Wulff: Guten Morgen Herr Lange.
Lange: Herr Wulff, so intensiv wie sich Union und SPD nun um die ostdeutschen Länder kümmern wollen, da kann es ja eigentlich nur noch rapide nach oben gehen. Warum hat das bisher nicht geklappt?
Wulff: Wahr ist natürlich, dass es von 1990 an doch ziemlich kontinuierlich aufwärts gegangen ist in den neuen Ländern. Seit 1997/98 haben wir dort einen Riss in der Entwicklung. Die Schere zwischen Ost und West vergrößert sich wieder, geht auseinander. Die Wachstumsraten in den neuen Ländern sind extrem niedriger als in den westlichen Bundesländern und wir wollten es ja genau umgekehrt. Wir wollten ja die Angleichung der Lebensverhältnisse. Dieser Bruch, diese Rezession der letzten drei Jahre hat etwas mit der politischen Gesamtstimmung in einzelnen dortigen Bundesländern zu tun. Es liegt sozusagen Mehltau über den Ländern, weil man die Eigenentwicklung nicht genügend fördert, den Mittelstand, das Handwerk, die Freiberufler, die Existenzgründer, und weil man die Investitionen nicht kontinuierlich genug vorantreibt. Man hat zum teil ja auch die Investitionen abgedrosselt. Wenn ich den Eigenheimbau sehe, dann ist der eben um 30 Prozent zurückgegangen, weil man auch die Eigenheimzulage seitens der Bundesregierung gekürzt hat.
Lange: Nun wollen Sie den Ausbau der Infrastruktur fördern. Sie wollen Investitionen fördern. So revolutionär neu klingt das aber alles nicht und außerdem wollen das alle Parteien. Wo soll dort das Profil herkommen?
Wulff: Es gibt natürlich immer den Unterschied zwischen Worten und Taten. Wenn man sich in Ländern umguckt, die beim Beschäftigungswachstum besonders erfolgreich sind, dann wird man sehr schnell feststellen: es sind die Länder mit hohen Investitionen, niedrigen Staatsquoten, fairem Steuersystem, die Länder mit flexiblen Regelungen für den Arbeitsmarkt und aktive Arbeitsmarktpolitik. Natürlich übernehmen das dann viele in ihren Forderungen, aber faktisch sind die Investitionen zurückgeführt worden, des Bundes um 11 Milliarden, der neuen Länder im nördlichen Bereich, beispielsweise in Sachsen-Anhalt extrem auf die historisch niedrigste Investitionsquote in der Geschichte Sachsen-Anhalts. So etwas wirkt sich natürlich auf dem Arbeitsmarkt aus. Wir sind ja die letzten Tage dort unterwegs gewesen und dort berichten die Bauhandwerker, die Bauunternehmen über den massiven Einbruch öffentlicher und privater Nachfrage. Das muss stimuliert werden und ich bin davon überzeugt: Ludwig Erhard hat Recht, wenn er sagt, 50 Prozent der Wirtschaft sind Psychologie. Wenn man dann die PDS an der Politik beteiligt, die wirklich nachgewiesen haben, dass sie es nicht können, dann löst man natürlich keine investitionsfreundliche Stimmung aus, sondern dann trägt man mit dazu bei, dass sich über ein Land gewisser Mehltau legt.
Lange: Ihr Kanzlerkandidat braucht in Ost-Deutschland Stimmen bei der Wahl. Manchen klingt ja noch diese Drohung aus dem Süden im Ohr: wenn dort überall die PDS mitmischt, dann werden wir uns das mit der Förderung noch überlegen. Ist das vom Tisch?
