kann ja kein Zweifel bestehen. Zugleich aber stecken darin erhebliche Chancen. Südafrika steht jetzt in einer sehr viel besseren Lage da als noch vor 20 Jahren. Wir sind jetzt dabei, die Demokratie aufzubauen. Es ist schwer, es ist kompliziert. Jedoch haben viele europäische Länder Hunderte von Jahren gebraucht, um das zu erreichen, was wir binnen 20 Jahren erreicht haben. Wir haben natürlich die Probleme der Armut und der Arbeitslosigkeit, aber wir haben auch die Möglichkeit, durch die politischen Maßnahmen hier Abhilfe zu schaffen, und aus diesem Grunde bin ich eben optimistischer als viele andere und als wir es früher waren. Wir haben bewusste Wähler, die durch ihre Wahlentscheidungen die Macht haben, die Verhältnisse zu beeinflussen. Wir haben fest verankerte demokratische Institutionen, die auch dazu taugen können, nach und nach diesen politischen Wandel herbeizuführen, und ich bin sicher, dass wir im Laufe der Zeit in diesen Generationen den angestrebten Wandel auch herbeiführen können.

    Kapern: Lassen Sie uns doch noch kurz über die Herausforderungen reden, über die Sie gerade gesprochen haben. Warum will es nicht gelingen, bei der Armutsbekämpfung in Südafrika wirklich gravierende Fortschritte zu erreichen?

    Zille: Wir haben jetzt eine starke schwarze Mittelklasse, stärker als früher, und die ist auch größer mittlerweile als die weiße Mittelschicht. Das ist etwas Gutes, was wir auch begrüßen. Die eigentliche Herausforderung liegt natürlich in der Armutsbekämpfung. Um hier weiterzukommen, brauchen wir Arbeitsplätze, und Arbeitsplätze können wir nur schaffen, wenn wir rasches Wirtschaftswachstum bewirken. Wir brauchen Investitionen, und dafür haben wir mit unserer Politik die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen, die auch eine Gewissheit verleihen, dass Investitionen sich rentieren. Deshalb muss man dort investieren, wo auch die entsprechenden Arbeitskräfte da sind. Um die richtigen Arbeitskräfte aber zu haben, braucht man eine viel bessere Bildung. an der Bildung hapert es eben, das ist eben das Ironische, dass wir häufig Arbeitsplätze unbesetzt haben, weil wir nicht die richtigen Menschen haben, um sie zu besetzen. Deswegen brauchen wir, um rasches Wirtschaftswachstum zu erzielen und um Arbeitsplätze zu schaffen, eine viel bessere Bildungslandschaft.

    Kapern: Sie haben auch die Investitionen angesprochen. Investoren, die überlegen, wo sie ihr Geld anlegen, die schauen sich natürlich auch an beispielsweise das Korruptionsranking, das alljährlich von Transparency International aufgestellt wird, und da ist Südafrika gerade auf den Platz 69 zurückgefallen, liegt nun deutlich hinter anderen afrikanischen Staaten. Warum, was läuft da falsch?

    Zille: Nun, was wirklich schief läuft in unserem Lande, das ist die Tatsache, dass so viele Politiker sich an der Macht festklammern und meinen, sie könnten nicht mehr aus dem Amt hinausgewählt werden. Sie vergeben Posten und Einfluss an ihre politischen Verbündeten, sie betreiben diese Vetternwirtschaft, die im Grunde ein Mittel ist, um politische Macht zu erhalten. Das verhindert aber die Transparenz, das verhindert, dass man diese Politiker zur Rechenschaft zieht, und das verhindert letztlich auch den Kampf gegen die Korruption. Aus diesem Grunde ist eine starke Opposition so unerlässlich, und das haben wir mittlerweile geschafft. Die Korruption kann ja nicht bekämpft werden, solange die politische Macht als eine Versorgungsmöglichkeit zu wirtschaftlichem Wohlstand gesehen wird. Solange eben diese Patronagepartei, zu der der ANC sich gewandelt hat, weiterhin an der Macht bleibt, wird sich nichts ändern. Hier müssen wir ansetzen.

    Kapern: Nun haben ja die Kirchen kürzlich in Südafrika gesagt, Politiker im Lande hätten ihren moralischen Kompass verloren. Waren damit tatsächlich nur die Politiker des ANC gemeint?

