Ein Mann schreibt einer ihm unbekannten Frau, schlägt ihr einen Briefwechsel vor. Eine tiefe, freie Korrespondenz, tabulos, wie ein Chat im Internet, doch David Grossman hat in seinen Romanen stets die langsame Annäherung, die scheinbar konventionelle Kommunikation beschrieben, so fiel der Sturz in den Abgrund der unausgesprochenen Erwartungen um so spektakulärer aus. Sei du mir das Messer hieß die anfangs zitierte, 1998 erschiene Exkursion in das Labyrinth emotionaler Projektionen und die Konkurrenz zwischen Phantasie und Wirklichkeit. Nach einem Abstecher in die Szene jüdischer Trebegänger in Jerusalem setzt David Grossman nun sein Echolot der Abgründe und Sehnsüchte hinter der Fassade bürgerlicher Konventionen fort. Doch scheint im jetzt die atemlose Zeruya Shalev die Feder geführt zu haben. Hastig und ohne Halt sprudelt dem Erzähler die Geschichte des eifersüchtigen Shaul aus dem Mund. "Raserei" lautet auch der Titel der ersten von zwei Erzählungen, die sich in seinem neuen Buch bei Hanser finden.
Wie hält sie das nur aus, denkt er, immer wieder diese Rituale, die sie akribisch befolgen muss, das nervöse Gerenne durch die Wohnung, bevor sie geht, Schranktüren, die zugeknallt werden, aufgerissene und zugeschobene Schubladen, etwas Enges und Verschlossenes ergreift in solchen Momenten von ihrem hübschen Gesicht Beisitz, nur nichts übersehen, ein vergessener Kamm, ein Buch oder das Shampoo, und schon bricht das Ganze in sich zusammen.
Dazu David Grossman:
Wissen Sie, dieser Shaul ist eine ziemlich langweilige Person, ein Art Wissenschaftler, gebildet, aber trocken, ein Mann ohne Humor. Ich habe aber festgestellt, dass uns die Eifersucht verwandelt. Einmal eifersüchtig wird auch die rationalste Persönlichkeit sehr kreativ. Plötzlich werden wir alle Schriftsteller und Damatiker und denken uns komplexe Theaterstücke aus, facettenreiche Dramen mit minutiös rekonstruierten Details. Leidenschaftlich werden die Requisiten unserer Dramen koloriert.
Zwölf Jahre schon verfolgt den Autor die Geschichte dieser Eifersucht. Zwölf Jahre lang fing David Grossman immer wieder von vorne an, nie aber fand er einen adäquaten Gegenpart, eine Person, der dieser eifersüchtige Shaul seine Passionsgeschichte beichten konnte, ohne mit sich mit ihm zu streiten oder mit ihr ins Bett zu gehen. Und dann legte Grossman den Text wieder beiseite und schrieb einen anderen Roman. Bis ihm Esti, die Schwägerin von Shaul einfiel.
In einem alten Volvo chauffiert Esti den verletzten Schwäger Shaul nach Mitzpe Ramon in den Süden Israels. Auf dieser langen Autofahrt - viel weiter kann man in Israel kaum fahren, flach gelegt durch seinen Gips, der sein zwischen Knöchel und Knie gebrochenes Bein umschließt und damit den ganzen unruhigen Kerl zwischen Krücke und Windschutzscheibe auf die Rückbank sperrt, auf dieser Reise mit der ihm unbekannten und bisher auch unsympathischen Frau seines Bruders bricht es aus ihm heraus, alle Verdächtigungen, alle Phantasien, die detaillierten Bilder seiner Eifersucht, die der gehörnte Ehemann seit 25 Jahren still für sich selbst behalten hat. David Grossman:
In dieser Geschichte, die Shaul seiner Schwägerin erzählt, findet sich die Herzkammer seiner Eifersucht: das Bild von Elisheva, seiner Frau, die jedes Jahr für vier Tage in die Wüste geht. Dorthin geht sie allein, sie erlaubt ihm nicht, sie zu begleiten. Für den Eifersüchtigen ist das die Hölle. Da kann er sich ausdenken, was sie in diesen vier Tagen mit ihren Liebhabern in der Wüste alles anstellen kann. Und Shaul glaubt wirklich daran, dass sich seine Frau in dem Moment verwandelt, in dem sie sich seiner Kontrolle entzieht, seine Einflusssphäre verlässt. In diesem Augenblick beginnt ihr Körper, denkt Shaul, Signale auszusenden, auch wenn sie selbst davon nichts wissen sollte. Er fängt an Pheromone zu versprühen, die Aufmerksamkeit aller Männer in ihrer Umgebung zu erregen, die Männer können sich dem nicht entziehen.