Wulff: Das ist ja insofern korrigiert worden, als man natürlich den Respekt vor der Bevölkerung hat, was sie wählt. Aber wir werden natürlich dafür kämpfen, dass sie erkennt, dass sie eben mit der PDS nicht weiterkommt, sondern dass das absolut investitionsfeindlich ist. Es kann ja kein Zufall sein, dass die Länder Sachsen und Thüringen eine extrem gute Entwicklung hingelegt haben und Sachsen-Anhalt absolutes Schlusslicht ist, Mecklenburg-Vorpommern jetzt auch schlecht läuft. Das hat ja zu tun mit politischen Verhältnissen, mit der politischen Stimmung, was den Mittelstand anbelangt. Diese Parteien setzen halt stets auf den Staat und wir setzen auf die Eigenkräfte der Menschen, auf Kreativität, auf Fantasie, auf Risikobereitschaft, auf Mut. Das macht die soziale Marktwirtschaft so stark und da unterscheiden sich die Parteien. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass die Union dort wieder stark wird, weil das den neuen Ländern am besten tut.
Lange: Aus den ostdeutschen Ländern eine Art wirtschaftliche Sonderzone zu machen mit vereinfachten Genehmigungsverfahren und niedrigen Steuersätzen, so wie Sie das jetzt überlegen, das ist ja schon Anfang der 90er Jahre überlegt und dann verworfen worden. Jetzt steht es wieder so ähnlich in diesem Sonderprogramm. Warum?
Wulff: Weil gerade das Verkehrswegebeschleunigungsgesetz für die neuen Länder extrem Erfolg gehabt hat. Wir hätten sonst die Autobahn A20 oben an der Ostsee nicht so schnell vorantreiben können. Jeder dort sieht ein, dass wir den deutschen Wirtschaftsaufschwung in den 50er Jahren nicht gehabt hätten mit unserer heutigen Bürokratie und unseren heutigen Regelungen. Also macht es Sinn, für diese Nachholbedürfnisse der neuen Länder bestimmte Regelungen außer Kraft zu setzen, bestimmtes zu beschleunigen, einfacher zu machen, wobei ich als Vertreter eines älteren Bundeslandes wie Niedersachsen, die etwas länger zur Republik dazugehören, wirklich auch gerne sehe, wenn man für bestimmte Bereiche Beschleunigungsgesetze hätte und Sonderregelungen machen könnte, weil wir einfach ein viel zu bürokratisierter Verwaltungsstaat geworden sind. Das macht aber für die neuen Länder allemal Sinn und wir werden auch diskutieren über bestimmte steuerliche Sonderregelungen. Die hat im übrigen Ludwig Erhard 1956 mal vorgeschlagen: wenn morgen die deutsche Einheit käme, was müssten wir dann tun. Danach durfte ja leider über die deutsche Einheit nicht mehr nachgedacht werden in unserem Land, so dass wir uns leider auch kaum auf diese Situation vorbereiten konnten.
Lange: Sie haben das gerade angedeutet. "Im Osten was Neues" kann ja auch heißen "im Westen nicht viel Neues". Auch bei Ihnen in Niedersachsen gibt es noch strukturschwache Gebiete. Spüren Sie schon so einen Druck von dort, etwa in der Frage "was wird aus uns"?
Wulff: Es gibt in den Grenzregionen des ehemaligen Zonenrandes natürlich zurecht große Sorge, dass Betriebe sich verlagert haben durch die Förderkulisse in den neuen Ländern, dass Aufträge von dort aus durchgeführt werden. Wir müssen natürlich sehen, dass auch in der Bundesrepublik alt erhebliche Strukturunterschiede sind und dass auch dort Probleme vorliegen im Vorantreiben von Verkehrswegen, in Abkopplung von Regionen. Wir sehen schon im Norden, dass der Süden beispielsweise - auch da wieder Bayern und Baden-Württemberg - sich sehr dynamisch entwickeln und im Norden nicht die entscheiden politischen Impulse ausgehen. Wir müssen einfach auch in den Bundesländern im Norden ganz andere politische Impulse geben. Das ist ja auch mein persönliches Anliegen, auch hier in Niedersachsen gewisse Bremsen zu lockern, die es in der Politik des Landes gibt.
Lange: Aber könnten denn die westdeutschen Länder wirklich damit leben, wenn es in Ost-Deutschland auch jetzt noch zusätzliche Standortvorteile zu ihren Lasten geben würde, wo möglich auch noch verfassungsrechtlich verbrieft?
