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Zittern vor dem großen Auftritt

Jeder zweite Musiker und Sänger leidet unter Lampenfieber, schätzen Experten. Anspannung, weiche Knie, Muskelverspannungen oder Erröten, Magenschmerzen Schweißausbrüche oder Ohnmachtsgefühle – Lampenfieber kann sich in vielerlei körperlichen Symptomen zeigen.

Von Renate Rutta | 04.01.2011
    "Lampenfieber, also dieses aufgeregt sein vor dem Auftritt. Als Profimusikerin und als Lehrerin mit großer Erfahrung muss ich sagen, das gehört dazu zu diesem Beruf. Zum Beispiel David Oistrach, der hat gesagt, wenn er kein Lampenfieber hat, spielt er sehr langweilig.
    Also dieses ein bisschen Beben, ein bisschen Glühen, das gehört dazu. Und wenn meine Schüler sehr aufgeregt sind, versuche ich mit kleinen Ritualen, das festzumachen, zum Beispiel ich nehme immer Walnüsse mit zum Vorspielen. Wenn Du ein Stückchen gegessen hast, dann geht's Dir besser."

    Elena Spittler ist Cellistin und Musikdozentin:

    "Aufgeregt sein ist produktiv, das bedeutet einen besonders erhöhten Zustand und in diesem erhöhten Zustand, dann nimmt man das Publikum richtig mit."

    Doch Lampenfieber kann auch so groß werden, dass Karrieren gefährdet sind. Wenn manchen Musikern und Sängern das Herz bis zum Halse schlägt und der Atem rast, wenn sie schweißnasse Hände bekommen – dann ist Lampenfieber nicht mehr produktives Aufgeregtsein, sondern es entsteht ein Teufelskreis aus Angst vor dem Auftritt und dem falschen Ton. Hilfe finden Betroffene jetzt an der ersten Lampenfieberambulanz speziell für Musiker. Dr. Deirdre Mahkorn, Oberärztin an der Bonner Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie:

    "Die körperlichen Reaktionen sind besonders unangenehm. Manche Patienten klagen über Zittern. Die Streichinstrumentenspieler bemerken das dann im Zittern der Bogenhand. Dann gibt es Menschen, die über Zittern und Schwindel berichten. Immer dann, wenn ihre Aufmerksamkeit sich auf die körperlichen Symptome richtet, ist die Konzentration natürlich unterbrochen, weil der Fokus nicht mehr auf der Musik ist, sondern auf die körperlichen Symptome gerichtet ist."

    Schauspieler können vielleicht noch improvisieren, wenn sie eine Textstelle vergessen haben, bei Musikern ist das schwer. Aber oft ist nicht der tatsächlich gespielte falsche Ton, der Fehler, das Problem, sondern schon die Angst vor dem Versagen, vor der negativen Bewertung.

    "Wie waren denn Ihre Gedanken, bevor Sie auf die Bühne gegangen sind?
    Hatten Sie sehr strengen Unterricht?
    Sind Sie bei Fehlern bestraft worden?
    Haben Sie gelernt, sich zu belohnen?"

    Dr. Mahkorn versucht gemeinsam mit einem Psychologen, bei jedem Patienten der Ursache für das Lampenfieber auf den Grund zu gehen. Jeder Musiker erstellt dazu sein persönliches Angst-Tagebuch und lernt den Unterschied zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung kennen, wenn er sich selbst schlechter bewertet, als er tatsächlich gespielt hat.

    "Wir setzen genau an diesen negativen Gedanken an und bitten unsere Patienten, jede Angstsituation, die sie erlebt haben, zu notieren. Wir versuchen dann, die Situation zu analysieren hinsichtlich der negativen Gedanken, die zur Ausprägung der Angst geführt haben. Und man versucht, diesen Gedanken dann eine positive Bedeutung zu geben.
    Das nennt man kognitive Umstrukturierung.
    Dass die Bewertung des Patienten nicht mehr negativ ist in Bezug auf den eigenen Wert und die eigene Leistung, sondern ins Positive umgewandelt wird."

    Ziel ist es, besser mit der Angst umzugehen. Die Aufmerksamkeit soll sich wieder ganz auf die Musik richten.