Sonntagnachmittag auf einer sonnigen Terrasse im Bergischen Land. Hier treffen sich Zoroastrier - drei Frauen, drei Männer und zwei kleine Kinder. Es gibt Kaffee und Kuchen, Wasser und Bier - beste Voraussetzungen für ein entspanntes Gespräch über die Religion, die sich auf den Propheten Zarathustra beruft. Oder etwa doch nicht?
"Wenn wir uns gemeinsam treffen, eigentlich reden wir nicht über Religion", sagt Banoo, die Gastgeberin. Und Jasmin sieht es ähnlich: "Für mich persönlich, die hier aufgewachsen ist, und so wie ich es meinen Kindern weitergebe, ist es einfach eine Lebensweise."
"Zarathustra ist kein Prophet, sondern ein Philosoph"
Wer im Lexikon nachschlägt, der liest, dass der Zoroastrismus eine tausende Jahre alte iranische Religion ist. Doch hier am Kaffeetisch bezeichnen sie diese "Religion" lieber als Lehre, Philosophie oder Kultur. Mit dem "Ismus" im deutschen Wort Zoroastrismus tun sie sich auch schwer, das klinge so dogmatisch. Und sie sehen in Zarathustra auch keinen Propheten, sondern einen bedeutenden Denker.
"Ältere Generationen werden auch Zarathustra als Prophet kennen und nennen. Aber da wir unser Wissen erweitert haben, wissen wir, dass der Zarathustra kein Prophet ist, dass er nicht von Gott gekommen ist, sondern ein Philosoph. Und wir dürfen selber entscheiden, was richtig ist und was falsch ist und wie wir handeln möchten", sagt Mojdeh.
Sie und andere sehen in Zarathustra einen Philosophen, dessen Lehre später fälschlicherweise zu einer Religion gemacht wurde. Die meisten hier am Kaffeetisch sind vor rund 35 Jahren nach Deutschland gekommen – also nach der Islamischen Revolution im Iran. Zoroastrier haben es als Minderheit im Iran nicht immer leicht – zumal ihre Lehre dort in den vergangenen Jahren wieder beliebter geworden ist, als Alternative zum Islam. Deshalb verständigen sich die Anwesenden darauf, im Radio nur ihre Vornamen zu nennen.
Bis zu 700 Zoroastrier leben in Deutschland
Sie alle wurden in zoroastrische Familien geboren, sind also nicht konvertiert, und sie gehören dem Zarathustrischen Verein Deutschland an. Den gibt es ebenfalls seit 35 Jahren, erklärt Jasmin, die aktuelle Vereinsvorsitzende:
"Mittlerweile fassen wir im Verein rund 400 Mitglieder. Kann ich mich persönlich auch nur glücklich schätzen, denn sonst hätte ich die Truppe in dem Ausmaß auch nicht wiedergefunden und hätte auch nicht die Möglichkeit, das meinen Kindern und der nächsten Generation weiterzugeben."
Reihe "Wir sind die Sonstigen – kleine Religionen in Deutschland"
In Deutschland leben Christinnen und Christen, Konfessionslose und Religionsfreie, Muslime und Jüdinnen, Buddhistinnen und Hindus. Und "Sonstige". So werden kleinere Religionsgemeinschaften in Statistiken oft bezeichnet. Doch wer verbirgt sich dahinter? Wir haben Drusen und Jainas getroffen, ein daoistisches Zentrum und einen Sikh-Tempel besucht, mit Mandäern, Jesidinnen und Bahá’i gesprochen sowie mit Quäkern und Zorostriern – und nach langer Suche sogar jemanden gefunden, der sein Leben am Shintoismus ausrichtet.
In Deutschland leben Christinnen und Christen, Konfessionslose und Religionsfreie, Muslime und Jüdinnen, Buddhistinnen und Hindus. Und "Sonstige". So werden kleinere Religionsgemeinschaften in Statistiken oft bezeichnet. Doch wer verbirgt sich dahinter? Wir haben Drusen und Jainas getroffen, ein daoistisches Zentrum und einen Sikh-Tempel besucht, mit Mandäern, Jesidinnen und Bahá’i gesprochen sowie mit Quäkern und Zorostriern – und nach langer Suche sogar jemanden gefunden, der sein Leben am Shintoismus ausrichtet.
Jasmin und die anderen schätzen, dass die meisten Zoroastrier in Deutschland auch Mitglied in dem Verein sind. Das deckt sich mit wissenschaftlichen Angaben, die davon ausgehen, dass in Deutschland rund 500 bis 700 Zoroastrier leben. Ein Kulturverein also – dann fällt aber doch immer mal wieder der Begriff "Religion".
Mojdeh: "Religion gibt Halt, Religion gibt Identität. Und für die Kinder ist das ganz wichtig, dass die genau wissen, das ist meine Religion. Und was bei uns das Schöne ist, dass wir selber entscheiden, was nehme ich von dieser Lehre."
"Gut denken, gut reden, gut handeln"
Wie Mojdeh sieht es auch ihr Ehemann Rostam: Sie verstehen den Zoroastrismus als undogmatische Lehre ohne strenge Regeln.
Rostam: "Wir haben diese Freiheit, und diese Freiheit genießen wir."
Allen hier sind aber drei Prinzipien wichtig, die im Zoroastrismus zentral sind: "Gut denken, gut reden, gut handeln".
