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Zollitsch-Nachfolge
"Wir sind Kirche" spricht von Führungskrise

In Münster sucht die Deutsche Bischofskonferenz einen Nachfolger für Robert Zollitsch. Der Neue habe die schwierige Aufgabe, Glaubwürdigkeit und Zerrissenheit der katholischen Kirche wiederherzustellen, sagte Christian Weisner von "Wir sind Kirche" im DLF.

Christian Weisner im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der Sprecher und Kopf der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche", Christian Weisner
    Der Sprecher und Kopf der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche", Christian Weisner (dpa / Tobias Hase)
    Dirk-Oliver Heckmann: Robert Zollitsch, er war in den vergangenen sechs Jahren das Gesicht der katholischen Kirche in Deutschland. Es waren keine einfachen Jahre, fiel in seine Amtszeit die Aufdeckung des Missbrauchsskandals ebenso wie die Affäre um den Limburger Bischof Tebartz-van Elst. Die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche zumindest in Ansätzen wieder herzustellen, eine gewaltige Aufgabe für den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, und auch eine Aufgabe für seinen Nachfolger wird das sein, denn Robert Zollitsch scheidet mit 75 Jahren altersbedingt aus. In Münster auf der Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz, suchen die katholischen Würdenträger ab heute einen Nachfolger.
    Ein Amtswechsel ist ja immer auch Anlass, Bilanz zu ziehen. Wie zufrieden waren Sie denn mit der Arbeit von Robert Zollitsch? Das habe ich Christian Weisner gefragt. Er ist Sprecher der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche".
    Christian Weisner: Ich glaube, Erzbischof Zollitsch hat in einer sehr, sehr schwierigen Zeit alles versucht, die katholische Kirche in Deutschland zusammenzuhalten. Er hat wichtige Impulse gesetzt gerade mit dem Dialogprozess. Man muss aber genauso auch konstatieren, dass seine Impulse von den anderen Mitbrüdern, den Mitbrüdern im Bischofsamt, lange nicht so aufgenommen worden sind, wie man sich das gewünscht hätte. Wir haben eine viel zu starke Polarisierung, und das ist in den vergangenen Jahren nicht besser geworden. Dazu kommt natürlich der große Druck aus Rom.
    Heckmann: Der Dialogprozess, das ist der Prozess, der nach der Aufdeckung des Missbrauchsskandals angestoßen worden ist.
    Weisner: Richtig.
    Heckmann: Was hat das für Gründe gehabt, dass die Mitbrüder, wie Sie sagen, von Robert Zollitsch diesen Prozess eben nicht so aufgenommen haben?
    Erzbischof Robert Zollitsch mit nachdenklich geschlossenen Augen
    Die Deutsche Bischofskonferenz sucht einen Nachfolger für Robert Zollitsch - dialogbereit muss er sein, meint die Initiative "Wir sind Kirche". (dpa picture alliance / Boris Roessler)
    Weisner: Ich glaube, unter den Bischöfen hier in Deutschland und leider genauso im Vatikan besteht Uneinigkeit, wie ernst die Krise wirklich ist. Es ist ja nicht nur die Vertuschung sexueller Gewalt, des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche, es ist der Rückgang der Kirchensteuerzahlungen, weil so viele Menschen aus der Kirche austreten, das Vertrauen ist lange schon in die katholische Kirche gesunken, in Rom haben wir die Probleme "Vatileaks", Vatikanbank, es ist also wirklich eine Kirchenleitungskrise, in der wir uns befinden, und da sind die Schritte der Bischöfe insgesamt auf das Kirchenvolk, auf die Gläubigen zuzugehen, wieder um Vertrauen zu werben, die sind viel zu gering. Es scheint, immer noch Bischöfe zu geben, die sagen, wir machen einfach weiter, wir selber sind ja nur die Kirche und das Kirchenvolk ist uns relativ egal.
    Heckmann: Aus der Vertrauenskrise ist eine Kirchenleitungskrise geworden, sagen Sie. Was hätte es denn für Schritte noch bedurft, um dieses Vertrauen wieder herzustellen?
    Weisner: An einem Beispiel, was uns hier in Deutschland ja schon seit 30 Jahren betrifft, das ist die Frage von geschiedenen Wiederverheirateten. Sind die zum Kommunionsempfang zugelassen oder nicht? Das ist ein Thema, das 1993 von den damaligen Bischöfen in Freiburg, in Mainz und in Rottenburg-Stuttgart, also von dem Kardinal Lehmann jetzt in Mainz, aber auch von Kardinal Kasper damals in Stuttgart, angestoßen worden ist. Wir sind da immer noch nicht weiter. Das heißt, die Menschen warten wirklich auf konkrete Entscheidungen, dass sich etwas in der Pastorale bewirkt, dass nicht immer nur vertröstet wird.