Und er beschreibt es Esti, wie eigentlich alle Männer in Israel, die grade noch mit ihren Frauen gesprochen haben, beim Mittagessen saßen oder auf der Couch vor dem Fernseher, erregt mit ihre Nüstern beben, sie saugen den Geruch von Elisheva auf. Sie lassen alles fallen, schlafwandlerisch folgen sie diesem Duft, diesem horizontalen Magnetismus ihrer Sexualität. Alle treffen in der Wüste ein, bauen dort ein riesiges Militärcamp auf, formieren sich zu Gruppen und beginnen, sie zu suchen. Auch Shaul, der Ehemann, wird in das Lager gebracht. Sie brauchen ihn, um ihnen seine Ehefrau zu beschreiben. Sie brauchen ihn, um ihren Geruch an ihm aufzunehmen und er braucht diesen Teil der Geschichte, um seine Erniedrigung komplett zu machen. Dadurch, dass sie ihn zwingen, ihnen auf den Spuren zu seiner Frau zu dienen, wird er von ihnen ausgezehrt, im übertragenen Sinne fressen sie ihn auf und rauben ihm die Männlichkeit. Denn das geschieht mit uns, wenn uns die Eifersucht ergreift.
... und es herrscht ein reges Treiben, und jede Menge Geld wechselt den Besitzer. Plötzlich erwacht er: Er meint, etwas Bekanntes auszumachen: ein Kleid von ihr ! Sein Herz hüpft vor Freude. Das geblümte Sommerkleid, dünn und grün, das vorne mit runden Holzknöpfen geschlossen wird. Was macht ein Kleid von ihr hier ? Vielleicht ist es purer Zufall, beruhigt er sein Herz, dem Schlimmes schwant, aber sogleich sieht er auf einem weiteren Kleiderbügel die weiße Bluse mit Sthkragen und den aufgestickten Zitronen hängen, und am nächsten Stand entdeckt er das T-Shirt, das sie auf der Reise nach Florenz erstanden hatte, und darüber hing das lockere lila Kleid, weiblich bis zum Zerbersten.
Alles wird verhökert auf diesem Wüstenmarkt, Shaul irrt zwischen den Ständen herum und kann sich nicht einen Fetzen aus dem Fundus seiner Gattin leisten, um den sich ihre Liebhaber reißen. Es ist sein Waterloo. Wobei der Leser nicht mehr weiß, was ist hier Wahn, was Wirklichkeit. Die Wahrheit scheint: Die Eifersucht Shauls braucht längst nicht mehr den Seitensprung um sich im tristen Leben dieses Ehepaares zu etablieren, der Ehemann braucht dies starke Gefühle zum Überleben in der Einsamkeit. Das Gedächtnis der Haut heißt die namensgebende Erzählung in diesem Band. In ihr nimmt die Tochter an der Seite ihrer sterbenden Mutter Platz und liest ihr vor, wie sie es als Mädchen empfand, als sich ihre Mutter mehr um einen jungen Schüler als die Tochter kümmerte.
Es ist der Gegenschuß in diesem Drehbuch einer literarischen Expedition in das Reich emotionaler Obsessionen, Großman geht es um Einsamkeit und Eifersucht und was das Leben dabei aus uns macht. Und hier schließt sich der Kreis zu dem israelischen Schriftsteller selbst. Rotem liest ihrer Mutter aus einer Erzählung vor, die sie selbst schrieb. Es ist das Protokoll ihrer wütenden Phantasie, in der die Tochter sich in ihrer Eifersucht zusammen dichtete, was ihre Mutter damals mit dem Yoga Schüler trieb. Mit dieser Exegese des Verrats kann sie ihre Verletzung durch die Mutter überwinden und hier knüpft auch das literarische Credo von David Grossman an:
Auch wenn, wie es Rotem am Ende der Geschichte klar wird, ihr Text kein einziges Körnchen Wahrheit enthält, sich alles anders abgespielt hat und ihre Erzählung nichts als ein Haufen Illusionen, Irrtümer und Phantasmagorien enthält, dann macht das nichts. Denn dies ist nun ihr Platz geworden, in dieser Welt hat sie sich eingerichtet, dies ist ihr Heim. Geborgen hat sie sich bei ihrer Mutter nie gefühlt. Diese Geschichte ist nun ihr Refugium, ihr Heim. Und mit diesem Gefühl kann ich mich sehr gut identifizieren: je unerträglicher die Welt wird, je unentzifferbarer, je grausamer, je mehr ich von Informationen, die für mich völlig irrelevant sind, von Fakten und Gegebenheiten überflutet werde, gegen die ich mich nur sehr mühevoll wehren kann, für die ich so viel Energie aufwenden muß, um mich ihnen anzupassen, desto stärker wird für mich der Text, meine Erzählung, das Buch, an dem ich gerade schreibe zu meinem Heim, dies ist der wichtigste Ort für mich. Ein Ort, den ich nach zwei, drei Jahren Arbeit verlassen kann, wo ich die Menschen kenne, ihre Charaktere verstehe, eine Welt, deren Logik ich verstehe, dies ist mein Heim.