Mojdeh: "Was ich meinen Kindern nur beibringen möchte, dass diese Lehre dieses gute Reden, Handeln, Sprechen ist - und das reicht."
Die drei Prinzipien sollen auf Zarathustra selbst zurückgehen, der vor langer Zeit im Gebiet des heutigen Iran gewirkt haben soll – vor zweieinhalb-, drei- oder sogar viertausend Jahren. Da ist sich die Wissenschaft nicht sicher. Im Zentrum von Zarathustras Lehre steht der Schöpfergott Ahura Mazda.
Rostam: "Zarathustra ist der erste, der die Menschen zum Monotheismus eingeladen hat."
"Also sprach Zarathustra"
Der Zoroastrismus gilt als eine der ältesten monotheistischen Religionen. Einst gehörten ihm Millionen Menschen an, bis Muslime den Iran eroberten, der Zoroastrismus über die Jahrhunderte hinweg an Bedeutung verlor und nach und nach verschwand.
Heute soll es weltweit rund 150.000 Zoroastrier geben, auch hier gehen die Schätzungen weit auseinander. Größere Gemeinden leben neben dem Iran in Indien, Pakistan, Australien, Kanada, den USA und Großbritannien. Auch der wohl bekannteste Zoroastrier der Neuzeit war Brite: der Sänger der Band Queen, Freddie Mercury.
Und auch in Deutschland wurden Zarathustra und seine Lehre einst musikalisch bekannt – vor rund 125 Jahren – durch "Also sprach Zarathustra", eine sinfonische Dichtung von Richard Strauss. Sie bezieht sich frei auf die gleichnamige Schrift von Friedrich Nietzsche. Beide Werke – Buch und Komposition - haben mit dem tatsächlichen Zoroastrismus allerdings kaum etwas gemeinsam.
In Deutschland gibt es keine zoroastrischen Tempel und Priester
Auch einige Aspekte, die in Lexika und Sachbüchern stehen, haben nicht allzu viel zu tun mit der Lehre Zarathustras, wie über sie auf der Terrasse im Bergischen Land philosophiert wird. So liest man oft, diese Religion sei dualistisch. Sie unterteile die Welt strikt in Gut und Böse, Licht und Dunkel. Für diese deutschen Zoroastrier scheint der Dualismus allerdings keinerlei Rolle zu spielen. Und sie hüten auch nicht das Heilige Feuer, für das die Religion bekannt ist. In zoroastrischen Tempeln brennt dieses Feuer permanent. In Deutschland allerdings gibt es weder Tempel noch Feuer - und auch keine Priester, die Mobed.
Jasmin: "Europaweit sind welche da. Und wenn wir jemanden benötigen, dann sind wir dazu angehalten, mit ihm Kontakt aufzunehmen und diesen dann für unseren Anlass herzuholen."
Solche Anlässe können Hochzeiten sein oder Trauerfeiern, oder auch das Fest Sedreh Pushi. Ein Initiationsritual, durch das Kinder im Alter von 12 bis 15 Jahren, aber auch manche Erwachsene in den Zoroastrismus aufgenommen werden. Vergleichbar mit Konfirmation oder Erstkommunion, meint Jasmin, denn beim Sedreh Pushi müssen auch Zoroastrier Gebete kennen:
"Ich weiß, dass es die Gebete gibt. Ich habe eins oder zwei noch von meinen Eltern mitgenommen. Bislang noch nicht an meine Kinder weitergeführt. Spätestens bei dieser Kommunion-Art - falls sich meine Kinder irgendwann dafür interessieren, müssten sie diese Gebete auch verinnerlichen und erlernen, die dann bei der Kommunion aufgesagt werden würden mit dem Mobed zusammen. Überlasse ich aber persönlich meinen Kindern, ob das Interesse daran besteht. Und wenn ja, werde ich ihnen natürlich ermöglichen, diese Ausbildung dann auch zu durchlaufen."
Zoroastrische Gebete in deutschen Kirchen
Vor ein, zwei Generationen sei die Religion noch deutlich wichtiger gewesen, meint die Kaffeerunde – und bei Konvertiten, die meist vom Islam zum Zoroastrismus kommen, sei das auch heute oft noch so. Doch die gebürtigen Zoroastrier hier wirken in Fragen von Religion und Philosophie äußerst entspannt – erinnern sich aber an ihre Eltern, für die das eben noch anders war. Zum Beispiel, als Banoos Vater oder Rostams Mutter in Deutschland zu Besuch waren.
Rostam: "Sie hatte mich gefragt, ob es einen Tempel hier gibt oder irgendwo. Dann hatte sie sich eine Kirche ausgesucht. Da war schon eine Atmosphäre, die sie wirklich beruhigt hat. Und sie hat eine Kerze angezündet."
Banoo: "Auch als mein Vater hier war, wenn er eine Kapelle oder so irgendwo gesehen hat, dann ist er reingegangen wie deine Mutter auch, hat eine Kerze angemacht. Und dann hat er noch seine eigenen Gebete gesungen für sich."
Zoroastrische Gebete in deutschen Kirchen: Auch das klingt nach einer entspannten Religion – die sie hier auf der Terrasse im Bergischen Land lieber Kultur und Philosophie nennen, oder Lebensweise. Nach dem Prinzip "gut denken, gut reden, gut handeln." Und man möchte hinzufügen: gut leben mit Zarathustra.