Wulff: Deutschland kann sich überhaupt nur wirtschaftlich dynamischer entwickeln, wenn sich der Osten stärker entwickelt, wenn strukturschwache Räume herangeführt werden. Wir müssen ja auch die neuen Bundesländer fitt machen für die Osterweiterung der Europäischen Union. Es liegt einfach nicht in deutschem Interesse, wenn es dort weiter so trübe aussieht in bestimmten Bundesländern. Dann werden wir erleben, dass auch die Osterweiterung von Deutschland nicht verkraftet werden könnte. Von daher müssen wir ein großes Interesse daran haben, dass dort eine eigenwirtschaftliche Entwicklung abläuft. Es wird zu einem dauerhaften Problemfall, wenn es beispielsweise bei der Abwanderung bliebe, dass junge Leute, dass qualifizierte Leute aus den neuen Bundesländern weggehen und die älteren dort verbleiben. Das wäre wirtschaftlich für die gesamte Bundesrepublik Deutschland nicht so leicht zu schultern, als wenn wir dort zu einer vernünftigen Entwicklung kommen. Deswegen stehen wir allesamt hinter dem Anliegen Aufbau Ost und sagen eben sehr bewusst, das ist nicht nur politisch zur Chefsache zu machen, wie es bei Helmut Kohl immer war, sondern es muss eine Herzenssache sein, wie es bei uns eben ist. Das ist es derzeit bei der jetzigen Regierung augenscheinlich nicht.
Lange: Was die bestreiten wird. - In den Zielen sind sich Union und SPD ja weitgehend einig, aber Hans Eichel sagt, wir werden die Angleichung der Lebensverhältnisse nicht mit neuen Schulden finanzieren. Ist das nicht ehrlicher als die wage Hoffnung auf Privatisierungserlöse und etwas nebulöse Mittelumschichtungen im Haushalt?
Wulff: Wenn man sieht, was die Bundesregierung mit den 100 Milliarden UMTS-Lizenzerlösen gemacht hat, nämlich Länder und Kommunen zu belasten, aber nicht wirklich Investitionen zu steigern und Haushalte zu entlasten, dann weiß man, dass wir auch mit Privatisierungserlösen und überhaupt mit Einnahmen anders und besser umgehen. Die Investitionen sind halt seitens der Bundesregierung in den letzten Jahren zurückgeführt worden. Das ist eben unverantwortlich gewesen. Die Verschuldung ist ausgedehnt worden durch Verlagerung auf Länder und Kommunen. Die Gesamtverschuldung Deutschlands betrug 1998 1,5 Prozent nach den Maastricht-Kriterien; sie beträgt momentan rund 2,7 Prozent und die 3,0 Prozent werden möglicherweise erreicht. Das heißt eine Verdoppelung der Quote durch die rot/grüne Bundesregierung. Das ist außerordentlich unsolide, macht uns gewaltige Probleme im Hinblick auf die Möglichkeiten der nächsten Jahre. Also Investitionsquoten steigern, konsumtive Ausgaben senken. Das hat diese Bundesregierung nicht gemacht. Sie hat die Ökosteuer, die Stromsteuer, die Tabaksteuer, die Versicherungssteuer, alles erhöht, aber trotzdem die Belastung der Bürger nicht gesenkt, sondern die Staatsquote ist gestiegen. Das sind die falschen Impulse, die Wirtschaft nicht ankurbeln.
Lange: Herr Wulff, wir kommen nicht umhin, auch über die Spendenaffäre zu sprechen, die jetzt die SPD beschäftigt. Es fällt auf, wie betont zurückhaltend sich im Moment Unionspolitiker geben, denen man solch eine Zurückhaltung sonst gar nicht zutraut. Wie erklären Sie sich das?