David Grossman
Das Gedächtnis der Haut
EUR 21,50
Wie hält sie das nur aus, denkt er, immer wieder diese Rituale, die sie akribisch befolgen muss, das nervöse Gerenne durch die Wohnung, bevor sie geht, Schranktüren, die zugeknallt werden, aufgerissene und zugeschobene Schubladen, etwas Enges und Verschlossenes ergreift in solchen Momenten von ihrem hübschen Gesicht Beisitz, nur nichts übersehen, ein vergessener Kamm, ein Buch oder das Shampoo, und schon bricht das Ganze in sich zusammen.
Dazu David Grossman:
Wissen Sie, dieser Shaul ist eine ziemlich langweilige Person, ein Art Wissenschaftler, gebildet, aber trocken, ein Mann ohne Humor. Ich habe aber festgestellt, dass uns die Eifersucht verwandelt. Einmal eifersüchtig wird auch die rationalste Persönlichkeit sehr kreativ. Plötzlich werden wir alle Schriftsteller und Damatiker und denken uns komplexe Theaterstücke aus, facettenreiche Dramen mit minutiös rekonstruierten Details. Leidenschaftlich werden die Requisiten unserer Dramen koloriert.
Zwölf Jahre schon verfolgt den Autor die Geschichte dieser Eifersucht. Zwölf Jahre lang fing David Grossman immer wieder von vorne an, nie aber fand er einen adäquaten Gegenpart, eine Person, der dieser eifersüchtige Shaul seine Passionsgeschichte beichten konnte, ohne mit sich mit ihm zu streiten oder mit ihr ins Bett zu gehen. Und dann legte Grossman den Text wieder beiseite und schrieb einen anderen Roman. Bis ihm Esti, die Schwägerin von Shaul einfiel.
In einem alten Volvo chauffiert Esti den verletzten Schwäger Shaul nach Mitzpe Ramon in den Süden Israels. Auf dieser langen Autofahrt - viel weiter kann man in Israel kaum fahren, flach gelegt durch seinen Gips, der sein zwischen Knöchel und Knie gebrochenes Bein umschließt und damit den ganzen unruhigen Kerl zwischen Krücke und Windschutzscheibe auf die Rückbank sperrt, auf dieser Reise mit der ihm unbekannten und bisher auch unsympathischen Frau seines Bruders bricht es aus ihm heraus, alle Verdächtigungen, alle Phantasien, die detaillierten Bilder seiner Eifersucht, die der gehörnte Ehemann seit 25 Jahren still für sich selbst behalten hat. David Grossman:
In dieser Geschichte, die Shaul seiner Schwägerin erzählt, findet sich die Herzkammer seiner Eifersucht: das Bild von Elisheva, seiner Frau, die jedes Jahr für vier Tage in die Wüste geht. Dorthin geht sie allein, sie erlaubt ihm nicht, sie zu begleiten. Für den Eifersüchtigen ist das die Hölle. Da kann er sich ausdenken, was sie in diesen vier Tagen mit ihren Liebhabern in der Wüste alles anstellen kann. Und Shaul glaubt wirklich daran, dass sich seine Frau in dem Moment verwandelt, in dem sie sich seiner Kontrolle entzieht, seine Einflusssphäre verlässt. In diesem Augenblick beginnt ihr Körper, denkt Shaul, Signale auszusenden, auch wenn sie selbst davon nichts wissen sollte. Er fängt an Pheromone zu versprühen, die Aufmerksamkeit aller Männer in ihrer Umgebung zu erregen, die Männer können sich dem nicht entziehen.