    Zille: Nun, ich glaube, dieses Urteil bezog sich auf die regierende Partei. Ich glaube aber nicht, dass man alle Politiker in der regierenden Partei da über einen Kamm scheren darf. Man darf ja niemals verallgemeinern bei irgendeinem Stand, auch bei den Journalisten nicht. Man muss die einzelnen Menschen nach ihrem Tun und Handeln beurteilen. Das ist meine liberale Grundüberzeugung. Wir haben in der Tat einige führende Politiker in den Regierungsparteien, die ihren moralischen Kompass verloren haben, das stimmt, und solange die Wähler daran durch ihren Stimmzettel nichts ändern, wird sich auch die Lage insgesamt nicht ändern.

    Kapern: Wie viel vom Geiste Nelson Mandelas existiert Ihrer Ansicht nach noch im ANC?

    Zille: Von seiner Erbschaft ist im ANC herzlich wenig übrig geblieben. Von seinem Geist ist nichts mehr zu spüren. Seine Grundüberzeugungen, die die Abkehr vom Rassismus bedeuteten, eine transparente Regierung, wirtschaftliches Wachstum, Versöhnung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen, das alles ist ja nicht mehr zu spüren. Er hat ja nicht im Sinn gehabt, dass man Macht als Mittel zur Reichtumsvermehrung in den eigenen Taschen nutzt, und deswegen glaube ich, dass meine Partei, die Democratic Alliance, jetzt genau die Erbschaft von Nelson Mandela vertritt.

    Kapern: Nun ist der ANC aber immer noch die große dominierende Macht. Er hat im Parlament fast eine Zweidrittelmehrheit, er regiert acht von neun Provinzen, nur nicht die Provinz Western Cape, wo Sie ja Ministerpräsidentin sind. Sie haben vorhin gesagt, die Menschen in Südafrika lernen mehr und mehr, dass man eine Regierung auch auswechseln kann. Für wie lange ist denn die dominante Position des ANC Ihrer Meinung nach noch in Stein gemeißelt?

    Zille: Ich glaube, dass die allgemeinen Wahlen im Jahr 2014 eine Weichenstellung bringen werden. Der ANC wird auch nach diesen Wahlen noch an der Macht sein, aber die Zeiten werden sich gewendet haben, sodass im Jahr 2019 dann der ANC in die Opposition wechseln wird.

    Kapern: Der ANC hält ja gerade seinen Parteitag ab. Dort bekommt der Chef des ANC, der amtierende Staatspräsident Jacob Zuma, einen Gegenkandidaten, nämlich Kgalema Motlanthe. Was ist aus Ihrer Sicht der größte Unterschied zwischen den beiden?

    Zille: Nun, es ist doch so, dass weder Kgalema Motlanthe noch Jacob Zuma wirklich große Führungspersönlichkeiten sind. Motlanthe ist wohl weniger korrupt als Zuma, aber ich glaube, beide haben nicht die Kraft, den ANC zu retten. Ich bin sicher, unter Jacob Zuma wird der Niedergang des ANC und die Zersplitterung, die unaufhaltsame Zersplitterung des ANC eintreten. Kgalema Motlanthe dagegen hat auch nicht die Kraft, er hat nicht die Vision, er hat auch nicht die Stärke, um hier den ANC noch einmal nach vorne zu bringen.

    Kapern: Aber das bedeutet ja nach all dem, was Sie gerade gesagt haben, dass auch nach den Wahlen 2014 nun erst mal keine großen politischen Fortschritte in Südafrika zu erwarten sind, wenn die Politiker, über die wir gerade gesprochen haben, so sind, wie Sie sie beschrieben haben.

    Zille: Es wird ganz entscheidende Entwicklungen geben. Es wird Neues hervortreten. In dem Maße, wie der ANC zerfällt, werden durch kleine auslösende Momente und auch durch große Erschütterungen neue Verhältnisse geschaffen. Wir werden als die Democratic Alliance das entscheidende Sammelbecken sein für dieses nicht rassistische, demokratische, transparente Politikverständnis. In diesem Sinne werden wir neue Mehrheiten schaffen. "Und die Auflösung des ANC ist für uns dafür sehr wichtig."

    Kapern: Und sie spricht ganz passabel Deutsch, wie man hört. – Helen Zille, die Ministerpräsidentin der südafrikanischen Provinz Western Cape und Großnichte des Berliner Milieuzeichners Heinrich Zille. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.