Wulff: Das erkläre ich mir einfach damit, dass wir selber wissen, dass wir vor zwei Jahren im Glashaus saßen, und wer im Glashaus mit Steinen wirft, wird eine ziemliche Berstung von Glas und Scheiben erleben. Aber faktisch verlangen wir, dass die SPD heute die Liste der 42 offen legt, die dort Spenden gestückelt haben sollen, die sich Steuervorteile verschafft haben könnten. Es ist absurd, das mit dem Steuergeheimnis begründen zu wollen, denn wer quasi hier etwas angibt, was er gar nicht eingenommen hat, dann ist es keine Frage des Steuergeheimnisses, sondern eine Frage von Korruption, von Betrug, von Steuerhinterziehung. Damit ist heute schon mal zu sagen, wer dort alles verstrickt ist in der nordrhein-westfälischen SPD. Das Problem der Sozialdemokraten ist in diesen Tagen, dass Herr Thierse zum Teil völlig überzogen sich eingelassen hatte, als es um unsere Fragen ging, und jetzt natürlich interessant sein wird, ob die nächste Rate an die SPD ausgezahlt wird bei den Parteifinanzierungsmitteln des Steuerzahlers, ob es zur Nachprüfung aller Rechenschaftsberichte kommt, denn alle Rechenschaftsberichte der Sozialdemokraten der letzten sechs, sieben Jahre bis auf einen scheinen falsch gewesen zu sein, möglicherweise damit gar nicht abgegeben worden zu sein. Die Frage ist ja, welche Konsequenzen das für die Sozialdemokraten jetzt hat. Auch Franz Müntefering hat vor drei, vier Jahren vor der Bundespressekonferenz erklärt, die Lüge sei Mittel der Politik, das müsse man verstehen, er bekenne sich dazu, als er die Bundespressekonferenz bewusst unwahr informiert hat. Deswegen glauben wir ihm natürlich kein Wort, dass er in Nordrhein-Westfalen von diesen Vorgängen nichts gewusst habe, wenn es um 500-, 600.000 Mark geht, die den Sozialdemokraten zugeflossen sind. Wenn ich noch eins sagen darf: Der Herr Wienand, der 1972 in Zusammenhang mit dem Stimmenkauf der Sozialdemokraten im deutschen Bundestag wohl die unrühmlichste Rolle gespielt haben dürfte, dass Karl Wienand als Berater der Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen 3,6 Millionen Mark aus der Schweiz bekommen haben soll für diese Fragen von Müllverbrennung in Nordrhein-Westfalen, das zeigt, dass hier eine Dimension ist, die wir aber im Detail aufgearbeitet haben wollen und aus der die Konsequenzen gezogen werden müssen, denn hier haben sich Leute persönlich bereichert. Hier geht es um Korruption. Das ist eine ganz andere Dimension als bei der Frage der Nichtdeklarierung von Spenden an die Union damals.
Lange: Aber die Zurückhaltung der Union könnte ja auch ein Ausdruck von Realismus sein, weil in Köln ja SPD und CDU Freud und Leid immer geteilt haben, dass die Union dort vielleicht doch mit drinhängt?
Wulff: Ich habe dafür überhaupt keine Anhaltspunkte und jeder, mit dem ich gesprochen habe, hat dafür auch keine Anhaltspunkte. Ich glaube wirklich, die Überlegung bei manchen in der Union ist, dass man wenn man jetzt den Eindruck von Schadenfreude und Häme macht einfach übersehen würde, dass es insgesamt der Politik, insgesamt den Parteien schadet. Wir wollen junge Leute für Politik, für Parteien gewinnen, für demokratisches Engagement, für Wahlbeteiligung und wir erleben, dass es denen fürchterlich leicht gemacht wird. Die sagen, die in der Politik kannst du doch alle vergessen. Das ist im Grunde genommen der Beruf mit dem geringsten Ansehen. Dann würden wir in Deutschland nicht mehr die für die Politik gewinnen, die wir dringend bräuchten: die Qualifizierten, die Integeren, die Angesehenen, die wirklich Wichtigen. Dann würden wir in die Politik die bekommen, die wir dort nicht gebrauchen können.
Lange: Jetzt müssen wir einen Punkt machen, Herr Wulff. Gleich stehen die Nachrichten an. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch. - Das war Christian Wulff, der stellvertretende CDU-Vorsitzende, in den "Informationen am Morgen".