    Heckmann: Aber es gibt ja Signale gerade bei diesem Thema, dass sich da was bewegen könnte jetzt in Zukunft. Gehen Sie davon aus, dass das kommt?
    Weisner: Das Thema ist ganz oben auf der Tagesordnung bei diesem Gesprächsprozess, den die deutschen Bischöfe 2010 eingeleitet haben. Das Thema scheint auch bei Papst Franziskus auf der Tagesordnung zu sein. Aber wir haben genauso auch in Rom Kardinal Müller, jetzt den Präfekten der Glaubenskongregation, der sich ganz eindeutig dagegen ausgesprochen hat. Also wir erleben jetzt im Augenblick in der römisch-katholischen Kirche – und das ist vielleicht was positives –, wir erleben eine offene Diskussion, was ist wirklich theologisch richtig, aber was ist auch pastoral erforderlich, und diese Diskussion wird im Augenblick auch in aller Öffentlichkeit geführt. Ich denke nur an die Rede von Kardinal Kasper, die er am 22. Februar vor den Kardinälen in Rom gehalten hat. Die wird jetzt am Montag veröffentlicht, die erscheint hier in Deutschland als Buch. Wir haben diese Diskussion, aber es muss wirklich weitergehen. Wir müssen wirklich langsam mal auch zu Veränderungen kommen, und das heißt nicht, die katholische Lehre abschaffen, eine katholische Moral light, aber das heißt, wirklich die Situation der Menschen, der Familien ernst zu nehmen.
    Heckmann: Und das betrifft auch die Sexualmoral, also den Umgang mit Homosexualität oder mit der Verhütung?
    Weisner: Ja natürlich! Das sind ganz wichtige Themen. Man kann nicht einfach sagen, in der katholischen Kirche ist die Sexualität nur innerhalb der Ehe. Das hat gerade der Fragebogen gezeigt, die Ergebnisse des Fragebogens. Das ist natürlich auch sehr bemerkenswert gewesen. Der Vatikan hat in Vorbereitung der Familien-Synode im Oktober 2014 Fragen formuliert. Die waren noch nicht ganz toll formuliert, aber immerhin sind diese Fragen öffentlich geworden und es ist gebeten worden, dass nicht nur die Bischöfe diese Fragen beantworten, sondern eben wirklich das Kirchenvolk, die Gemeinden, die Gruppen, die Initiativen. Und die Ergebnisse, die Ende Januar auch wirklich veröffentlicht worden sind schon in Deutschland und auch in anderen Ländern übrigens, die zeigen, da ist eine große Kluft zwischen der absoluten Moral der römisch-katholischen Kirche und dem, was Katholiken und Katholikinnen in der Ehe, in Familien, aber eben auch Homosexuelle leben. Und diese Kluft müssen wir wieder schließen.
    Kardinal Meisner wäre "überfordert"
    Heckmann: Blicken wir mal auf das, was kommen könnte nach Robert Zollitsch. Vor sechs Jahren, als er ja gewählt worden war, da war der eigentliche Favorit der Münchner Erzbischof Reinhard Marx, der ja inzwischen zum Kardinal erhoben worden ist. Ist jetzt seine Zeit gekommen?
    Weisner: Das kann ich nicht sagen. Ich habe so ein bisschen das Gefühl, damals, vor sechs Jahren war er zu jung im Amt. Im Münchner Erzbistum war er gerade erst einige Monate ins Amt gekommen. Da wäre das eine Überforderung für ihn gewesen. Ich glaube, jetzt ist es fast zu spät, denn Kardinal Marx hat ja in Rom und auf der europäischen Ebene viele, viele Aufgaben. Das heißt, er ist in seinem Bistum München und Freising, in dem Bistum, wo ich auch lebe, ist er gar nicht mehr richtig präsent. Das müssen seine Weihbischöfe, das muss der Generalvikar erledigen. Kardinal Marx ist auch Mitglied der K8-Gruppe, der Kardinäle, die den Papst berät. Er ist jetzt neuerdings auch noch Mitglied in dem Kuratorium, was sich um die Finanzen in Rom kümmert. Also ich glaube, er wäre überfordert und er könnte dieses Amt in Deutschland als Vorsitzender gar nicht so ausfüllen, wie es wirklich jetzt im Augenblick notwendig wäre. Wir brauchen jemand, der hier in Deutschland präsent ist, der moderiert, der Initiativen anstößt, der Dialoge ermöglicht und der wirklich alles daran setzt, dass die Bischöfe wieder zu einer Geschlossenheit, ich will nicht sagen, einer Einheitsmeinung kommen, aber dass sie nicht mehr diese Polarisierung haben, dass der eine Bischof Hü und der andere Bischof Hott sagt, denn das ist wirklich ein sehr, sehr schlechtes Ergebnis in der Außenwirkung für die Katholiken und Katholikinnen, aber auch natürlich für die gesamte Öffentlichkeit.
