"Für den 'Felsen' ist der freie Grenzverkehr etwas enorm Wichtiges. Derzeit kann niemand abschätzen, wie die Lage ohne ein Abkommen würde."
Als Journalistin der GBC, Gibraltar Broadcasting Corporation, beobachtet Christine Vasquez die laufenden Verhandlungen über eine Brexit-Anschlussregelung mit Argwohn. The Rock - den Felsen - nennen die gut 32.000 Gibraltarer ihre 6,5 Quadratkilometer an der Südspitze Europas liebevoll. Diese britischen Staatsbürger haben zu 96 Prozent gegen den Brexit gestimmt und bangen nun.
Gibraltar - zweitgrößter Arbeitgeber für Andalusien
Joseph Garcia ist stellvertretender Chiefminister und zuständig für Brexit:
"Wir brauchen einen vernünftigen Weg nach vorne, der die Interessen der Menschen auf beiden Seiten der Grenze berücksichtigt. Es gibt sehr enge wirtschaftliche Verflechtungen zwischen Gibraltar und Spanien. Nicht nur, weil täglich 15.000 Menschen aus Spanien zum Arbeiten nach Gibraltar kommen, sondern auch weil Gibraltar Waren im Wert von 1,5 Milliarden Euro jedes Jahr aus Spanien importiert."
Gibraltar ist zweitgrößter Arbeitgeber für Andalusien, ein Fünftel des Bruttosozialproduktes der Provinz Cádiz wird in Gibraltar erwirtschaftet. Nicht auszudenken, was Waren- und Personenkontrollen für die Entwicklung des Felsen und der angrenzenden spanischen Regionen bedeuten würden. Der Brexit wurde freilich auch für Gibraltar am 31. Januar Realität. Für die Übergangsfrist bis Ende des Jahres gelten jetzt speziell vier Memoranden, die in einem eigenen Gibraltar Protokoll festgehalten wurden. Spanien und Gibraltar haben darin die Kooperation in Bürgerrechtsfragen, beim Tabakschmuggel, bezüglich der Umwelt und des Polizei- und Zolleinsatzes vereinbart.
Eintritt in die EU-Zollunion erwogen
Vor allem der Schmuggel stellt aus spanischer Sicht ein großes Problem dar - ist doch Gibraltar offiziell weder Teil der Zollunion noch des Binnenmarktes an sich und hat sein wirtschaftliches Modell auf niedrigen Steuern, Zöllen und Finanzdienstleistungen errichtet. Umso erstaunlicher, dass die Regierung jetzt sogar über einen Eintritt in die EU-Zollunion nachdenkt. Der stellvertretende Chiefminister Joseph Garcia:
"Wir müssen dafür sorgen, dass sowohl der Personen- als auch der Güterverkehr fließt. Eine Zollunion würde den freien Verkehr von Waren ermöglichen, aber parallel dazu müssten wir noch für freien Personenverkehr sorgen."
Denn nicht weniger als zehn Millionen Touristen reisten vor Corona alljährlich nach Gibraltar ein - neben den 15.000 täglichen Pendlern - und es gibt nur eine einzige Landgrenze.
"Schengen beizutreten oder ein Assoziierungsabkommen zu dem EU-Raum mit freiem Personenverkehr ist mit Sicherheit eine mögliche Lösung aus unserer Sicht", erklärt Gibraltars Brexitminister Joseph Garcia, der sich optimistisch gibt.
Denn das böse Coronavirus hatte im Süden der iberischen Halbinsel auch etwas Gutes: Es hat die Zusammenarbeit zwischen Spanien und Gibraltar gefördert. Beide ziehen jetzt sogar an einem Strang, wenn es um die Zukunft nach dem Brexit geht.
Diesmal geht es nicht um Hoheitsrechte
"Die Uhr tickt. Der 31. Dezember rückt näher und Großbritannien sollte den Verhandlungen über das künftige Verhältnis zur Europäischen Union einen neuen Impuls geben. Wichtig ist aber auch, die Verhandlungen Spaniens mit Gibraltar mit neuer Dynamik zu versehen", sagte Spaniens Außenministerin Arancha González Laya unlängst nach einem Treffen mit Gibraltars Chiefminister Fabian Picardo in Algeciras.
Ein Treffen, das für Unmut bei der Opposition in Spanien sorgte, die behauptete, González Laya habe somit faktisch die Souveränität Gibraltars anerkannt. Dieses Mal geht es aber ausnahmsweise nicht um Hoheitsrechte: Die Gibraltarer wollen britisch, aber eng bei Spanien bleiben.
Faktisch kann Großbritannien jede Regelung Gibraltars mit Spanien blockieren und umgekehrt Spanien jedwede Abmachungen Großbritanniens mit der EU mit Veto belegen. Und was, wenn es keinen Vertrag gibt?
"Es gibt die Memoranden für Kooperation zwischen Spanien und Gibraltar, und man könnte diese verlängern und darauf eine eigene Beziehung für die Zukunft aufbauen", glaubt Christine Vasquez vom Radio- und Fernsehsender GBC in Gibraltar.