Link: Interview als RealAudio
Lange: Herr Wulff, so intensiv wie sich Union und SPD nun um die ostdeutschen Länder kümmern wollen, da kann es ja eigentlich nur noch rapide nach oben gehen. Warum hat das bisher nicht geklappt?
Wulff: Wahr ist natürlich, dass es von 1990 an doch ziemlich kontinuierlich aufwärts gegangen ist in den neuen Ländern. Seit 1997/98 haben wir dort einen Riss in der Entwicklung. Die Schere zwischen Ost und West vergrößert sich wieder, geht auseinander. Die Wachstumsraten in den neuen Ländern sind extrem niedriger als in den westlichen Bundesländern und wir wollten es ja genau umgekehrt. Wir wollten ja die Angleichung der Lebensverhältnisse. Dieser Bruch, diese Rezession der letzten drei Jahre hat etwas mit der politischen Gesamtstimmung in einzelnen dortigen Bundesländern zu tun. Es liegt sozusagen Mehltau über den Ländern, weil man die Eigenentwicklung nicht genügend fördert, den Mittelstand, das Handwerk, die Freiberufler, die Existenzgründer, und weil man die Investitionen nicht kontinuierlich genug vorantreibt. Man hat zum teil ja auch die Investitionen abgedrosselt. Wenn ich den Eigenheimbau sehe, dann ist der eben um 30 Prozent zurückgegangen, weil man auch die Eigenheimzulage seitens der Bundesregierung gekürzt hat.
Lange: Nun wollen Sie den Ausbau der Infrastruktur fördern. Sie wollen Investitionen fördern. So revolutionär neu klingt das aber alles nicht und außerdem wollen das alle Parteien. Wo soll dort das Profil herkommen?
Wulff: Es gibt natürlich immer den Unterschied zwischen Worten und Taten. Wenn man sich in Ländern umguckt, die beim Beschäftigungswachstum besonders erfolgreich sind, dann wird man sehr schnell feststellen: es sind die Länder mit hohen Investitionen, niedrigen Staatsquoten, fairem Steuersystem, die Länder mit flexiblen Regelungen für den Arbeitsmarkt und aktive Arbeitsmarktpolitik. Natürlich übernehmen das dann viele in ihren Forderungen, aber faktisch sind die Investitionen zurückgeführt worden, des Bundes um 11 Milliarden, der neuen Länder im nördlichen Bereich, beispielsweise in Sachsen-Anhalt extrem auf die historisch niedrigste Investitionsquote in der Geschichte Sachsen-Anhalts. So etwas wirkt sich natürlich auf dem Arbeitsmarkt aus. Wir sind ja die letzten Tage dort unterwegs gewesen und dort berichten die Bauhandwerker, die Bauunternehmen über den massiven Einbruch öffentlicher und privater Nachfrage. Das muss stimuliert werden und ich bin davon überzeugt: Ludwig Erhard hat Recht, wenn er sagt, 50 Prozent der Wirtschaft sind Psychologie. Wenn man dann die PDS an der Politik beteiligt, die wirklich nachgewiesen haben, dass sie es nicht können, dann löst man natürlich keine investitionsfreundliche Stimmung aus, sondern dann trägt man mit dazu bei, dass sich über ein Land gewisser Mehltau legt.
Lange: Ihr Kanzlerkandidat braucht in Ost-Deutschland Stimmen bei der Wahl. Manchen klingt ja noch diese Drohung aus dem Süden im Ohr: wenn dort überall die PDS mitmischt, dann werden wir uns das mit der Förderung noch überlegen. Ist das vom Tisch?
