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Zora del Buono: "Die Marschallin"
Politik, Patienten, Palaver

Ihr Mann Pietro soll Marschall Tito mit einer Röntgenaufnahme das Leben gerettet haben. Doch die slowenisch-italienische Arztgattin Zora Del Buono, Inhaberin von fünf Pässen, tritt in dem Porträt, das ihr ihre Enkelin gewidmet hat, aus dem Schatten ihres Mannes heraus und wird zu einer Jahrhundertfigur.

Von Katrin Hillgruber |
Buchcover: Zora del Buono: „Die Marschallin“, im Hintergrund eine historische Hausfassade in Süditalien.
Zora del Buonos Großmutter "Die Marschallin" hielt in einer prächtigen italienischen Villa Salon (Buchcover: C.H. Beck Verlag, Hintergrund: imago images/Michael Eichhammer)
Die Autorin Zora del Buono schreibt das "del" in ihrem Namen klein, was wie das deutsche "von" eine adelige Herkunft signalisiert. Davon hatten sich die linken Großeltern distanzieren wollen, indem sie "Del" großschrieben. Zora Grandissima, Zora die Größte, oder einfach "die Marschallin": So wurde die Arztgattin und politische Aktivistin Zora Del Buono von ihren Bewunderern im süditalienischen Bari genannt. Es muss für die gleichnamige Enkelin nicht leicht gewesen sein, ihre Großmutter väterlicherseits zu porträtieren, nach der sie und eine Cousine benannt wurden.
"Ich wusste immer, dass es dieses Buch einmal geben wird, weil die Geschichte meiner Großeltern so illuster war, und weil es immer diese Erzählungen gab, wie eben 'Mein Großvater hat Josip Broz Tito das Leben gerettet.' Dass es jetzt gekommen ist, denke ich, liegt auch daran, dass ich sehr in die Pflege oder Begleitung meiner alten Mutter involviert bin. Von daher fand ich es ganz schön, wenn ich jetzt in diese Vergangenheit dieser Familie eintauche, und ich wollte auch unbedingt es gern so geschrieben haben, dass meine Mutter noch in der Lage ist, es zu lesen, weil es ja auch ihre Geschichte ist, obwohl sie ja nur die Schwiegertochter ist dieser Protagonistin."
Liebeserwachen in der Ambulanz
Die schillernde Großbürgerin und streitbare Zeitgenossin Zora Del Buono kam 1896 als Zora Ostan im slowenischen Städtchen Bovec zur Welt. Auf Deutsch heißt es Flitsch und gehörte zum sogenannten Österreichischen Küstenland der K.-u.-k-Monarchie. Zora verlor früh ihre Mutter und verbrachte einige Jahre in einem Internat in Wien, einer Stadt, nach der sie sich später immer sehnte. Während der Isonzo-Schlachten im Ersten Weltkrieg wurde Bovec weitgehend zerstört und gelangte unter italienische Hoheit.
Zora bringt einen ihrer kleinen Brüder, der sich beim Spielen mit Patronen verletzt hat, in die Ambulanz. Dort lernt sie ihren späteren Mann kennen, den Radiologen Pietro del Buono – 23 Jahre alt, rothaarig und Sizilianer. Italiens nach eigenen Angaben jüngster Arzt hat in Berlin studiert und sich der Komintern angeschlossen. Das gibt der Autorin und Wahlberlinerin Gelegenheit zu Passagen mit Lokalkolorit.
"Auf seinem Nachttisch in der Eckwohnung in der Eisenacher Straße, wo er sich als Zimmerherr bei einer fahrigen Kriegswitwe eingemietet hatte, lag Alfred Döblins Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine, er las jeden Abend ein paar Seiten, um sein Deutsch zu verbessern, aber auch, um die Psyche der Deutschen zu verstehen, die ihm tiefgründiger, ja abgründiger erschien als die der Italiener, als ob die Dunkelheit des Nordens sich in den Seelen festgesetzt hätte und darunter verborgene Dinge loderten, die sich im Süden gar nicht hatten entwickeln können."
Der Schriftsteller David Albahari
Der Schriftsteller David Albahari (imago images / Leemage)
David Albahari: "Heute ist Mittwoch" - Mein Vater, der Massenmörder
Alt und krank erzählt der Vater seinem Sohn, der zu ihm nach Belgrad gezogen ist, aus seinem Leben – und entpuppt sich als eiskalter Verbrecher unter Tito. Abscheu über die Enthüllungen und die zugleich weiterhin bestehende Zuneigung zu seinem Vater stürzen den Sohn in einen Konflikt.
Der Hinweis auf Alfred Döblin ist typisch für Zora del Buonos Vorgehensweise: Häufig streut sie in die erzählte Zeit zwischen 1919 und 1980, dem Todesjahr der Großmutter, Buchtitel, Zitate oder Erwähnungen von Geistesgrößen wie Sigmund Freud, des Futuristen Filippo Tommaso Marinetti oder des Anarchisten Antonio Gramsci ein, mit dem die Familie befreundet war. Das verleiht dem Roman zwar viel Zeitkolorit, wirkt aber zuweilen etwas künstlich, vor allem, wenn die Berühmtheiten in den zahlreichen Dialogen zitiert werden.