    Vatikan vor einer "Zerreißprobe"
    Papst Franzikus auf dem Balkon spendet den traditionellen Segen Urbi et Orbi am ersten Weihnachtsfeiertagg 2013
    Papst Franziskus spendet den Segen Urbi et Orbi (dpa / Osservatore Romano)
    Heckmann: Herr Weisner, seit Franziskus Papst ist - seine Wahl zum Papst, die jährt sich am Donnerstag zum ersten Mal -, da scheinen die liberalen Kräfte auch in Deutschland im Aufwind zu sein. Sehen Sie das auch so?
    Weisner: Ich würde mir wünschen, dass das noch viel deutlicher wirklich spürbar wäre. Dieser Kurs des Franziskus, wirklich dieser Kurs. Es ist ja nicht nur sein persönlicher Kurs, bei allem Charisma, das Bergoglio als Kardinal aus Lateinamerika hier in den Vatikan in Rom in die Kirche bringt, sondern das ist natürlich auch die Linie, die wirklich vom Zweiten Vatikanischen Konzil vor 50 Jahren, von diesem Reformkonzil angestoßen worden ist. Und es ist auch eine Linie, glaube ich, die sehr viel mehr auf der Linie des Evangeliums, der Nachfolge Jesu liegt, wo Jesus sich wirklich im Grunde den Menschen zugewandt hat. Es ist keine Kirche, die nur in aller Feierlichkeit im Petersdom am Hochaltar stattfindet, sondern eine Kirche, die sich den Menschen zuwendet, und ich glaube, das ist im Augenblick sehr, sehr notwendig, Stichwort Barmherzigkeit. Das ist von Bergoglio, von Franziskus sehr ausgeführt worden. Es geht ja nicht jetzt nur um „alles ist egal’“ oder „alles wird geduldet“ oder „immer ein Auge zudrücken“, sondern das ist wirklich eine Zuwendung zu den Menschen, und die ist, glaube ich, in der heutigen Zeit, gerade angesichts der globalen Krisen, der Verarmung ganzer Völker und Nationen, dieser Kurswechsel, wieder die Menschen in den Blick zu nehmen, den einzelnen Menschen in den Blick zu nehmen, das ist ein wichtiger Kurs und der ist, glaube ich, wichtiger, als dass wir die Dogmen in der katholischen Kirche hochhalten.
    Heckmann: Wie groß ist denn die tatsächliche Reformbereitschaft des Papstes? Es gibt ja auch Kritiker, die sagen, das Ganze bewegt sich dann doch eher in so einem theoretischen Raum.
    Weisner: Wenn man die Theologie von Bergoglio sieht, wenn man weiß, was er in Argentinien als Vorsitzender, aber auch der letzten Bischofskonferenz von Lateinamerika, von Aparecida wirklich in Bewegung gesetzt hat - das ist ein Dokument, was 2007 von der Kirche in Lateinamerika erarbeitet worden ist; Aparecida ist das Stichwort -, das ist auf der Linie des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das ist aber die Lehre der katholischen Kirche mit den Augen der Armen, mit den Augen der Lateinamerikaner gesehen, und das bringt er jetzt mit nach Rom. Ich glaube, das ist wirklich ein grundsätzlicher Wandel und man muss sich vorstellen: wir haben 30, 35 Jahre versucht, das Zweite Vatikanische Konzil wieder zu vergessen, in die Schranken zu weisen. Aber dort in Lateinamerika hat sich das Zweite Vatikanische Konzil ganz anders entwickelt. Das ist die Theologie der Befreiung, vielleicht nicht im marxistischen Sinne, aber in einer Theologie des Volkes, wie es Franziskus dort erlebt hat. Und dieses jetzt hier wirklich wieder in den Vatikan hier nach Europa zurückzubringen, das ist natürlich eine Aufgabe, die kann nicht in einem Jahr passieren. Da wird es fünf oder 15 Jahre zu brauchen. Aber der Kurswechsel hat stattgefunden. Was mir bloß große Sorge macht: Es gibt anscheinend im Vatikan auch sehr, sehr harte und beharrende Widerstände. Das fängt an von einem Kardinal Müller, von einem Erzbischof Gänswein bis hin natürlich hier auch in Deutschland zu dem Kardinal Meisner. Das geht zu Tebartz-van Elst. Da scheint eine große Kluft zwischen Bischöfen und dem Papst zu sein, die auf der Linie des Konzils liegen, und anderen, die beharrende Kräfte sind, und das stellt die katholische Kirche im Augenblick vor eine Zerreißprobe.
    Heckmann: In Münster beginnt heute die Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz und da wird ein Nachfolger für den Vorsitzenden Robert Zollitsch gesucht. Wir haben gesprochen mit Christian Weisner. Er ist Sprecher der Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“. Herr Weisner, ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Weisner: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.