Wulff: Das ist ja insofern korrigiert worden, als man natürlich den Respekt vor der Bevölkerung hat, was sie wählt. Aber wir werden natürlich dafür kämpfen, dass sie erkennt, dass sie eben mit der PDS nicht weiterkommt, sondern dass das absolut investitionsfeindlich ist. Es kann ja kein Zufall sein, dass die Länder Sachsen und Thüringen eine extrem gute Entwicklung hingelegt haben und Sachsen-Anhalt absolutes Schlusslicht ist, Mecklenburg-Vorpommern jetzt auch schlecht läuft. Das hat ja zu tun mit politischen Verhältnissen, mit der politischen Stimmung, was den Mittelstand anbelangt. Diese Parteien setzen halt stets auf den Staat und wir setzen auf die Eigenkräfte der Menschen, auf Kreativität, auf Fantasie, auf Risikobereitschaft, auf Mut. Das macht die soziale Marktwirtschaft so stark und da unterscheiden sich die Parteien. Wir werden weiter dafür kämpfen, dass die Union dort wieder stark wird, weil das den neuen Ländern am besten tut.
Lange: Aus den ostdeutschen Ländern eine Art wirtschaftliche Sonderzone zu machen mit vereinfachten Genehmigungsverfahren und niedrigen Steuersätzen, so wie Sie das jetzt überlegen, das ist ja schon Anfang der 90er Jahre überlegt und dann verworfen worden. Jetzt steht es wieder so ähnlich in diesem Sonderprogramm. Warum?
Wulff: Weil gerade das Verkehrswegebeschleunigungsgesetz für die neuen Länder extrem Erfolg gehabt hat. Wir hätten sonst die Autobahn A20 oben an der Ostsee nicht so schnell vorantreiben können. Jeder dort sieht ein, dass wir den deutschen Wirtschaftsaufschwung in den 50er Jahren nicht gehabt hätten mit unserer heutigen Bürokratie und unseren heutigen Regelungen. Also macht es Sinn, für diese Nachholbedürfnisse der neuen Länder bestimmte Regelungen außer Kraft zu setzen, bestimmtes zu beschleunigen, einfacher zu machen, wobei ich als Vertreter eines älteren Bundeslandes wie Niedersachsen, die etwas länger zur Republik dazugehören, wirklich auch gerne sehe, wenn man für bestimmte Bereiche Beschleunigungsgesetze hätte und Sonderregelungen machen könnte, weil wir einfach ein viel zu bürokratisierter Verwaltungsstaat geworden sind. Das macht aber für die neuen Länder allemal Sinn und wir werden auch diskutieren über bestimmte steuerliche Sonderregelungen. Die hat im übrigen Ludwig Erhard 1956 mal vorgeschlagen: wenn morgen die deutsche Einheit käme, was müssten wir dann tun. Danach durfte ja leider über die deutsche Einheit nicht mehr nachgedacht werden in unserem Land, so dass wir uns leider auch kaum auf diese Situation vorbereiten konnten.
Lange: Sie haben das gerade angedeutet. "Im Osten was Neues" kann ja auch heißen "im Westen nicht viel Neues". Auch bei Ihnen in Niedersachsen gibt es noch strukturschwache Gebiete. Spüren Sie schon so einen Druck von dort, etwa in der Frage "was wird aus uns"?
Wulff: Es gibt in den Grenzregionen des ehemaligen Zonenrandes natürlich zurecht große Sorge, dass Betriebe sich verlagert haben durch die Förderkulisse in den neuen Ländern, dass Aufträge von dort aus durchgeführt werden. Wir müssen natürlich sehen, dass auch in der Bundesrepublik alt erhebliche Strukturunterschiede sind und dass auch dort Probleme vorliegen im Vorantreiben von Verkehrswegen, in Abkopplung von Regionen. Wir sehen schon im Norden, dass der Süden beispielsweise - auch da wieder Bayern und Baden-Württemberg - sich sehr dynamisch entwickeln und im Norden nicht die entscheiden politischen Impulse ausgehen. Wir müssen einfach auch in den Bundesländern im Norden ganz andere politische Impulse geben. Das ist ja auch mein persönliches Anliegen, auch hier in Niedersachsen gewisse Bremsen zu lockern, die es in der Politik des Landes gibt.
Lange: Aber könnten denn die westdeutschen Länder wirklich damit leben, wenn es in Ost-Deutschland auch jetzt noch zusätzliche Standortvorteile zu ihren Lasten geben würde, wo möglich auch noch verfassungsrechtlich verbrieft?