Etwas Dunkles in der Familie
Zora und Pietro bekommen drei Söhne: Davide, Greco und Manfredi, den Vater der Verfasserin. Er verunglückte mit 33 Jahren bei einem Autounfall in der Schweiz. In dieser Beziehung scheint ein Fluch über der Familie zu liegen – für die Autorin ein entscheidender Erzählanlass:
"Das ist etwas, was mich von anderen Kindern schon unterschieden hat, fand ich immer: Das ist etwas Dunkles in dieser Familie, und da ist so viel Unglück und immer Unfälle. Jemand geht aus dem Haus, steigt ins Auto und kommt nicht mehr nach Hause. Das passierte halt fünfmal in der Familie, und auch eben in der nächsten Generation, was ich dann nicht mehr erzählt hatte, nochmal und noch öfter. Und das war schon ein Verstehen-Wollen und Damit-Umgehen-Wollen mit dieser Trauer."
Zora del Buono porträtiert die Unfalltoten in kurzen Resümees, darunter Fiammetta, eine der interessantesten Nebenfiguren, die das Geschehen scharf analysiert. Die Chemielaborantin aus Rom ist eine von Zoras Schwiegertöchtern. Sie haben allesamt einen schweren Stand, denn die "Marschallin" duldet keine weibliche Konkurrenz. Als Marxistin ist sie davon überzeugt, dass die vom Patriarchat unterdrückten Frauen ihre Machtlosigkeit durch Lug und Betrug ausgleichen. Zoras nie endender Kampf gegen ihre Schwiegertöchter beschert dem Roman seine heitersten Passagen.
Prächtige Villa mit 23 Zimmern
Nach Stationen in Palermo und Neapel lassen sich die Del Buonos in der Hochphase des italienischen Faschismus in Apuliens Hauptstadt Bari nieder, wo Pietro eine Privatklinik gründet. Fortan dreht sich alles um die drei großen P, wie es heißt: Politik, Palaver und Patienten. Um ihrem großbürgerlichen Haushalt den passenden Rahmen zu verleihen, plant Zora nach dem Vorbild des Postamts von Palermo eine prächtige Villa mit 23 Zimmern, die sich heute nicht mehr in Familienbesitz befindet. Ist es da ein Zufall, dass ihre Enkelin Architektur studiert hat?
"Was immer noch dransteht, draußen in den Sandstein eingemeißelt, ist ‚Professore Del Buono, radiologia' oder ‚radio x'. Dieses Haus war ein herrschaftliches Haus, aber auch ein modernistisches Haus. Und das hat mich sicher sehr geprägt, ich habe auch immer ein Bild neben meinem Bett gehabt von dieser Halle, mit diesen Kronleuchtern. Vielleicht habe ich auch deswegen Architektur studiert, um dieses Haus zu finden. Aber dieses Haus war ja mehr als nur Architektur, es war auch ein Ort, wo viele Menschen zusammenkamen, und das hat mir immer sehr gut gefallen. Und ich glaube, sie hätte sich gefreut, wenn sie gesehen hätte, dass ich Architektin geworden bin. Und wahrscheinlich hätte sie sich auch gefreut über die Schriftstellerei."
Hort der Resistenza
Der Geist brauche Nahrung, nur wer liest, könne schreiben, ist die "Marschallin" überzeugt. In ihrem Domizil in der Via Dieta di Bari werden die entsprechenden Ideen diskutiert, es wird zu einem Hort der Resistenza. Und da die Verbindungen ans andere Ufer der Adria nie abreißen, steht 1944 großer Besuch ins Haus.
"Tito ging zwei Schritte Richtung Treppenaufgang, öffnete die Arme weit, als sei er ein Tenor, der zur Arie ansetzt. ‚Es ist mir eine Ehre, Gast im Haus einer Genossin der Volksbefreiungsarmee zu sein, einer grandesignora mit humanitärer Gesinnung, mit Liebe für die Freiheit und das Vaterland.' Alle atmeten wieder. Was für ein Theater, dachte Pietro."
1948 fiel Tito bei Stalin in Ungnade. Zora und Pietro Del Buono werden aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen, was für sie eine tiefe Zäsur bedeutet. Außerdem kommt es in ihrem Umfeld zu einem geheimnisumwitterten Mord. All diese Ereignisse veranlassen die Autorin, an diesem Punkt ihre multiperspektivische Außendarstellung der Großmutter abzubrechen. Der bis dahin eher konventionell gehaltene Roman mündet in einen launigen Monolog der Hauptfigur, gehalten im Februar 1980 in einem slowenischen Seniorenheim.
Ein Haus in Romanform
Zora del Buono hat ihrer Großmutter ein Haus in Romanform erbaut. Nach bester italienischer Tradition wird darin vor allem der lebendigen Streitkultur gehuldigt. Salonkommunistin: In diesem mitunter emphatischen Epochengemälde kommt der Ausdruck einem Adelsprädikat gleich, getreu dem Motto, das von dem spanischen Dramatiker del Valle-Inclán stammt: "Kommunismus ist Aristokratie für alle."
Zora del Buono: "Die Marschallin"
C.H. Beck Verlag, München. 382 Seiten, 24 Euro.