Und er beschreibt es Esti, wie eigentlich alle Männer in Israel, die grade noch mit ihren Frauen gesprochen haben, beim Mittagessen saßen oder auf der Couch vor dem Fernseher, erregt mit ihre Nüstern beben, sie saugen den Geruch von Elisheva auf. Sie lassen alles fallen, schlafwandlerisch folgen sie diesem Duft, diesem horizontalen Magnetismus ihrer Sexualität. Alle treffen in der Wüste ein, bauen dort ein riesiges Militärcamp auf, formieren sich zu Gruppen und beginnen, sie zu suchen. Auch Shaul, der Ehemann, wird in das Lager gebracht. Sie brauchen ihn, um ihnen seine Ehefrau zu beschreiben. Sie brauchen ihn, um ihren Geruch an ihm aufzunehmen und er braucht diesen Teil der Geschichte, um seine Erniedrigung komplett zu machen. Dadurch, dass sie ihn zwingen, ihnen auf den Spuren zu seiner Frau zu dienen, wird er von ihnen ausgezehrt, im übertragenen Sinne fressen sie ihn auf und rauben ihm die Männlichkeit. Denn das geschieht mit uns, wenn uns die Eifersucht ergreift.
... und es herrscht ein reges Treiben, und jede Menge Geld wechselt den Besitzer. Plötzlich erwacht er: Er meint, etwas Bekanntes auszumachen: ein Kleid von ihr ! Sein Herz hüpft vor Freude. Das geblümte Sommerkleid, dünn und grün, das vorne mit runden Holzknöpfen geschlossen wird. Was macht ein Kleid von ihr hier ? Vielleicht ist es purer Zufall, beruhigt er sein Herz, dem Schlimmes schwant, aber sogleich sieht er auf einem weiteren Kleiderbügel die weiße Bluse mit Sthkragen und den aufgestickten Zitronen hängen, und am nächsten Stand entdeckt er das T-Shirt, das sie auf der Reise nach Florenz erstanden hatte, und darüber hing das lockere lila Kleid, weiblich bis zum Zerbersten.
Alles wird verhökert auf diesem Wüstenmarkt, Shaul irrt zwischen den Ständen herum und kann sich nicht einen Fetzen aus dem Fundus seiner Gattin leisten, um den sich ihre Liebhaber reißen. Es ist sein Waterloo. Wobei der Leser nicht mehr weiß, was ist hier Wahn, was Wirklichkeit. Die Wahrheit scheint: Die Eifersucht Shauls braucht längst nicht mehr den Seitensprung um sich im tristen Leben dieses Ehepaares zu etablieren, der Ehemann braucht dies starke Gefühle zum Überleben in der Einsamkeit. Das Gedächtnis der Haut heißt die namensgebende Erzählung in diesem Band. In ihr nimmt die Tochter an der Seite ihrer sterbenden Mutter Platz und liest ihr vor, wie sie es als Mädchen empfand, als sich ihre Mutter mehr um einen jungen Schüler als die Tochter kümmerte.
Es ist der Gegenschuß in diesem Drehbuch einer literarischen Expedition in das Reich emotionaler Obsessionen, Großman geht es um Einsamkeit und Eifersucht und was das Leben dabei aus uns macht. Und hier schließt sich der Kreis zu dem israelischen Schriftsteller selbst. Rotem liest ihrer Mutter aus einer Erzählung vor, die sie selbst schrieb. Es ist das Protokoll ihrer wütenden Phantasie, in der die Tochter sich in ihrer Eifersucht zusammen dichtete, was ihre Mutter damals mit dem Yoga Schüler trieb. Mit dieser Exegese des Verrats kann sie ihre Verletzung durch die Mutter überwinden und hier knüpft auch das literarische Credo von David Grossman an:
Auch wenn, wie es Rotem am Ende der Geschichte klar wird, ihr Text kein einziges Körnchen Wahrheit enthält, sich alles anders abgespielt hat und ihre Erzählung nichts als ein Haufen Illusionen, Irrtümer und Phantasmagorien enthält, dann macht das nichts. Denn dies ist nun ihr Platz geworden, in dieser Welt hat sie sich eingerichtet, dies ist ihr Heim. Geborgen hat sie sich bei ihrer Mutter nie gefühlt. Diese Geschichte ist nun ihr Refugium, ihr Heim. Und mit diesem Gefühl kann ich mich sehr gut identifizieren: je unerträglicher die Welt wird, je unentzifferbarer, je grausamer, je mehr ich von Informationen, die für mich völlig irrelevant sind, von Fakten und Gegebenheiten überflutet werde, gegen die ich mich nur sehr mühevoll wehren kann, für die ich so viel Energie aufwenden muß, um mich ihnen anzupassen, desto stärker wird für mich der Text, meine Erzählung, das Buch, an dem ich gerade schreibe zu meinem Heim, dies ist der wichtigste Ort für mich. Ein Ort, den ich nach zwei, drei Jahren Arbeit verlassen kann, wo ich die Menschen kenne, ihre Charaktere verstehe, eine Welt, deren Logik ich verstehe, dies ist mein Heim.
David Grossman
Das Gedächtnis der Haut
EUR 21,50