Wulff: Deutschland kann sich überhaupt nur wirtschaftlich dynamischer entwickeln, wenn sich der Osten stärker entwickelt, wenn strukturschwache Räume herangeführt werden. Wir müssen ja auch die neuen Bundesländer fitt machen für die Osterweiterung der Europäischen Union. Es liegt einfach nicht in deutschem Interesse, wenn es dort weiter so trübe aussieht in bestimmten Bundesländern. Dann werden wir erleben, dass auch die Osterweiterung von Deutschland nicht verkraftet werden könnte. Von daher müssen wir ein großes Interesse daran haben, dass dort eine eigenwirtschaftliche Entwicklung abläuft. Es wird zu einem dauerhaften Problemfall, wenn es beispielsweise bei der Abwanderung bliebe, dass junge Leute, dass qualifizierte Leute aus den neuen Bundesländern weggehen und die älteren dort verbleiben. Das wäre wirtschaftlich für die gesamte Bundesrepublik Deutschland nicht so leicht zu schultern, als wenn wir dort zu einer vernünftigen Entwicklung kommen. Deswegen stehen wir allesamt hinter dem Anliegen Aufbau Ost und sagen eben sehr bewusst, das ist nicht nur politisch zur Chefsache zu machen, wie es bei Helmut Kohl immer war, sondern es muss eine Herzenssache sein, wie es bei uns eben ist. Das ist es derzeit bei der jetzigen Regierung augenscheinlich nicht.
Lange: Was die bestreiten wird. - In den Zielen sind sich Union und SPD ja weitgehend einig, aber Hans Eichel sagt, wir werden die Angleichung der Lebensverhältnisse nicht mit neuen Schulden finanzieren. Ist das nicht ehrlicher als die wage Hoffnung auf Privatisierungserlöse und etwas nebulöse Mittelumschichtungen im Haushalt?
Wulff: Wenn man sieht, was die Bundesregierung mit den 100 Milliarden UMTS-Lizenzerlösen gemacht hat, nämlich Länder und Kommunen zu belasten, aber nicht wirklich Investitionen zu steigern und Haushalte zu entlasten, dann weiß man, dass wir auch mit Privatisierungserlösen und überhaupt mit Einnahmen anders und besser umgehen. Die Investitionen sind halt seitens der Bundesregierung in den letzten Jahren zurückgeführt worden. Das ist eben unverantwortlich gewesen. Die Verschuldung ist ausgedehnt worden durch Verlagerung auf Länder und Kommunen. Die Gesamtverschuldung Deutschlands betrug 1998 1,5 Prozent nach den Maastricht-Kriterien; sie beträgt momentan rund 2,7 Prozent und die 3,0 Prozent werden möglicherweise erreicht. Das heißt eine Verdoppelung der Quote durch die rot/grüne Bundesregierung. Das ist außerordentlich unsolide, macht uns gewaltige Probleme im Hinblick auf die Möglichkeiten der nächsten Jahre. Also Investitionsquoten steigern, konsumtive Ausgaben senken. Das hat diese Bundesregierung nicht gemacht. Sie hat die Ökosteuer, die Stromsteuer, die Tabaksteuer, die Versicherungssteuer, alles erhöht, aber trotzdem die Belastung der Bürger nicht gesenkt, sondern die Staatsquote ist gestiegen. Das sind die falschen Impulse, die Wirtschaft nicht ankurbeln.
Lange: Herr Wulff, wir kommen nicht umhin, auch über die Spendenaffäre zu sprechen, die jetzt die SPD beschäftigt. Es fällt auf, wie betont zurückhaltend sich im Moment Unionspolitiker geben, denen man solch eine Zurückhaltung sonst gar nicht zutraut. Wie erklären Sie sich das?
Wulff: Das erkläre ich mir einfach damit, dass wir selber wissen, dass wir vor zwei Jahren im Glashaus saßen, und wer im Glashaus mit Steinen wirft, wird eine ziemliche Berstung von Glas und Scheiben erleben. Aber faktisch verlangen wir, dass die SPD heute die Liste der 42 offen legt, die dort Spenden gestückelt haben sollen, die sich Steuervorteile verschafft haben könnten. Es ist absurd, das mit dem Steuergeheimnis begründen zu wollen, denn wer quasi hier etwas angibt, was er gar nicht eingenommen hat, dann ist es keine Frage des Steuergeheimnisses, sondern eine Frage von Korruption, von Betrug, von Steuerhinterziehung. Damit ist heute schon mal zu sagen, wer dort alles verstrickt ist in der nordrhein-westfälischen SPD. Das Problem der Sozialdemokraten ist in diesen Tagen, dass Herr Thierse zum Teil völlig überzogen sich eingelassen hatte, als es um unsere Fragen ging, und jetzt natürlich interessant sein wird, ob die nächste Rate an die SPD ausgezahlt wird bei den Parteifinanzierungsmitteln des Steuerzahlers, ob es zur Nachprüfung aller Rechenschaftsberichte kommt, denn alle Rechenschaftsberichte der Sozialdemokraten der letzten sechs, sieben Jahre bis auf einen scheinen falsch gewesen zu sein, möglicherweise damit gar nicht abgegeben worden zu sein. Die Frage ist ja, welche Konsequenzen das für die Sozialdemokraten jetzt hat. Auch Franz Müntefering hat vor drei, vier Jahren vor der Bundespressekonferenz erklärt, die Lüge sei Mittel der Politik, das müsse man verstehen, er bekenne sich dazu, als er die Bundespressekonferenz bewusst unwahr informiert hat. Deswegen glauben wir ihm natürlich kein Wort, dass er in Nordrhein-Westfalen von diesen Vorgängen nichts gewusst habe, wenn es um 500-, 600.000 Mark geht, die den Sozialdemokraten zugeflossen sind. Wenn ich noch eins sagen darf: Der Herr Wienand, der 1972 in Zusammenhang mit dem Stimmenkauf der Sozialdemokraten im deutschen Bundestag wohl die unrühmlichste Rolle gespielt haben dürfte, dass Karl Wienand als Berater der Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen 3,6 Millionen Mark aus der Schweiz bekommen haben soll für diese Fragen von Müllverbrennung in Nordrhein-Westfalen, das zeigt, dass hier eine Dimension ist, die wir aber im Detail aufgearbeitet haben wollen und aus der die Konsequenzen gezogen werden müssen, denn hier haben sich Leute persönlich bereichert. Hier geht es um Korruption. Das ist eine ganz andere Dimension als bei der Frage der Nichtdeklarierung von Spenden an die Union damals.
Lange: Aber die Zurückhaltung der Union könnte ja auch ein Ausdruck von Realismus sein, weil in Köln ja SPD und CDU Freud und Leid immer geteilt haben, dass die Union dort vielleicht doch mit drinhängt?
Wulff: Ich habe dafür überhaupt keine Anhaltspunkte und jeder, mit dem ich gesprochen habe, hat dafür auch keine Anhaltspunkte. Ich glaube wirklich, die Überlegung bei manchen in der Union ist, dass man wenn man jetzt den Eindruck von Schadenfreude und Häme macht einfach übersehen würde, dass es insgesamt der Politik, insgesamt den Parteien schadet. Wir wollen junge Leute für Politik, für Parteien gewinnen, für demokratisches Engagement, für Wahlbeteiligung und wir erleben, dass es denen fürchterlich leicht gemacht wird. Die sagen, die in der Politik kannst du doch alle vergessen. Das ist im Grunde genommen der Beruf mit dem geringsten Ansehen. Dann würden wir in Deutschland nicht mehr die für die Politik gewinnen, die wir dringend bräuchten: die Qualifizierten, die Integeren, die Angesehenen, die wirklich Wichtigen. Dann würden wir in die Politik die bekommen, die wir dort nicht gebrauchen können.
Lange: Jetzt müssen wir einen Punkt machen, Herr Wulff. Gleich stehen die Nachrichten an. Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch. - Das war Christian Wulff, der stellvertretende CDU-Vorsitzende, in den "Informationen am Morgen".
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